Unser Autor besucht einen Kirgisistandeutschen und seine lettische Partnerin in der deutschen Kleinstadt Siegburg. Das Paar sorgt für kulinarische Heimatgefühle.

Auf der Speisekarte des Imbiss stehen 29 Gerichte, die ehemaligen Sowjetbürgern bekannt sein dürften. | Foto: Josef Bata

Siegburg, mit seinen vierzig tausend Einwohnern, liegt im Rhein-Sieg-Kreis, etwa fünfzig Kilometer südlich von Köln. Bis auf den alljährlichen, weitaus berühmten mittelalterlichen Weihnachtsmarkt und dem ehemaligen Benediktinerkloster auf dem Berg, gehört sie zu den gewöhnlichen, uninteressanten Kleinstädten Deutschlands. Seit vier Jahren gibt es dort aber etwas Besonderes: in einer kleinen Imbissbude werden mit viel Liebe und Sachkenntnis verschiedene, sehr schmackhafte russische Speisen zum sofortigen Verzehr oder zum Mitnehmen zubereitet.

Auf der Speisekarte von Ligita und Valerij stehen nicht weniger als neunundzwanzig für den ehemaligen sowjetischen Raum typische Gerichte zur Auswahl. Es genügt ein Blick in das ausliegende Faltblatt und es werden alle, auch nicht russisch sprechende Kunden, sofort verstehen, dass Beljashi russische Hamburger, Tschebureki eine Art russische Pizzataschen oder Piroschki frittierte Teigtaschen mit verschiedenen Füllungen sind. Es ist etwa vier Uhr nachmittags, Valerij Kalbach gönnt sich eine kleine Pause und ist bereit, uns einige Fragen zu beantworten. Ligita bleibt aber am Tresen, um die Kundschaft mit leckeren Speisen zu versorgen. Sie hört aber ebenfalls interessiert zu.

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”Liebe geht durch den Magen” – davon ist das Paar überzeugt. | Foto: Josef Bata

„Geboren bin ich vor sechsundfünfzig Jahren in Kirgisistan in einer deutschen Familie“ fängt Valerij mit seiner Erzählung an. „Vor meiner Umsiedlung nach Deutschland, im Jahre 1990, habe ich in der lettischen Stadt Riga gelebt und mich dort zum Koch ausbilden lassen.“ Nicht nur er, auch Ligita hat damals eine Ausbildung zur Köchin gemacht. Sie hat dort jahrelang als Sterneköchin in einem Restaurant gearbeitet. „Wir waren schon damals gute Kollegen“, erinnert sich die gebürtige Lettin mit strahlenden Augen. Das Leben spielte aber nach seinen eigenen Regeln, so dass sich ihre Wege für einige Jahre trennten.

„Dank moderner Kommunikation haben wir uns aber auf der Internetseite ‚Odnoklassniki‘ wiedergefunden“, fügt Ligita lächelnd hinzu. Sie steht nunmehr fast vier Jahre im wahrsten Sinne des Wortes mit beiden Füßen nicht nur in der russischen Imbissbude sondern auch im privaten Leben an der Seite von Valerij: die beiden sind Lebens– wie auch Geschäftspartner. So können sie das Sprichwort „Liebe geht durch den Magen!“ mit Überzeugung bestätigen.

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Kulinarisches Fernweh stillen

Der Imbisswagen steht nicht zufällig dort, wo er heute steht. Kunden sind ebenfalls Besucher des ‚Mix Markts‘, eines großen Supermarkts nebenan, mit zahlreichen original russischen und mittelasiatischen Lebensmitteln zu weit günstigeren Preisen, als in den einheimischen Läden von Siegburg. Daher ist der Kundenandrang täglich, aber insbesondere am Wochenende nicht klein. Dies kommt natürlich dem Geschäft von Ligita und Valerij zugute.

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Der Imbiss und sein lukrativer Standort am russischen Supermarkt. | Foto: Josef Bata

Schon lange kooperierten sie mit dem Supermarktbesitzer, so Valerij: „Wir mieten von ihm den Platz für unsere Imbissbude. Seine Kunden sind meistens auch unsere Kunden“. Am Anfang war das nur ein Verkaufswagen mit Küchenbereich, mittlerweile ist aber aus der Bude eine Stube geworden. Es gibt dort Tische und Bänke, wo man die frisch zubereiteten Speisen vor Ort verzehren kann.

Von außen ist die überdachte Terrasse mit angenehm duftenden Blumen geschmückt. Man merkt, dass Ligita nicht nur gründliche Kenntnisse vom Kochen, sondern auch Talent fürs Interieur hat. Sie weiß auch worauf es ihren ehemaligen Landsleuten ankommt. „Am meisten sind bei uns Schaschliki, Piroschki, Pelmeni, Wareniki, wie auch Manty, Pigodi oder Tschebureki gefragt“, hebt sie hervor. „Natürlich bieten wir auch Soljanka, Okroschka und im Winter Lagman und Hartscho an.“ Zwiebelsalat mit Tomaten, Weißkohlsalat, eingelegte Gurken aber auch Holodez (russische Sülze) dürfen auf der Speisekarte nicht fehlen.

”Heiße Piroschki” – Ligita und Valerij fanden nach über 20 Jahren wieder zusammen. | Foto: Josef Bata

Einen leichten Job haben die beiden sicherlich nicht. Stundenlang in der Imbissküche stehen, wobei auch die beiden Hände stark beansprucht sind: die ausstrahlende Wärme vom Gasherd und die verschiedenen Gewürze machen müde. „Die ersten zwei bis drei Jahre waren anstrengend, auch der Umsatz konnte nur allmählich gesteigert werden. Aber ab diesem Jahr sind schon Gewinne zu verzeichnen“, sagt Valerij mit einem zufriedenen Gesicht. Das erklärt auch, dass sich die beiden Köche einen gemütlichen Urlaub an dem berühmten und malerischen Gardasee in Italien nicht zum ersten Mal gönnen. So kehrten sie gerade von dort gut erholt zurück.

Nach Kirgisistan, in die alte Heimat, reist Valerij nicht mehr zurück. Alle seine Verwandten sind bereits seit Jahren nach Deutschland ausgereist. In Lettland war er vor einigen Jahren zu einem Kurzbesuch. „Ich habe hier schon Fuß gefasst, fühle mich gut integriert“, betont er.

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Auch wenn er immer wieder mit den Kunden Russisch spricht, unsere Fragen beantwortete er stets und fast akzentfrei auf Deutsch. Nun wendet er sich wieder der Arbeit in der Imbissküche zu, denn Ligita hat alle „Piroschki s kapustoj“ verkauft. Das Öl in der Pfanne kann wieder erhitzt werden.

Josef Bata ist ein gebürtiger Ungar und lebt seit 37 Jahren in Deutschland. Er ist unter anderem freier Journalist für diverse Medien. Einer seiner Schwerpunkte sind die in Mitteleuropa und Zentralasien lebenden Deutschen. Hauptberuflich ist Bata Internetredakteur im Bereich Bevölkerungs– und Katastrophenschutz in Bonn. Auch für die DAZ verfasst er Beiträge.

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