Sechs bis sieben Prozent Wirtschaftswachstum in den kommenden drei Jahren hören sich auf dem Papier großartig an. Doch was, fragt Kolumnist Bodo Lochmann, wenn die Inflation in Kasachstan genauso schnell wächst wie die Löhne?

Prognosen über die Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft braucht jede Regierung. Sie werden auch in allen Ländern mit mehr oder weniger großer Häufigkeit und Genauigkeit erstellt. In Deutschland sind dafür vor allem unabhängige Forschungsinstitute verantwortlich, die der Regierung durchaus konkurrierende Prognosevarianten vorlegen. Die meist dicken Vorlagen werden als Arbeitspapiere genutzt, sie verschwinden in der Regel aber mehr oder weniger schnell in den Schubladen. Meist werden die Eckdaten vorher jedoch dem interessierten Publikum über Fachzeitschriften mitgeteilt. In Kasachstan ist das prinzipiell nicht anders, hier bemüht man sich jedoch, die Prognosen als Nachweis einer erfolgreichen Entwicklung des Landes darzustellen, also auch propagandistisch auszunutzen.

Ende August hat sich nun die Regierung Kasachstans mit der Entwicklungsprognose für die nächsten drei Jahre beschäftigt. Danach soll das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zunächst sechs Prozent pro Jahr und im Jahr 2015 sieben Prozent betragen. Das sind durchaus stolze Zahlen, schließlich setzen Optimisten das durchschnittliche Wachstum der Weltwirtschaft mit höchstens vier Prozent an. Andererseits musste die Regierung gerade die Wachstumsprognose für das laufende Jahr von sechs Prozent auf 5,8 Prozent absenken, vor allem, weil die Ölförderung infolge verschiedener Probleme im neuen Ölfeld Kaschagan nicht so schnell steigt, wie ursprünglich angedacht.

Generell macht das Öl, vor allem sein Preis, Probleme bei der Erarbeitung der Wachstumsprognosen. Welchen Ölpreis soll man ansetzen – 90 Dollar, 100 Dollar oder mehr?

Zwar ist es prinzipiell erst einmal richtig, pessimistisch heranzugehen, also zum Beispiel 90 Dollar zu nehmen (aktuell liegt der Ölpreis bei 115 Dollar), dann muss man aber später alle Finanzdaten nach oben korrigieren. Für die Statistik mag das gut sein, für eine Reihe von Finanzprozessen nicht unbedingt. Auf jeden Fall aber ist eine Korrektur nach oben besser als eine nach unten.

Im Moment jedenfalls stagniert die Ölförderung bei etwa 80 Millionen Tonnen pro Jahr. Damit ist das vor noch ein paar Jahren verkündete Ziel der Steigerung der Ölförderung auf 150 Millionen Tonnen endgültig Fantasie. Der Ölsektor wird allerdings wachsen, wenn auch ziemlich verhalten. Die notwendigen Investitionssummen für die Erschließung neuer, komplizierter Förderstätten sind eben gewaltig, und die technologischen und ökologischen Probleme sind es ebenso. Generell bleibt das Öl bis 2015 eindeutig der zentrale Wirtschaftsfaktor Kasachstans. Zwar soll auch die verarbeitende Industrie – die klare Schwachstelle der hiesigen Wirtschaft – wachsen, jedoch sind hier die Wachstumsziele wesentlich bescheidener geworden, als noch mit der „Strategie der industriell-innovativen Entwicklung“ angekündigt und geplant. Wunschpläne lassen sich eben ziemlich leicht aufstellen, ihre Realisierung ist dann eine absolut andere Story.

2015 – so die aktuelle Prognose – soll dann das BIP pro Kopf bei 15 000 Dollar pro Jahr liegen. Das ist sicher erreichbar, vielleicht schon etwas früher. Dieses quantitative Ziel hatte ja der Präsident in einer seiner Botschaften an das Volk gestellt und damit einen Ruck bei der Erhöhung des materiellen Wohlstands der Bevölkerung angemahnt. Nun ist das BIP bekanntlich nicht das Einkommen der Gesellschaft, weil darin der gesamte Produktionsverbrauch steckt, der ja nicht ein zweites Mal konsumiert werden kann. Schaut man sich die Randzahlen zum BIP und zu den verschiedenen Einkommenskategorien (Inflation, Lohn, Renten, Sozialleistungen) genauer an, fällt schnell ins Auge, dass sich diese Größen ziemlich genau im Tempo des BIP-Wachstums entwickeln. So soll die Inflation nach wie vor auf dem schon länger gegebenen Niveau von 6 bis 8 Prozent bleiben, was dann gerade zum Inflationsausgleich für den geplanten Einkommenszuwachs (geplanter Lohnzuwachs: etwa 7 Prozent) reicht. Ade also, Ruck in der Wohlstandserhöhung – zumindest für den Durchschnitt. Der aber sagt ja nicht alles.

Bodo Lochmann

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