Wir reden anders als wir schreiben. Das ist wohl wahr und wahrlich auch keine neue Erkenntnis. Aber wenn wir dann das, was wir ausgesprochen haben, Schwarz auf Weiß geschrieben sehen, wollen wir das so nicht gesagt haben. Haben wir aber, genau so.

Da lässt sich nur selten ein zusammenhängender Satz finden, den man auch ordentlich beendet, in dem alle Satzteile, die ein Satz braucht, um als Satz bezeichnet zu werden, vorhanden sind; und zwar in der richtigen Reihenfolge. Beim Reden fallen einem immer noch andere Aspekte ein, die man auch unbedingt sagen will. Die werden dann schnell eingeflochten, angehängt, anderes dafür ausgelassen, wie es grad mit einem durchgeht. Unbeendete Sätze sind der Klassiker. Und da man am liebsten das Wichtigste zuerst sagt, so lange einem der Zuhörer noch annähernd zuhört, bringen wir die gesamte Satzkonstruktion durcheinander, so dass sich unsere gestrengen Deutschlehrerinnen im Grabe umdrehen würden, könnten sie hören, wie wir uns selbst das Wort im Mund herumdrehen. Und jeder hat sie – die sprachlichen Ticks, seine ganz speziellen Wörter, die sich in beinahe jeden Satz schlingeln; meist Platzhalter, Füllwörter, Aufweicher wie „halt“, „eben“, „irgendwie“ oder „angeblich“. Auch interessant, wie wir unsere Sätze enden lassen, ob mit „!“ oder ob wir nach Bestätigung heischen: „Ne?“ Was wir sagen, sagt viel über uns aus, und immer wieder wundern wir uns darüber, also über uns selbst. Ja, hören wir uns denn selbst gar nicht zu? Scheinbar nicht. Aber müssen wir ja auch nicht, so lange uns andere zuhören. Beim Sprechen geht es meist nicht darum, druckreife, schöne Formulierungen zu produzieren, es sei denn man will Dichterpreise gewinnen oder Herzen brechen. In diesem Fall sollte man aber lieber schweigend schreiben oder die Augen sprechen lassen. Aber meist wollen wir uns einfach nur verständlich machen. Und seltsamerweise – im gelebten Gespräch versteht der Zuhörer meist, was wir meinen, weitgehend zumindest. Irgendwie bringt man das, was man eigentlich sagen will, wenn man es schon nicht verständlich ausspricht, eben anders zum Ausdruck – in dem man mit den Armen rudert und fuchtelt, die Augen verdreht, blinzelt, zwinkert, die Stimme hebt und senkt, mit der Zunge schnalzt oder mit dem Fuß aufstampft. Und wenn das alles noch nichts nützt, schalten wir eben die übersinnliche Gedankenübertragung oder erdverbundene Arroganz mit ein. Denn meist wissen wir ja im Voraus, was der andere sagen will. Und so haspeln und stottern wir uns durchs Leben. Und es kommt noch schlimmer. Denn in all dem sind die vielen „Äh´s“, „Em´s“ und Räuspergeräusche noch nicht mitgerechnet. Nun, sicher, es gibt auch Menschen, die sprechen gestochen scharf, da ist jedes Wort richtig platziert, keine Silbe überflüssig, ihre Zunge führt sie sicher an den Untiefen der Haspelei vorbei. Doch diese Veranlagung ist nur wenigen gegeben. Wie wohl unsere Sprachmeister, die Dichter und Denker aus Vorzeiten, aussprachen, was sie nicht schrieben? Vielleicht haben sie auch ihre Aussagen mit vielen „Ems“, „Hms“ und „Üms“ angereichert. Wer weiß, vielleicht war Schiller ein Lispler, Goethe ein Stotterer und Heine ein Haspler? Besser, dass wir darüber nichts wissen.

Julia Siebert

03/08/07

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