Der Ethnologe Jesko Schmoller (29) lebt seit Sommer 2006 in der usbekischen Hauptstadt Taschkent. In seinem fünften Bericht beschreibt er ein unangenehmes Aufeinandertreffen.

Nun steht sie so nahe, dass sie mein Knie berührt. Ich sitze auf einem Stuhl, sie schiebt sich von der Seite heran. Hätte ich ja auch nichts gegen einzuwenden, wenn sie vierzig Jahre jünger wäre, lange Beine und andere Motive hätte. Die alte Dame vor mir, nennen wir sie Professor Quecksilber, möchte allerdings ganz und gar keinen Kontakt mit mir aufnehmen. Sie will sich mit meiner Sitznachbarin, der Leiterin einer deutschen Stiftung, unterhalten, mit der ich soeben noch im Gespräch war. Dann unterbrach Professor Quecksilber – selbstverständlich ohne sich zu entschuldigen, meine Unperson keines Blickes würdigend – die Unterhaltung und begann das Schiebemanöver. Nach zehn Minuten des Wartens auf ein Ende ihres Wortstromes, in denen ich genug Zeit habe, abwechselnd die in Grüppchen stehenden Empfangsgäste und den geschwulstartigen braunen Fleck am Hals von Professor Q. zu betrachten, räume ich das Feld und ziehe mich in Richtung Getränke zurück. Was für eine Frechheit, diese Aktion. Das Fazit des Abends, das ich aus der russischen Nationalität von Professor Q. ableite, lautet: Von allen Formen der Arroganz ist die russische die am meisten ausgereifte. Die Zurschaustellung amerikanischer Arroganz beginnt mit eisiger Herzlichkeit gefolgt von Nichtbeachtung, die Briten lassen der Nichtbeachtung etwas ironischen Spott vorangehen. Als Russe verzichtet man schlichtweg darauf, der Nichtbeachtung ein soziales Äußeres zu geben und geht gleich dazu über, den Unwürdigen zu ignorieren, so wie Professor Q. schon zu Beginn des Abends meinen Gruß geflissentlich überhört hat.

Nur gut, dass ich meine Usbeken habe, bei denen es keine Arroganz gibt, denke ich mir, als ich wieder daheim in der Mahalla bin. Mein Gastbruder Anwar wärmt mir eine große Portion Plow auf und erzählt, dass einer meiner Deutschschüler angerufen hätte. Anlass genug für ihn, sich über die Sprechweise der „Dörfler“ zu amüsieren. Meine Schüler, die allesamt nicht aus Taschkent kommen, lösen in meiner usbekischen Gastfamilie regelmäßig eine allgemeine Erheiterung aus. Der Auslöser ist für mich grundsätzlich nicht zu erkennen, mal soll es die Sprache sein, mal die Kleidung, dann wieder etwas anderes. Ich muss mein Fazit also zu so später Stunde noch einmal überarbeiten: Auch meine für ihre Gastfreundschaft und Kameradschaftlichkeit von mir hochgeschätzten Usbeken sind nicht frei von Arroganz. Ist mir bislang völlig entgangen, weil es mich wohl nicht persönlich betroffen hat. Und nun, dreimal versprochen, der Schlusssatz mit darin enthaltender Moral (wenn auch nicht gereimt): So sehr es auch weh tut, ein Schnitt ab und an verhilft zu einem gesunden Sinn fürs Reale.

Von Jesko Schmoller

07/04/2007

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