In der Bar des BAZA Hostel in Almaty stehen an diesem Abend viele junge Menschen dicht beieinander, trinken Bier, reden oder tanzen. Ein schmächtiger, nicht sonderlich großer junger Mann zieht an ihnen vorbei Richtung Bühne. Sofort wird eine Gasse gebildet. Manche klopfen ihm auf die schmalen Schultern – auf ihn haben sie gewartet: Antoha MC.

Der Moskauer Musiker ist eine Ein-Mann-Show. Er bedient seinen Laptop, um die Musik abzuspielen, rappt, singt, spielt Trompete und tanzt. Das Publikum singt seine russischen Texte mit. Sie handeln von Heimat, einem aktivem Leben und Gemeinschaft. Unterlegt sind sie wahlweise von Rhythmen des Hip Hop, Reggae, Jazz, und zwischendurch klingen die sowjetischen Popsongs der 1980er und 90er Jahre auf. Als würde er sämtliche Genres aufsaugen, um daraus einen eigenständigen Sound zu kreieren.

Antoha MC begeistert das Publikum. | Bild:Arslan Isatayev

Anton Kusnezow, wie der Musiker mit bürgerlichem Namen heißt, erfährt seit letztem Jahr eine immer größere Bekanntheit in den Ländern der GUS und wird in den russischsprachigen Medien der Popkultur sogar zu einer neuen Welle russischer junger Künstler gerechnet, die Inspiration nicht mehr zwingend in der westlichen, sondern in der eigenen Kultur suchen. In seinem bisher populärsten Youtube Video zu „Wremja Tok“ schlendert und tanzt er, mit einem Mikrofon und Verstärker in der Hand, durch die Plattenbauten eines typischen Moskauer Stadtviertels. Zugleich scheint der 27-Jährige etwas aus der russischen Gegenwart gefallen zu sein – er verkörpert den netten Jungen von nebenan, erinnert an den romantischen Archetyp des wohlerzogenen Studenten der Sowjetzeit. Antoha eben.

Ich traf Antoha MC vor seinem ersten Konzert in Almaty. Im Gegensatz zu seiner Ausgelassenheit während des Auftritts, den treibenden Beats und Sprechgesängen seiner Musik sind seine Bewegungen abseits der Bühne bedächtig und die Worte bewusst, sehr bewusst gewählt. Vor mancher Antwort senkt er den Kopf, blickt zur Seite oder schließt die Augen. Es bleibt einige Zeit still, bis er zu sprechen anfängt. Zwischendurch muss er auch mal kurz verschmitzt lachen – man weiß nicht, ob über die Aussage, sich selbst oder die Interviewerin.

Du bist zum ersten Mal in Zentralasien. Gestern in Bischkek, heute in Almaty. Was sind deine Eindrücke?

Die Steppe ist schön. Die Berge auch. Beeindruckend. Auch die Landwirtschaft und die viele Viehhaltung. Hast du die Kamele hier gesehen? Das hat einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Die Natur ist hier sehr eigen, sehr anders als in Russland. Bei uns ist mehr Wald. Hier Steppe und Berge. Das würde ich als herausragend bezeichnen.

Wo wohnst du in Moskau und wie bist du aufgewachsen?

Ich habe mein ganzes Leben im Süden Moskaus verbracht. Im Stadtteil Sjablikowo. Ich bin am Stadtrand aufgewachsen. Die Metrostation heißt Krasnogwardejskaja. Zum Roten Platz fährt man ungefähr eine Stunde. Ich wohne noch in der Wohnung meiner Eltern.

Hast du vor, irgendwann auszuziehen?

Ja, hab ich vor. Obwohl ich denke…nein, ich glaube ich würde eher ein anderes Wort verwenden. Bin ich bereit, von den Eltern wegzuziehen?

Denkst Du nicht, dass man manchmal Abstand braucht, weggehen muss um selbständig zu werden?

Ich gebe dir vollkommen Recht, aber alles hat seine Zeit. Vor kurzem hatte ich auch die Möglichkeit (lächelt). Ich bin weg gefahren, um das Herz meiner Gefährtin zu erobern, Marianne. Sie wohnt jetzt mit mir zusammen jetzt und wärmt meine Seele. Sie hilft mir in allem. Ich kam zurück in mein Elternhaus, um zu zeigen, was für eine Freundin ich habe. Meine Gefährtin, Ehefrau, Bewahrerin, Seele.

Du bist in einer Plattenbausiedlung am Stadtrand aufgewachsen. Musiker, vornehmlich Rapper, aus solchen Vierteln erzählen Geschichten vom harten Leben, Trostlosigkeit und geplatzten Träumen. Davon ist bei dir nichts zu finden, du erscheinst geradezu wie ein Gegenentwurf.

Ich weiß, wovon du sprichst. Aber ich kann nicht sagen, dass es da, wo ich aufgewachsen bin, solche besagten Rap-Klischees gab. Ich bin ganz normal in die Schule gegangen, bin um zwei Uhr nachmittags nach Hause gekommen. Dann bin ich in die Musikschule gegangen, habe mit meinen Lehrern geübt.

Also hast du dich nicht mit den Jungs auf der Straße rumgetrieben und Unfug veranstaltet?

Ich habe manchmal die Schule geschwänzt. Wir hatten einen Computer-Club. Man konnte hingehen und einige Stunden dort, statt in der Schule, verbringen. So etwas kam bei mir vor. Wenn ich das gemacht habe und dann nach Hause gegangen bin – da hatte der Lehrer bereits meine Eltern angerufen und gesagt: Ihr Sohn ist heute irgendwo anders gewesen. Ich weiß allerdings nicht, ob man das Unfug nennen kann…vielleicht ein seelisches Bedürfnis.

Du hast MC in deinem Namen. Rap ist ein charakteristisches Element in deiner Musik. Fühlst du dich mit der Hip Hop Kultur verbunden oder gefällt dir bloß diese Form des Ausdrucks?

Ja, ich habe schon früh Breakdance kennengelernt, Graffiti und sämtliche aus– wie auch inländische Künstler. Getanzt habe ich auch. Und diese Musik gehört. Nur verbinde ich das nicht mehr zwingend mit der Kultur des Hip Hop, sondern das sind für mich einfach künstlerische Elemente, Bestandteile meines Lebens.

Gibt es Künstler, Interpreten, die dich beeinflusst haben?

Weißt du, es gibt wenige Leute, von denen man hört. Du hörst nur ihre Musik im Internet. Aber irgendeine Art von Bewegung oder Wirkung gibt es praktisch nicht. Auch alle ausländischen Interpreten die zu uns ins Land kommen, die anglophonen, amerikanischen – bis auf Konzert und Alben gibt es da nichts. Dabei wäre es wünschenswert, wenn der Interpret dir näher wäre.

Wie meinst du das?

Dass er mit dir auf einer Wellenlänge ist. So wird dein Interesse lebendig und echt. Sag deinen Freunden, sie sollen Antoha kennenlernen. Sie werden auf seinen Besuch in der Stadt warten. Und du wirst der Mensch sein, der seinen Freunden von Antoha erzählen wird: ,,Hier ist er, interessant und sympathisch.“ So wird es auch eine Möglichkeit geben, sich kennenzulernen und auszutauschen.

Tanzeinlagen gehören zu seinen Auftritten | Bild: Shodi Alizoda

Hast du den Eindruck, dass das bei den von dir zuvor genannten ausländischen Interpreten nicht der Fall ist? Es reicht dir nicht?

Ich sag mal so: Sie sind maximal weit von mir weg.

Hängt das mit der Sprache zusammen?

Mit den Vorstellungen vom Leben, wahrscheinlich. Den Prinzipien und Ideen.

Du hältst dich also von fremden Einflüssen möglichst fern?

Ich halte mich an die Leitidee, dass der Mensch selbst Schöpfer ist. Alle Ideen, die er hat, sind seine eigenen. Seine Ausarbeitung, Überarbeitung, Vorstellungen, Formgebung, Fantasie, Wissen, Erfahrung, Arbeit, Kraft. Ich höre schon auch mal andere Musik, nur verbringe ich mehr Zeit mit meiner.

Welche Art von Musik hörst du dann?

Musik, die zu unserer Zeit passt. Ich würde sagen, diese Musik kann auch aus der Vergangenheit sein, aus der Gegenwart oder sogar aus der Zukunft. In letzter Zeit, wahrscheinlich vor drei oder vier Monaten, habe ich in Minsk einen Musiker kennengelernt: Alexej Aslamin. Er spielt Footwork und Juke. Ich finde, das ist ein sehr interessanter Musikstil. Er ist flott, dynamisch, und vor allem passt er eben sehr gut zum Rhythmus unserer Zeit.

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Warum schreibst du deine Texte auf Russisch und nicht auf Englisch?

Mir gefällt die russische Sprache, ich liebe sie. Sie ist mir nah, und sie ist spannend. Es ist eine melodische, musikalische Sprache. Ich möchte ihr Potenzial aufdecken und neue Wege finden. Ein großer Teil der Musiker kann nicht auf Russisch singen, weil das sehr schwer ist. Du hörst mehr Musik von englischsprachigen Interpreten und hast schon eine gewisse Vorstellung und Ahnung davon, wie man sprachliche Wendungen und Formulierungen miteinander verbinden kann. Auf Russisch kann das schon schwerer werden. Da tastest du dich Schritt für Schritt vor. Suchst nach möglichen neuen Wegen, und das ist großartig.

Wie hast du angefangen, deine Musik zu vertreiben?

Ich habe angefangen zu komponieren, meine musikalischen Ideen umzusetzen. Habe sie dann meinen Freunden und Verwandten gezeigt. Danach habe ich sie auch online gestellt.

Also hat dir das Internet dabei geholfen?

In erster Linie hat mir der Zuspruch meines nahen Umfeldes geholfen. ,,Das hat was, mach weiter”.

Wie haben mehr Leute von dir erfahren? Schon durch das Internet oder?

Absolut richtig. Dank dem Internet erfährt man von mir in Bishkek oder Almaty und in anderen Teilen der Welt. Ich nutze alle Möglichkeiten der sozialen Medien.

Was hältst du eigentlich von diesen ganzen Möglichkeiten der sozialen Medien?

Ich sag mal so, ich bin kein großer Freund des Internets. Meiner Meinung nach arbeiten diese Möglichkeiten nicht zum Nutzen der Menschen. Die Frage ist, was wäre, wenn es das Internet nicht gäbe. Wie würden wir dann leben, hast du darüber mal nachgedacht?

Ich denke die Entwicklung des Internets war unvermeidlich.

Man hat das Internet erfunden, aber ich denke, man wird es noch weiter entwickeln und zu etwas Besserem bringen. Und Musiker wird es nicht dank des Internets geben, sondern wegen einer anderen, lebendigen Quelle. Ich wünsche mir, dass Musiker, die ohne Internet leben – und es gibt sie in Dörfern und Siedlungen – auch Musik leben, indem sie performen und singen.

Das können sie doch auch unabhängig vom Internet machen.

Ja das stimmt. Es stellt sich aber eine andere Frage: Wie herausfinden, ob du zu der Tätigkeit, die du anstrebst, geeignet bist oder noch nicht? Mit Hilfe von Kommentaren, Bewertungen, Austausch.

Ist dir Rückmeldung wichtig?

Ich bemühe mich, meinen Lieben Geschenke zu machen. Und diese Geschenke sollen nützlich, wohltuend und freudebringend sein. So ist es hier auch. Jeder Mensch möchte sich mit einer Arbeit beschäftigen, die eine Gabe seiner Natur ist und lebendige Wirkung zeigt. Das ist nicht nur für mich, sondern für viele Menschen wichtig, denke ich.

Machst du Musik für andere oder für dich?

In erster Linie muss der Mensch die Sachen natürlich für sich machen. Wenn du einen Tisch baust und er bei dir zu Hause steht, und du dann einen für deine Mutter, deine Schwester, deinen Onkel und so weiter baust, und alle dir sagen, wie toll er ist, so ist es an der Zeit zu überlegen, auch das nahe Umfeld damit zu erfreuen. Also mit den Tischen, die du für dich
gemacht hast.

Und wenn deine Tische den Zuspruch nicht erhalten würden – würdest du sie dennoch anfertigen?

Ohne fanatisch zu sein. Die Tische, die ich fertige – ich bezweifle, dass sie in Massenproduktion gehen werden. Ich bin mir sicher sogar (lacht). Ich bin mit dem zufrieden, was ich bekomme, und strebe nicht an, dass sie weltweit ein Hit werden.
Mir ist es wichtig, dass der Teekocher, den ich zu Hause habe, heißes Wasser gibt und mich in die Lage versetzt, dass ich Tee trinken kann. So ist es auch mit der Musik. Ich beschäftige mich damit, um meine Seele zu erfreuen und zu bereichern – in erster Linie für mein Leben.

Deine Texte sind nicht unbedingt leicht zugänglich. Ist es dir wichtig, dass die Leute deine Musik verstehen?

Ja, in der Tat. Es ist mir sehr wichtig. Ich bemühe mich, dass die Leute es verstehen. Ich kann nachvollziehen, dass es ihnen unverständlich sein kann.
Aber ich behaupte, die Mehrheit der Leute, die Antoha MC hören, verstehen, wovon er singt.

Warst du schon mal in Europa?

Ja, ich war in Riga auf einem Festival. Es ist ein Sommerfestival, das sich der Milchwirtschaft widmet. Kühe, Milch, Kefir, Rjaschenka und all diese Produkten. In Kiew war ich auch. Willst du wissen wie es war?

Ja.

Alles in allem leben dort auch Menschen, hören Musik. Man hat sich gefreut, mich zu sehen, und erneut eingeladen.

Und wie sieht es mit Westeuropa aus?

Nein, da war ich nicht. Es interessiert mich auch nicht sonderlich.

Warum nicht?

Ich weiß nicht, was sie dort haben. Viele meiner Bekannten fahren da herum, in Deutschland, in Frankreich. Natürlich bringen sie mir Magnete für den Kühlschrank mit. Und Fotos. Mehr nicht. Mir ist das irgendwie nicht so wichtig.

Was ist dir wichtig?

Nicht in die Ferne zu gehen. In der Nähe zu finden. Verstehst du, wovon ich spreche?

Meinst du, dass das Gute auch ganz nah sein kann?

Ja, in deinem Garten kannst du alles pflanzen, was deinem Leben nützlich ist. Im Großen und Ganzen so. Wir haben die Sonne. Ihren Auf– und Untergang. Wir haben Bücher, wir haben Balalaikas.

Was strebst du an?

Stark zu sein und mutig. Die Lieben zu erfreuen, ein Haus bauen. Eine Banja dazu. Marianna helfen. Die Eltern unterstützen. Fahrrad fahren und Sport treiben.

Deine Musik zeugt auch bei nachdenklichen Stücken von einer positiven Grundhaltung.

Die hellen Emotionen ziehe ich wahrscheinlich aus dem Verständnis, dass Güte, Friede und Freude die besten Mittel für ein gesundes und interessantes Leben sind.

Worin besteht die Schönheit des Lebens?

Hmmm…gibt es da mehrere Antwortoptionen?

Nein.

Dann…in der Möglichkeit zu leben.

Ina Hildebrandt

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