Bulat Sultanow arbeitet für das Institut für Strategische Studien unter dem Präsidenten der Republik Kasachstan. Außerdem war er sieben Jahre an den Botschaften Kasachstans in Bonn und Berlin. Im Interview mit DAZ-Redakteurin Cornelia Riedel spricht er über die Ethnien und die Sprachenpolitik im Vielvölkerstaat Kasachstan.

Herr Sultanow, eine Frage ganz am Anfang: Wer ist der Geldgeber Ihres Instituts, wie unabhängig können Sie in Kasachstan arbeiten und forschen?

Wir sind eine Abteilung des Präsidialamtes Kasachstans, arbeiten jedoch unabhängig von Regierung, Ministerien und Behörden und schreiben, was wir denken. Das Präsidialamt ist unser Adressat, in seinem Auftrag arbeiten unsere drei Referate „Internationale Beziehungen“, „Innenpolitik“ und „Wirtschaftsbeziehungen“.

Wie schätzen Sie die Sprachenpolitik des kasachischen Präsidenten ein?

In den Artikeln sieben und 14 unserer Verfassung steht, dass Kasachisch die Staatssprache und Russisch die Amtssprache ist. Russisch und Kasachisch sind öffentliche Sprachen und haben die  gleichen Rechte. Ich erinnere mich noch, als unser Staat gegründet wurde, da gab es im Parlament eine heftige Diskussion wegen der Bezeichnung, ob unser Land „Kasachische Republik“ oder „Republik Kasachstan“ genannt werden sollte. Hier gibt es heute 15,3 Millionen Menschen, davon sind acht Millionen Kasachen, vier Millionen Russen und 3,3 Millionen andere Ethnien. Vollkommen zu Recht hat deshalb damals Präsident Nursultan Nasarbajew auf die Bezeichnung „Republik Kasachstan“ gedrungen.

Wo liegen die Ursprünge für den Vielvölkerstaat Kasachstan?

Ein Historiker hat Kasachstan mal als das „Gefängnis der Völker“ bezeichnet. Viele verschiedene Ethnien wurden unter Stalin in die Steppe deportiert. 1989 lebten in Kasachstan nur 43 Prozent Kasachen.

Wie schätzen Sie das Zusammenleben der Völker in Kasachstan ein?

Der deutsche Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder hat unser Land mal als „Insel der Stabilität in Zentralasien“ bezeichnet, und da stimme ich ihm zu. Die wirtschaftliche Lage ist hier bei uns besser als in den umliegenden Staaten, und schauen Sie auf unsere Flagge: Die Sonne darauf scheint für alle Menschen.

In der Vergangenheit wurden wiederholt Stimmen laut, die eine nachdrücklichere Verbreitung der kasachischen Sprache fordern. Russisch-Muttersprachler, die kein Kasachisch können, fürchten um ihren Job. Wie schätzen Sie die Lage ein?

Es sind vor allem Teile der schöpferischen kasachischen Intelligenz, Autoren und Poeten, die fordern, das Kasachische innerhalb kürzester Zeit durchzusetzen. Ich glaube, dass Mitarbeiter in Behörden beide Sprachen beherrschen sollten. Doch wer kein Kasachisch versteht, sollte alle Dokumente auch auf Russisch bekommen können. Und es ist richtig, von der Jugend zu fordern, beide Sprachen, das Russische und das Kasachische, zu studieren. Doch von älteren Menschen zu verlangen, Kasachisch zu sprechen und zu lernen, das ist aus meiner Sicht unmöglich. Wir sollten vorsichtig und langsam die Sprache entwickeln.

Wer sind diejenigen, die auf eine rasche Durchsetzung der kasachischen Sprache drängen?

Das sind vor allem die Nationalradikalen, weil sie die Situation des Landes nur unter dem Gesichtspunkt der Verbreitung der kasachischen Sprache einschätzen. Präsident Nasarbajew hat glücklicherweise eine Parteigründung verboten, denn er will keine Parteien, die eine Sprache, Nationalität oder Religion in den Vordergrund rücken. Wenn man beispielsweise im Krankenhaus ist, ist es egal, ob man auf Kasachisch oder Russisch behandelt wird. Die Qualität der Versorgung ist das Entscheidende. Deshalb sehe ich eine gute russische Sprache als Reichtum, für den wir unbedingt weiterstreben müssen. Wir müssen hier sehr vorsichtig vorgehen, denn die Sprache ist ein Grundrecht. Viele Kasachen fragen zu Recht, warum sie in Kasachstan nicht kasachisch sprechen können und dürfen. Vor uns steht die komplizierte Aufgabe, das zu regeln.

Welche Möglichkeiten sehen Sie, eine Eskalation dieses Konflikts zu verhindern?

Viele Russischstämmige wollen, dass Russisch die zweite Staatssprache wird. Doch kasachische Schriftsteller befürchten zu Recht, dass eine weitere Staatssprache die Entwicklung der kasachischen Sprache behindern und das Interesse, Kasachisch zu lernen, stoppen würde. Es ist sehr schwierig, hier die richtige Balance oder gar eine Lösung zu finden. Denn die Gefahr besteht durchaus, dass wir die kasachische Sprache verlieren. Wir sollten etwas tun, um die Sprache zu schützen. Frankreich tut das schließlich und Deutschland auch.
Doch natürlich besteht die Gefahr, dass Nicht-Kasachisch-Sprecher unser Land verlassen. Und Leute, die kasachisch sprechen, aber keine weiteren Kenntnisse haben, nützen uns bei der Entwicklung unseres Landes nichts. Doch wir sollten nicht nur die kasachische Kultur entwickeln, sondern auch die russischen und beispielsweise deutschen Traditionen, keine der Seiten ist wichtiger. Und es ist ein Menschenrecht, seine Muttersprache zu erhalten und danach zu streben. Für mich ist das keine politische, sondern eher eine kulturelle Frage. Es ist wichtig, die Ethnien nicht zu provozieren. Wir brauchen hier in Kasachstan Stabilität, Ordnung und Wachstum.

Herr Sultanow, vielen Dank für das Gespräch!

31/08/07

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