Ich war eine Woche lang in Berlin. Ich war schon viele Male in Berlin und kenne die Stadt inzwischen einigermaßen gut. Aber Berlin verändert sich. Und ich verändere mich. Und so begegnen wir uns immer wieder neu, Berlin und ich.

Berlin ist rot! Beim Überqueren einer Straße bin ich nie mit einer Ampelphase ausgekommen. Bei Grün ging ich los, bei Rot stand ich noch mitten auf der Straße. Das passiert mir in Köln selten. Ich vermute, jede Stadt hat ihre eigene Ampellogik. Während in einigen Städten das Rot signalisiert: „Schlendere ruhig noch gemächlich weiter. Bis die Autos Grün haben, dauert es noch ein paar Schritte“, heißt es in anderen Städten: „Springt die Ampel auf Rot, springe du schleunigst von der Straße, sonst wirst du eine Sekunde später von einem Auto umgenietet“. Ich habe mich als Landei geoutet, das hektisch über die Straße flattert.

Berlin ist laut! Die Geräuschkulisse von Berlin hat sich mir besonders dann aufgedrängt, wenn ich mal eben von unterwegs aus telefonieren wollte. Keine Chance, eine halbwegs ruhige Ecke zu finden. Es tönen gleichzeitig hämmernder Baustellenlärm, quietschende S-Bahnen, brummende LKWs, murmelnde Menschen, fiepsende Straßenmusik, säuselnde Kaufhausmusik und weitere nicht identifizierbare Klänge auf einen ein. In meiner Landei-Idylle gibt es nur maximal zwei der genannten Geräusche gleichzeitig.

Berlin ist bunt! In Berlin gibt es immer viel zu bestaunen, vor allem die Berliner mit ihren schrillen Brillen, kessen Kleidern und frechen Frisuren. Mit meinem quietschgrünen Mäntelchen im Retro-Look komme ich mir in Köln ganz frech und frei vor und werde oft darauf angesprochen. In Berlin kräht kein Hahn nach meinem Landei-Look.

Berlin ist offen! Ich empfinde Köln als offen, freundlich und hilfsbereit, aber im Gegensatz zu den Berliner Plaudertäschchen sind wir Kölner fast schon maulfaul. Egal wo und wer, die Berliner finden immer Zeit für persönliche Gespräche. Da konnte ich nur freudig nicken, zum Mitschnäbeln fehlte mir die Übung.

Berlin ist groß! Dass in Berlin die Wege weit sind, ist mir eigentlich bewusst und doch ist der Zeitpuffer, den ich extra einplane, nie groß genug, um entspannt von A nach B zu finden. Ich bin immer, aber auch immer in großer Eile, weil ich die Entfernungen nie, aber auch nie richtig einschätze. In meinem Köln-Dorf brauche ich maximal eine halbe Stunde, um die Stadt zu durchqueren.

Berlin ist eine Baustelle! Wo viel Stadt ist, ist auch viel Bau- und Ausbaubedarf, vollkommen klar! Und doch ist es immer wieder irritierend, dass das nie fertig wird und man keinen Weg gehen kann, ohne umgeleitet zu werden. Wenn ich in Köln eine Baustelle finden will, muss ich sie suchen. Als ich das letzte Mal umgeleitet worden bin, war ich noch in der Schule.

Berlin ist nostalgisch! Köln hat interessante Geschäfte, so was wie Hutmacher oder Antiquariate, diese sind aber über die gesamte Stadt verteilt. In Berlin gab es allein in meinem Wohnviertel einen Schuster, einen Geigenbauer, einen E-Gitarren-Bauer und ein Atelier für Figurentheater! Da habe ich mir mit offenem Mund mein Landei-Schnäbelchen an der Schaufensterscheibe plattgedrückt.

Berlin ist lecker! In Köln gibt es viele gute Lokale unterschiedlicher Geschmacksrichtungen, aber in Berlin brauche ich ein Jahr, um mich durch die unzähligen verschiedenen Küchen zu essen.

Zusammenfassend kann ich sagen: Berlin ist toll, und Berlin ist stressig! Ich erhole mich von meinem Besuch und freue mich schon wieder auf den nächsten.

Julia Siebert

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