Eigentlich saß die Deutschstämmige Eva Becher (32) vor vier Jahren schon auf gepackten Koffern, um nach Deutschland auszuwandern, als sie Alex Neumann (33) traf und beschloss, mit ihm Musik zu machen. Ende April ist nun das erste Album der Gruppe „Goroda“ zu erwarten. Die Band gehört zu den Preisträgern des Wettbewerbes „Tag der offenen Tür“, organisiert vom Sänger der Moskauer Rocklegende „Maschina Wremeni“, Andrej Makarewitsch. Die Gründer der Almatyer Band „Goroda“ erzählen im Gespräch mit DAZ-Autorin Sylvia Scholz von den Problemen russischer Rockbands in Almaty.

Eure Band spielt jeden Freitag im Restaurant „Tynkoff“, allerdings fast ausschließlich Coverversionen in englischer Sprache. Singt Ihr nicht gern auf Russisch?

Eva Becher: Doch, natürlich. Unsere Auftritte im Tynkoff sind ein kommerzielles Projekt, mit dem wir Geld verdienen, um unsere eigene Musik schreiben und überhaupt ausschließlich von Musik leben zu können.

Alex Neumann: Kommerziell arbeiten wir mit vier Sängerinnen zusammen. Sie sind „Ausführende“, Medium, singen, was gewünscht wird. Unsere eigene Musik jedoch schreiben wir ausschließlich auf Russisch. Es wäre völlig unlogisch, in einer anderen Sprache zu schreiben, in anderen Sprachen zu singen, da wir doch auf Russisch denken, unsere eigenen Lieder singen.

Eva Becher: Nur von unserer eigenen Musik könnten wir aber nicht leben. Sie wird nicht im Radio gespielt, da wir nicht auf Kasachisch singen. Es besteht keine Nachfrage nach unserer Musik. Die Situation war besser als es noch „Unser Radio (Nasche Radio)“ gab. Dieser Radiosender hat ständig unsere Lieder gespielt. Es war jedoch kein kommerzielles Radio und wurde vor zwei Jahren geschlossen. In Almaty mochte man die Musik, die dort gespielt wurde, nicht. Östlicher Pop ist hier populär. Die Leute wollen zur Musik tanzen und nicht denken. Bauchtanz funktioniert aber nicht bei Rockmusik.

Seit wann gibt es Eure Band, und wer gehört alles dazu?

Alex Neumann: Zu unserer Band gehören der Schlagzeuger Kostja Simarin, der Gitarrist und Tontechniker Nikolai Serbin, Bassist Stas Tschastuchin, unsere Sängerin und Texterin Eva Becher und ich, Alex Neumann, Sänger, Texter, Komponist, Tontechniker und Pianist. Unsere Band gibt es seit 2003, als Eva und ich uns kennen gelernt haben. Wir trafen uns und wussten, dass wir unsere schöpferische zweite Hälfte gefunden haben. Eva, ursprünglich aus Karaganda und seit 2000 in Almaty, war schon auf dem Sprung nach Deutschland, aber konnte sich nicht dazu durchringen, loszufahren. So, als ob sie auf etwas warten würde. Ich selbst wollte eigentlich nach St. Petersburg auswandern und war nur für ein paar Wochen aus Aksai nach Almaty gekommen. In der ersten Woche unserer Bekanntschaft schrieben wir sofort zehn Lieder und fuhren eine Woche darauf zum Gruschenski-Festival bei Samara.

Eva Becher: Dort sind wir vor der Gitarrenlegende Iwan Smirnoff aufgetreten. Es hieß, wir dürften ein Lied spielen, und wenn die Leute nicht aufstehen und gehen, könnten wir weiter singen. Die Leute blieben, und wir wussten, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Unsere Musiker haben wir nach und nach gefunden. Anfangs spielten sie nur als Saisonmusiker mit uns, jetzt sind wir eine feste Band.

Warum habt Ihr Euch „Goroda“ genannt?

Alex Neumann: Wir lieben Städte – große, schöne Städte. Wir haben viele Lieblingsstädte, auch Almaty gehört dazu. Hier haben wir uns kennen gelernt, hier hat die Band ihren Anfang genommen. Überhaupt versuchen wir, in drei Städten – Almaty, St. Petersburg und Moskau – gleichzeitig zu leben. Wenn wir die Städte mit dem Kosmos vergleichen, so ist Almaty für uns der Mond. Moskau ist die Sonne, und die kasachische Erde ist das Weltall.

Wie würdet Ihr Eure Musik charakterisieren? Wovon handeln Eure Texte?

Alex Neumann: Unsere Musik könnte man als Ethno-Rock bezeichnen. Ich hatte eine sehr gute Klavierlehrerin. Sie stellte Kerzen auf das Klavier, zündete sie an, ließ mich die Augen schließen und die Musik fühlen. Vor allem deshalb mag ich auch heute noch Moll-Akkorde. Rock, das ist für mich Moll und Pop ist Dur.

Eva Becher: Unsere Texte sind durchaus auch politisch, oft taucht Nostalgie hintergründig auf. Wir singen von der Heimat, die uns abhanden gekommen ist. Eines Tages sind wir aufgewacht, und unser Land war verschwunden. Deshalb gibt es ein Lied, welches davon handelt. Für uns ist Moskau unsere Hauptstadt. Wir sind in der Sowjetunion aufgewachsen, dies war unsere Heimat. Jetzt sind wir wie Seelen, die noch keine Ruhe gefunden haben, wandern heimatlos zwischen Himmel und Erde dahin, können keinen Platz für uns finden. Wenn wir jetzt nach Russland fahren, so werden wir als Kasachen wahrgenommen. Hier in Kasachstan sind wir Russen, in einem fremden Land. Dazu kommt noch, dass ich als Russlanddeutsche früher immer als Faschist bezeichnet wurde, genauso wie meine Eltern und Großeltern. Unsere Vorfahren haben schon immer mit dem Grundgefühl gelebt, heimatlos zu sein. Aber für uns ist die Sowjetunion zur Heimat geworden. Würde ich nach Deutschland gehen, so würde ich dort als Russin betrachtet. Meiner Herkunft nach bin ich Deutsche, meiner Mentalität nach bin ich Russin. Wir wurden früher diskriminiert und wir werden heute diskriminiert. Wenn wir auf Kasachisch singen würden, würden sie uns kostenlos im Radio spielen. 50 Prozent der Musik im Radio muss kasachisch sein. Aber wir wollen nicht extra in einer bestimmten Sprache schreiben oder singen, um ins Radio zu kommen. Das wäre nicht ehrlich. Meine Eltern haben mir Schlaflieder auf Russisch vorgesungen, Russisch ist meine Muttersprache. Russische Lieder berühren mich, ich weine, wenn ich russische Musik höre. Alle andere Musik mag schön sein, aber ich verstehe sie nicht in dem Maße, wie ich meine eigene Sprache verstehe.

Mit welchem Lied seid ihr im Februar nach Moskau zu Andrej Makarewitsch, dem Sänger der Moskauer Band „Maschina Wremeni“, eingeladen worden und was war das für ein Projekt?
Alex Neumann: Die Band will junge Rockmusiker unterstützen. Sie hat einen Wettbewerb ausgeschrieben, an dem sich 15.000 russischsprachige Bands aus ganz Russland, Weißrussland, der Ukraine, Kanada, den USA und Israel beteiligt haben. 14 Bands wurden letztlich nach Moskau eingeladen, darunter wir. Wir haben uns mit dem Lied „Werny“, in dem es um Almaty geht, beworben. Wir hatten es vorher hier bei einem städtischen Wettbewerb eingereicht. Dann rief uns das Akimat an und meinte, dass wir unser Lied wieder abholen sollten, es würde nicht ins Format passen. In Moskau hat man das zum Glück anders gesehen.

Wie sehen Eure Pläne für die Zukunft aus?

Alex Neumann: Ende April wollen wir unser Album herausbringen. Bass und Schlagzeug sind schon aufgenommen, es fehlen noch Stimme und Gitarre. Wir planen drei Auftritte in nächster Zeit. Zuerst wollen wir natürlich unser Album präsentieren, vermutlich im Buch- und Musikladen „Meloman“. Dann wird es ein kleines Festival geben, wo wir zusammen mit anderen Bands auftreten wollen. Und außerdem planen wir ein Stück zusammen mit den Gabassow-Schwestern, die hier in Almaty als Vorreiter des modernen Tanztheaters in Kasachstan gelten.

Eva Becher: Wir haben schon mit ihnen bei dem Stück „Sneg“ im Deutschen Theater zusammen- gearbeitet, das gleichnamige Lied dazu geschrieben, und sie haben uns vorgeschlagen, doch weiter zusammen Projekte zu machen. Wir werden live spielen und sie wollen eine Performance dazu entwickeln. Wir sind überhaupt sehr offen für Experimente, haben auch schon mit dem Unabhängigen Theater Artischock zusammengearbeitet.

Alex Neumann: Vielleicht können wir auch ein Konzert im „Pjatj Oborotow“ organisieren. Wir würden den Saal sicher voll kriegen, da wir relativ bekannt sind unter denjenigen, die sich für russische Rockmusik interessieren. Im Sommer sind wir beim Festival „Biberdance“ am Kaptschagai-See zusammen mit „Tancy Minus“ und „Juta“ aus Moskau und „Motorroller“ aus Kasachstan aufgetreten. Zum großen Almatyer Festival „Naschestvie“ im Juni waren wir eingeladen, aber unsere Musiker hatten aufgrund anderer kommerzieller Verpflichtungen keine Zeit. Aber im Herbst beim Tynkoff-Festival Almatyer Bands war der Saal krachend voll, als wir an der Reihe waren. Wenn unser Album fertig ist, werden wir damit auf Festivals fahren und uns auf den Weg nach Moskau machen.

Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg für Euer Album!

07/04/2007

Teilen mit:

Все самое актуальное, важное и интересное - в Телеграм-канале «Немцы Казахстана». Будь в курсе событий! https://t.me/daz_asia