Engagement für Ältere – E. Barbara Sawade setzt sich als SES-Expertin vom Senior-Expert-Service und als Mitglied der BAGSO (Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen in Deutschland e. V.) für Projekte mit, für und von älteren Menschen ein. Auch in Kasachstan möchte sie einige Ideen gemeinsam mit der kasachstandeutschen Minderheitsvertretung „Wiedergeburt“ und anderen Partnern anregen.

DAZ: Hilfe zur Selbsthilfe – das ist das Motto des Senior-Experten-Service (SES). Was genau verstehen Sie darunter?

Elvira Barbara Sawade: Hilfe zur Selbsthilfe heißt, Erfahrungen austauschen, Anstöße geben und gemeinsam eine Initiative auslösen. In Kasachstan und im Deutschen Haus wird im Dialog mit anderen aktiv gearbeitet – vielleicht interessieren aber hier einige Initiativen, die wir in Deutschland durchführen. Das europäische Leben und Arbeiten ist für Kasachstan interessant, habe ich festgestellt. Und so bin ich durch SES und das deutsche Haus gebeten worden, mit meinen Erfahrungen und meinem Wissen die Seniorenarbeit in Deutschland hier vorzustellen und gemeinsam etwas zum Wohl der Älteren zu initiieren, aber auch Wege aufzuzeigen, wie Sie hier neue Partner für Ihre Arbeit finden könnten.

Der Senior-Experten-Service ist einer der insgesamt 110 Seniorenverbände der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisation (BAGSO), in dem wir uns als Ältere in der Gesellschaft engagieren und unser Wissen und unsere Lebenserfahrung weitergeben.
Das ist ein Moment, der auch für Kasachstan interessant sein könnte: Das Potential und das Wissen der Älteren sollte mehr genutzt werden, um mit der jüngeren Generation zusammenzuarbeiten, die Zukunft nicht nur für das Alter, sondern auch für die Jungen zu gestalten. Ähnlich wie SES-Experten in Deutschland können auch in Kasachstan Ältere als Berater in den Gemeinden und Städten, im Bildungswesen, vor allem in der Schule und Berufsausbildung tätig sein. Meiner Meinung nach könnte daher das zweite Credo des SES „Zukunft braucht Erfahrung“ auch ein Motto in Kasachstan werden. Das ist sicher nichts Neues, denn die Deutsch-Kasachische Universität gibt gute Beispiele, die man fortführen könnte. In Kasachstan gibt und gab es viele Reserven, die Gesellschaft gemeinsam auch im Dialog mit den staatlichen Einrichtungen in der Zeit der Marktwirtschaft zu gestalten. Zum Beispiel arbeiten Städte gemeinsam mit den Älteren an dem Thema „Alternsfreundliche Städte und Gemeinden“. Nicht altersfreundlich, weil ja junge Menschen und Behinderte auch gut in einer barrierefreien Umwelt leben können, also ein Programm, das die Gegenwart mit der Zukunft verbindet. Daher ist Lernen ein lebenslanges Thema.

Waren Sie selbst im Bildungswesen als Senior-Expertin tätig?

Als Senior-Expertin habe ich an zwei Schulen in Deutschland eine Schulbibliothek eingerichtet und dabei Kontakt zu Schülern unterschiedlichster Herkunft gehabt, wie z.B. aus Pakistan, Afghanistan oder Russland. In einer anderen Schule habe ich für Schüler Lesehilfen gegeben.

Wie beeinflusst die Unternehmensphilosophie des SES „Zukunft braucht Erfahrung“ Ihre Arbeit? Was sind die wichtigsten Gründe für Ihr Engagement in SES und BAGSO?

Wer etwas für andere und die Gesellschaft tut, hilft auch sich selbst. Man findet Kontakte, Anerkennung, Gesprächspartner und ist nicht einsam. Mein Engagement in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisation kommt mir hier sehr zugute: Durch meine Erfahrung im Bereich der Seniorenarbeit in der BAGSO als auch im SES konnte ich mir einen umfangreichen Überblick über zahlreiche, unterschiedliche Aktivitäten für Ältere, mit Älteren, durch Ältere und im Dialog mit Jüngeren in der Bevölkerung verschaffen.

Auf Ältere kann man sich verlassen, da sie Lebens- und Menschenerfahrung vorweisen können. Durch ihr Engagement – nicht nur in Deutschland, sondern auch hier und in anderen Ländern der Erde – ist die Erfahrung der Älteren wertvoll.

Freiwilliges Engagement ist ehrenamtlich und ohne Entgelt – aber oft ergibt sich daraus eine bezahlte kleine Tätigkeit. Das betrifft mich persönlich auch, denn ich bin sehr froh, bei der BAGSO einen Zuverdienst neben der Rente zu haben. Und für meine Zeit jetzt hier habe ich freie Tage genommen.

Frau Sawade, Sie sind das erste Mal in Kasachstan. Worauf kommt es Ihnen in diesem SES-Einsatz an?

Ja, das stimmt, ich habe bislang noch keine Kasachstan-Erfahrung und bin erst eine Woche hier in Almaty. Insgesamt ist mein Einsatz für drei Wochen geplant.

Meine Kontakte beschränken sich bislang auf das Deutsche Haus. Die Assoziation der Deutschen „Wiedergeburt“ vertritt ja bekanntlich die Interessen der einzelnen regionalen „Wiedergeburts“-Gesellschaften im ganzen Lande.

Es geht mir während meines Kasachstan-Aufenthalts darum, neue Projekte für die deutsche Minderheit zum einen und – in Verbindung damit – zum anderen für Ältere in Kasachstan anzuregen. Meine Empfehlung: Ältere in die Projektarbeit zu integrieren und mit einzubeziehen. Ich hoffe, dass wir einige Projekte gemeinsam mit den hiesigen Behörden und Ministerien anregen können.

Nach der großen politischen und gesellschaftlichen Wende 1990 konnte ich soziale Projekte in Lettland, Georgien und Bulgarien sowie in Serbien beraten. In diesen Ländern habe ich verschiedenste Erfahrungen gemacht und festgestellt, dass die Menschen dort auch von Europa lernen und sich Europa angleichen möchten. Es ist von maßgeblicher Bedeutung, auf die einzelnen landestypischen kulturellen Gegebenheiten, Bedürfnisse und Gewohnheiten einzugehen. Die Bewohner dieser Länder hinterfragen auch kritisch Entscheidungen und schauen, was sie von westlichen Erfahrungen für sich nutzen können. Es ist wichtig, dass neue Schritte gewagt werden und diese Länder von den Erfolgen anderer profitieren. Auch Seniorexperten nehmen gern die Erfahrungen der Länder mit nach Hause.

Welche Ziele haben Sie sich gesetzt, welche Projekte möchten Sie genau verwirklichen?

Zum einen möchten wir einen Austausch mit einem Verein in der Altenpflege in Deutschland anregen, zum anderen die Unterstützung der deutschen Stiftung „Erinnerung und Zukunft“ erbitten. Die Robert-Bosch-Stiftung in Deutschland unterstützt weltweit Weiterbildungen; es wäre schön, auch hier eine Verbindung herzustellen, um den Besuch der internationalen Altenpflegemesse 2013 in Nürnberg für einige Fachkräfte zu ermöglichen.

Während meines Kasachstan-Aufenthaltes habe ich mir als Ziel gesetzt, dass ich dazu inhaltliche Gedanken zu Papier bringe und gemeinsam mit den Partnern Konzepte ausarbeite.
Die Projekte des SES konzentrieren sich in Kasachstan zum größten Teil auf den Dienstleistungssektor. Eine Nische stellen Dienstleistungen für Ältere dar, wie z.B. Essen-auf-Rädern. Oder Serviceleistungen im Gesundheitswesen, indem sich um die Älteren in den einzelnen Regionen stärker gekümmert werden kann. Wie ich erfahren habe, wird das bereits von den regionalen „Wiedergeburts“-Z entren realisiert.

Wichtig ist, in Kasachstan nach den staatlichen Erfolgen der letzten zwanzig Jahre auch den Sozialbereich und die Altenarbeit, das Leben der Älteren und Behinderten lebenswert zu gestalten und über die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten allseitig zu informieren.

Diese Maßnahmen erfordern allerdings einen hohen Aufwand an finanziellen Mitteln, was oftmals nicht so gern berücksichtigt wird. Denken Sie z. B. an Barrierefreiheit im öffentlichen Leben, Straßenverkehr, wie Fußgängerüberwege oder Zustiege in Omnibussen. Diese Dinge schränken die Selbstständigkeit des Lebens im Alter gewaltig ein. Das zu ändern kommt allen Menschen zugute.

Kurzum kommt es mir darauf an, dass man sich dem Thema „Ältere“ öffnet, dass man die zuständigen Ministerien weiterhin für die Projekte der Älteren begeistert und Unternehmen oder Institutionen als Mitgestalter gewinnt und einbezieht.

Welche konkreten Ideen haben Sie aus Deutschland mitgebracht?

Da kann ich Ihnen gern ein Beispiel nennen: Viele Ältere, die noch aktiv sind oder wie hier im Deutschen Haus noch im Rentenalter arbeiten, werden tagtäglich mit der modernen Technik konfrontiert. Es ist doch so, dass die neue Technik (wie Geld- oder Fahrkartenautomaten, Computer, Telefonie) bei Älteren immer noch große Scheu und Skepsis hervorrufen.

Es wurde von unserer Organisation BAGSO eine Broschüre, ein „Wegweiser durch die digitale Welt für Ältere“ veröffentlicht. Er wurde von Senioren erarbeitet und mit Unterstützung der Telekom gedruckt.

Ich kann mir gut vorstellen, dass wir diesen „Wegweiser“ hier übersetzen lassen (vielleicht durch Studenten) und mit Hilfe von hiesigen Unternehmen drucken und herausgeben können. Die ältere Generation ist ein großes Verbraucherpotential – das sollten die Unternehmen beachten! Eventuell lässt sich diese Handreichung den Älteren kostenlos zur Verfügung stellen.

Auch die hier schon praktizierte „Zeitzeugenarbeit“ könnte man ausbauen – aus der Vergangenheit könnten die Alten berichten und die Jungen daraus für die Zukunft lernen. Es geht darum, dass das Wissen der Älteren über die Kultur und das Leben in die jüngere Generation getragen wird. Damit kann man den Lehrplan in den Schulen erweitern oder bei der Berufsausbildung helfen, den Schülern und Kindern beratend zur Seite zu stehen. Das wäre auch genau der Ansatz, den Senior-Experten mit ihrer Arbeit in Deutschland verfolgen.

Was auch funktionieren kann, ist, dass man populäre Menschen für die Projekte gewinnt, die mit ihrem Bekanntheitsgrad das Projekt für Ältere medial attraktiv machen. Vielleicht findet sich gerade nach der erfolgreichen Olympiade 2012 in London ein kasachischer Sportler, der sich mit seinem Vorbild für Ältere engagiert und zu einer gesunden Lebensweise bis ins Alter begeistern kann.

Ältere Menschen sind auch durchaus in der Lage, die Regierung in der Beratung zu unterstützen. Eine weitere Möglichkeit sind auch die Seniorenvertreter in einzelnen Städten, die in Deutschland mit der BAGSO Statements und Empfehlungen erarbeiten.

Aus meiner langjährigen internationalen Erfahrung kann ich sagen, dass sich Senioren in allen Ländern in Gruppen organisieren, zusammenfinden und gemeinsam stark machen für ihre Belange. (Im Internet unter „Age, EURAG, AARP, ESO“ usw zu finden.)

Gemeinsame Arbeit macht stark und bringt schneller Erfolge ohne Umwege.

Welche Erwartungen haben Sie speziell an Kasachstan?

Ich wünsche mir, dass das Thema „Ältere“ in der kasachischen Gesellschaft gerade durch das neue Sozialprogramm der Regierung in der Gesellschaft besprochen wird.

Es wäre schön, wenn man sich gemeinsam mit den Älteren auf den Weg begibt und ihr Potential nutzt. Und es wäre schön, das im Dialog mit den Jungen zu tun.

Seniorexperten sind in der Welt unterwegs, nicht um fertige Projekte zu gestalten, sondern Möglichkeiten zu zeigen, was und wie man mit neuen Ideen und praktischen Fähigkeiten seine Ziele erreicht. Nicht immer gelingt alles, aber probieren sollten wir es.

Wir können die Aktivitäten nur auslösen und „ein Feuer entfachen“. „Brennen“ muss das Feuer dann durch die Aktivität der Verantwortlichen vor Ort in Kasachstan, in der schönen Stadt Almaty!

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Malina Weindl.

Elvira Barbara Sawade hat eine kaufmännische und pflegerische Ausbildung und absolvierte ein kulturwissenschaftliches Studium an der Kulturakademie Rudolstadt im Spezialbereich Veranstaltungsmanagement. Derzeit ist sie als SES-Expertin in Deutschland, Serbien und Kasachstan eingesetzt.

Korrektur: In der ursprünglichen Fassung des Artikels stand aufgrund eines Rechtschreibfehlers: „Zum Beispiel arbeiten Städte gemeinsam mit den Älteren an dem Thema „Altersfreundliche Städte und Gemeinden““. Richtig muss es heißen: „Alternsfreundliche Städte und Gemeinden.“  Frau Sawade erläutert den Unterschied wie folgt: „Alternsfreundlich heißt, die Belange von Jung und Alt bei der Umsetzung sozialer, baulicher, verkehrstechnischer Maßnahmen – von jungen Jahren bis zum Alter – also generationenübergreifend – zu gestalten bzw. zu berücksichtigen. Die zweite Nennung altersfreundlich würde nur die Belange älterer Menschen bedeuten – und eine soziale Gesellschaft sollte alle einschließen.“  Der Fehler wurde korrigiert.

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