Am 11. Juni ist es wieder so weit – die Fußball-Weltmeisterschaft wird im südafrikanischen Johannesburg angepfiffen. Dann werden die Deutschen längst ihre schwarz-rot-goldenen Fahnen wieder aus den Schränken gekramt haben und können ihren Patriotismus ungeniert ausleben.

/Bild: pixellio/

Der Blick ist auf die Leinwand gerichtet: die Mannschaften betreten das Spielfeld, die deutsche Nationalhymne wird angestimmt und plötzlich singen hunderte Menschen um einen herum voller Stolz die Nationalhymne mit. Wenn man den Blick schweifen lässt, sieht man ein schwarz-rot-goldenes Fahnenmeer. Nach dem Anpfiff verfolgen alle gespannt den Verlauf des Spiels. Endlich – das erste Tor für Deutschland ist gefallen. Menschen, die sich vorher noch nie begegnet sind, liegen sich jubelnd in den Armen. Nach Ende des Spiels ziehen hupend Autokorsos durch deutsche Innenstädte. Überall sieht man jubelnde Menschen. So etwas hatte es in Deutschland nach der Wiedervereinigung nicht mehr gegeben. So war public viewing während der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland.

Die Last der deutschen Geschichte

Die Weltmeisterschaft im eigenen Land hatte eine unglaubliche Wirkung auf die deutsche Bevölkerung und führte zu einem Aufflammen des Patriotismus, aber auch zu einer neuen Patriotismusdebatte. Innerhalb Deutschlands wurde diskutiert, wie viel Patriotismus gut sei und wie viel erlaubt. Dabei wurde das neu entdeckte Nationalgefühl der Deutschen weltweit sehr positiv aufgenommen.

Nationalgefühl – beim Sport und auch allgemein – hat es in dieser Art in Deutschland lange nicht gegeben. Jahrzehntelang konnten sich die Deutschen nur sehr wenig mit ihrer Nation identifizieren. Zu schwer lastete ihre Geschichte auf ihnen – die Erfahrungen aus dem Dritten Reich. Angesichts der massiven Politisierung des Sports durch die Nationalsozialisten hatte sich die Politik der BRD stark vom Sport distanziert. Auch war die nationale Identität der Deutschen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs völlig zerstört. Erst der unerwartete Sieg der deutschen Nationalmannschaft bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1954 in der Schweiz – das „Wunder von Bern“ – hatte eine immense Wirkung auf das Selbstbewusstsein der Deutschen. Dieser Sieg half ihnen, sich wieder stärker mit ihrer Nation auseinanderzusetzen und Patriotismus aufkommen zu lassen – etwas, woran nach dem Krieg überhaupt nicht zu denken war.

Neuer erwachter Nationalstolz

Eine vergleichbare Wirkung hatte die Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland. Laut der Allbus-Studie von 2006 ist der Anteil der Deutschen, die erklärten, „sehr stolz“ oder „ziemlich stolz“ auf ihr Land zu sein, von 71 Prozent vor der WM 2006 auf 78 Prozent während der Weltmeisterschaft gestiegen. Der Psychologe Stephan Grünewald, der sich unter anderem mit der Erklärung kultureller und gesellschaftlicher Phänomene auseinandersetzt, erklärte diese Verhalten in einem Interview gegenüber der „Welt“ damit, dass auf politikfernen Feldern die Sehnsucht nach einem Nationalgefühl unbelastet ausgelebt werden könne. Fußball sei dafür besonders geeignet.

Allerdings ist der Prozentsatz all derer Deutschen, die sehr bzw. ziemlich stolz auf ihr Land seien, nach der Weltmeisterschaft wieder auf 72 Prozent gesunken. Dies zeigt, dass die Deutschen im Umgang mit nationalen Symbolen und in ihrem Nationalgefühl noch immer sehr vorsichtig sind, was der deutschen Geschichte geschuldet ist. Wohingegen sportliche Ereignisse, wie beispielweise die Fußball-Weltmeisterschaften, eine willkommene Gelegenheiten bieten, um unbefangen patriotisch zu sein.

Von Antje Pfeifer

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