Man weiß schon gar nicht mehr, ob man sich überhaupt noch ernähren sollte. Täglich flattert eine neue Schreckensmeldung ins Haus, was alles vergiftet ist.

Dass die meisten Lebensmittel nicht natürlich gewachsen und gereift sind, ist auch klar. Und dass Aromastoffe und Geschmacksverstärker nachhelfen, ist auch schon eine uralte Weisheit. Wir haben uns daran gewöhnt, dass man das ganze Jahr über Erdbeeren kaufen kann und akzeptieren, dass sie nach Wasser schmecken. Aber immerhin sehen sie ganz hübsch aus – das ganze Jahr über. Zwischenzeitlich haben wir systematisch alle Produkte mit irgendwelchen E-Stoffen aussortiert. Was wurde eigentlich daraus? Gibt es diese E-Stoffe nicht mehr oder nehmen wir sie hin? Was wurde aus der Nachricht, dass ausgerechnet Chips, Kekse, Bratkartoffeln und Pommes Frites in höchstem Maße krebserregend sind? Etwa zwei Wochen war das Gesprächsthema, wir haben alle kurz zurückgerechnet, wie viele Tonnen wir davon in unserem Leben schon verschlungen haben. Viel zu viele. Also können wir auch weiter machen. Denn auf Chips und Pommes Frites verzichten, das geht nun beim besten Willen nicht. Je nach Saison kommen uns Salmonellen-Hühnchen, der Rinder-Wahn oder die Schweine-Pest in die Quere. Und wenn mal keine Krankheit in Umlauf ist, helfen manche erfinderisch mit skandalträchtigen Fleischabfällen nach. Und das ausgerechnet zur Weihnachtszeit. Wie soll man bitteschön die Glühweine ohne Bratwurst runterkriegen? Das eine geht doch ohne das andere nicht. Und so dachten viele „Pah!“ Und bissen mit Genuss in ihre knusprige Bratwurst. Zur Zeit ist es die Vogel-Grippe, die sich umständlich annähert, uns aber noch nicht wirklich erobert hat. Wie gut also, dass wir uns um das Obst und Gemüse Gedanken machen können. Was damit nicht in Ordnung ist? Ich weiß es nicht genau. Aber ehrlich gesagt – so genau will ich es auch gar nicht wissen. Ich halte mich am liebsten an eine Regel, mit der ich aufgewachsen bin – dass man Pilze und Spinat nicht ein zweites Mal erhitzen sollte. Und tu es trotzdem. Und halte mich dabei zumindest an meine zweite Lebensregel – nicht alles meiner Mutter zu erzählen. Ist alles nicht so tragisch, denn im Zweifelsfall kommt man auch gut mit Kartoffeln und Möhren über die Runden. Und als Gaumenfreude kann man sich ja auch Schokolade gönnen. Aber nein, oho! Just gestern tranken wir in einer Runde Kaffee, dazu gab es Schokolade. Die Kollegen studierten lange und eingehend die Verpackung und fanden doch tatsächlich mehrere ungesunde Inhaltsstoffe. Na, da hört der Spaß aber auf! Na gut, es gibt überall Reformhäuser und Bioläden. Doch die sind eindeutig zu teuer. Nur wer gut verdient, kann sich das leisten. Als wäre es so schon nicht schwer genug, sich ein leckeres Menü zusammen zu kaufen, gibt es ja auch noch die political correctness, die es verbietet, Produkte von „bösen“ Unternehmen zu kaufen; die Kinderarbeit betreiben, arme Menschen als billige Arbeitskräfte ausbeuten, Umweltverschmutzung verursachen und rechtsradikale Politiker unterstützen. An dieser Stelle ist Boykott durchaus vernünftig, bedeutet aber auch Stress. Wenn auch vieles andere in Russland schwerer war als in Deutschland, wie einfach war es doch, dort einzukaufen. Ich ging zu meiner netten Babuschka auf dem Markt und kaufte ihre Handvoll Äpfel, Möhren, Kartoffeln und noch andere Leckereien auf. Als Dreingabe gab es ein Sträußchen Blumen und ein freundliches Gespräch. Dabei wusste ich, dass sie die Produkte selbst auf ihrer Datscha gezogen, keine Pestizide benutzt und auch keine Kinder ausgebeutet hatte. Nach meinem Kauf hatte die Babuschka ihr Tagesgeschäft erledigt und ich alles, was ich für die Woche brauchte. Da ich sowieso nur kaufen konnte, was zu der Jahreszeit natürlicherweise wuchs, schmeckte es auch nach dem, was es war. Guten Appetit!

Von Julia Siebert

24/03/06

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