Die Erkenntnis, das Bildung und nicht die Verfügung über Rohstoffe langfristiger Wachstumsfaktor Nummer 1 für die Wirtschaft ist, ist mittlerweile auch in Kasachstan ein allgemein anerkanntes Gut. Entsprechend werden auch die Fragen der Verbesserung des Bildungssystems stärker als noch vor 5, 6 Jahren beachtet und angegangen. Sowohl in organisatorischer, als auch in inhaltlicher und finanzieller Hinsicht ist da schon eine Menge passiert, auch wenn man jederzeit mit Leichtigkeit Kritikpunkte finden kann.

Nun steht aber ein wahrer Härtetest im Hochschulwesen bevor: der Übergang auf das angloamerikanische System des dreistufigen Bildungsweges (Bachelor, Master, Doktor). Dieses System sieht vor, dass die erste Stufe der Hochschulausbildung in drei bis vier Jahren Absolventen mit dem Abschluss Bachelor hervorbringt, die ausreichend praktisch orientiert studiert haben, und die sofort nutzbringend in Unternehmen arbeiten zu können. Derjenige, der weiterstudieren möchte, kann danach in zwei weiteren Jahren seinen Masterabschluss machen. In dieser Phase soll vor allem das komplexe wissenschaftliche Denken und Handeln erlernt werden, während in der letzten möglichen Phase (PhD-Phase) eine eigene wissenschaftliche Arbeit (Doktorarbeit) vorzulegen ist, die wesentliche neue wissenschaftliche Erkenntnisse enthalten muss.

Die Studiengänge sind dabei modular und international abgestimmt aufzubauen, so dass der Student ohne besondere Probleme zwischen verschiedenen Hochschulen in verschiedenen Ländern wechseln kann und dennoch sein normales Studienpensum erfüllt, letztlich egal wo. Das Studium wird also wesentlich differenzierter und internationaler verlaufen als bisher. Endlich – aus meiner Sicht.

Über das für Europa neue System, zu dem sich fast alle Staaten im sogenannten Bologna-Prozess verpflichtet haben, gibt es auch in Deutschland eine Vielzahl von Diskussionen. Da werden vor allem Ängste hinsichtlich eines angeblichen Qualitätsverlustes laut, die Vorteile des deutschen, hierzulande des sowjetischen Diploms werden hervorgehoben und anderes mehr.
Natürlich hat jedes Bildungssystem seine Vor- und Nachteile. Sicher ist es nicht einfach, eine solide, praxisorientierte Ausbildung innerhalb von nur drei Jahren zu realisieren. Doch hinter den Widerständen steht zum Großteil eher der Unmut, dass es sich um das amerikanische Modell handelt, vor allem aber, dass damit viel Arbeit verbunden ist. Schließlich müssen alle Lehrpläne grundsätzlich umgebaut werden. Gelingen kann diese verstärkte Praxisorientierung der Lehre allerdings nur, wenn auch Praktiker ein Wörtchen bei der Gestaltung der Ausbildungsinhalte mitreden. Das ist hierzulande leider viel zu selten anzutreffen. So waren kürzlich während einer gemeinsamen Konferenz von Bildungseinrichtungen, Bildungsministerium und Unternehmerverband zu Fragen der Veränderungen im Bildungswesen von etwa 600 Teilnehmern nur etwa 30 Unternehmer anwesend. Wie aber soll ohne deren Hinweise der Ausbildungsprozess verbessert werden? Schimpfen über die unzureichende Qualität der Hochschulabsolventen ist sicher einfach, konstruktive Mitarbeit wesentlich schwerer.

Wohltuend allerdings war, dass seitens der Teilnehmer kaum ideologisch bedingte Widerstände gegen das künftige Ausbildungssystem formuliert wurden. Die Unternehmer betonten, dass es ihnen eigentlich egal ist, wie der Abschluss, den die neuen Mitarbeiter von den Hochschulen mitbringen, heißt. Entscheidend für sie ist möglichst praxisorientiertes Wissen und die Fähigkeit der Absolventen, sich schnell in neue Fragestellungen hineinarbeiten zu können. In dieser Hinsicht hat das aktuelle, noch stark sowjetisch geprägte Bildungssystem Kasachstans wesentliche objektive Nachteile aufzuweisen. Deren Auflösung kann einen Betrag leisten, um, wie gewünscht, irgendwann einmal zu den 50 konkurrenzfähigsten Ländern der Welt zu gehören.

Bodo Lochmann

12/05/06

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