Noch gebe ich nicht auf, Wissen von früher in meinem Alltag von morgen nutzbar zu machen. Nachdem sich die antike Philosophie bewährt hat, ich aber lieber meine Finger von der antiken Heilkunst lasse – ich berichtete im letzten Beitrag – wage ich mich nun an die antike Kochkunst.

Ich stelle mir vor: in erster Linie Fleischgerichte im Römertopf. Keulen, die im eigenen Saft und Rotwein vor sich hinschmoren. Mal sehen, was mein neues kleines Reclam-Büchlein hergibt. Ich schlage das Kapitel „Der Gourmet“ auf. Und finde als erstes – Rezepte zur Zubereitung der Gebärmutter von Jungsäuen und von Schweineeutern. Uh! Da wende ich mich doch lieber den Grillgewürzen zu, das erscheint mir unverfänglicher.

Also: Man nehme sechs Skrupel Petersilie. Skrupel? Lustig, dass man Skrupel zählen kann. Ich stelle mir ein entsprechendes Geschäftsgespräch vor: „Sind Sie bereit, den Vertrag zu unterzeichnen?“ „Noch nicht, ich habe Skrupel.“ „Viele Skrupel?“ „Nein, nur vier.“ Oder im Privatleben. „Möchtest du meine Frau werden?“ „Oh, an sich schon, jedoch habe ich noch zwei Skrupel.“ Äh … Verzeihung, ich kam vom Wege ab. Zurück zu den Rezepten: sechs Skrupel Petersilie also. Ja, aber wie viel ist das denn? Googlen!

Ach, wie schön, was sich hier für alte Maßeinheiten auftun, u.a. der Schock, auch eine schöne Vorstellung … Nein, diesmal nicht lange aufhalten, die Skrupel suchen. Aha, da sind sie ja auch schon. „Ein Apotheker ohne Skrupel konnte nicht exakt arbeiten.“ Ein äußerst nettes Wortspiel, aber wir wollen ja immer noch Grillgewürze zubereiten. Ein Skrupel entspricht sechs Karat oder wahlweise dem Vierundzwanzigstel einer Unze. Na, prima! Bis ich ausgerechnet habe, wie viel Petersilie ich nehmen muss, ist mein Grillfleisch längst verdorben.
Endlich ein sachdienlicher Hinweis: Ein Skrupel sind ca. 1,25 Gramm. Mit Kommastellen koch ich nicht und lege die Standardmaßeinheit meiner Großmutter Pi mal Daumen zugrunde. Weiter. Sechs Skrupel Laser. Laser? Google! Silphion?! Danke, und nun? „Wahrscheinlich“ eine Art Harz. Nee, also am liebsten koche ich ohne Skrupel und ganz sicher nicht mit Wahrscheinlichkeiten. Denn schon mancher Kochlehrling hat sich vergiftet. Die Wissenschaftler streiten sich, ob es sich um Dolden- oder Korbblütler handelt. Also, wenn sich schon die Wissenschaftler nicht einig werden … Geruch und Geschmack: „unbekannt, aber extrem angenehm“. Klingt lustig. Aber auch nach Widerspruch. Inhaltsstoffe: unbekannt. Schon wieder eine Unbekanntheit!

Und so geht es weiter mit weiteren Wahrscheinlichkeiten und Vermutungen, die im Kochtopf nix zu suchen haben. Ich schwänze den, die oder das Laser einfach und sehe, was die anderen Zutaten hergeben: Laserwurzel (da ist sie ja schon wieder!). Zwischen so banalen Dingen wie Pfeffer, Honig und Kümmel sind Bertram, Liquamen, Myrtenbeeren oder Kostwurz eingeschummelt. Meine Skrupel sind von zwei auf sieben gewachsen. Lassen wir das Würzen und geben dem Huhn noch eine Chance. Aha, mit dem Huhn kommt nun endlich auch, wenn nicht der Rotwein, dann doch wenigstens der Tontopf zur Sprache.

Jetzt wird aber nicht nur der Tontopf mit dem Huhn gefüllt, sondern das Huhn mit Hackfleisch, das es zuvor zu dressieren gilt. Bevor ich mich lange damit auseinandersetze, was genau in diesem Zusammenhang unter dressieren zu verstehen ist, lege ich Stift und Einkaufsblock beiseite, bereite das Huhn nach dem Rezept meiner Nachbarin Uli zu, indem ich es mit dem Hintern auf eine Bierdose und diese anschließend auf den Grill setze. Und komme zu dem Schluss, dass die Antike für meinen industrialisierten und globalisierten Gaumen zwar keine kulinarische Freude bereithält, dafür aber eine lexikalische. Besonders gefällt mir der paradoxe Gewürzwein.

Und wer Genuss an einem kleinen Horrorkabinett findet, stelle sich bildlich vor, wie ein Euter mit zerstoßenen Seeigeln und ein Spanferkel mit allerlei Kram gefüllt wird, unter anderem mit Hühnerfleisch, Drosseln, Gulasch, lukanischen Würstchen, entkernten Datteln, gedörrten Gemüsezwiebeln, Schnecken ohne Haus, Malven, roter Beete, 15 Eiern und noch jeder Menge mehr, was halt so in der Küche rumliegt. Guten Appetit!

Julia Siebert

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