Auf dem Wege zur Erleuchtung ist man ständig mit Herausforderungen konfrontiert, an denen man sich abarbeiten muss. Kaum geht es friedlich und ruhig zu, wird einem von der Lebensschule die nächste Hausaufgabe geschickt, meist in Form von Menschen, die einem das Leben schwer machen. In diesem Fall meine Nachbarn.

Unter meinen Nachbarn gibt es zwei Sorten von Herausforderungen. Die eine besteht darin, der kriminellen Energie des einen Nachbarn standzuhalten (zumindest führen unsere Hobbyermittlungen sämtlich auf seine Spur), der sich regelmäßig am Postkasten bedient, in meine Wohnung eingebrochen ist, mir dann zwei Fahrräder gestohlen und zuletzt das Haus sabotiert hat, indem er im Keller sämtliche Telefonleitungen aus der Wand gerissen hat. Gestern Nacht hat er im Hof Feuer gelegt. Doch ich bleibe dabei: Ich lasse mich nicht vertreiben, nicht verunsichern, nicht aus der Ruhe bringen. Ich begegne dem verdächtigen Nachbarn erst unfreundlich, wenn seine Schuld bewiesen ist.

Eine für mich viel größere Herausforderung: die zickigen Nachbarn unter mir. Der Zickenterror fing schon kurze Zeit nach ihrem Einzug an. Kaum hatten sie eine Nacht in ihrem neuen Revier verbracht, schon fühlten sie sich ermächtigt, ein Wörtchen mitzureden, wie es in unserem Haus zuzugehen habe. Wo denn die laute Musik herkomme, wollte meine neue Nachbarin wissen. Tja, das wusste ich natürlich auch nicht. Vielleicht von mir, bot ich an. Da ich die Musik aber nur in Zimmerlautstärke gehört hatte, war ich mir nicht sicher. Um zu überprüfen, ob die ruhestörende Musik von mir käme, lud ich sie ein, mit mir zusammen nachzuhorchen. Ja, das sei die ruhestörende Musik. Aha! Ja, und ob sie denn finde, dass die Musik hier in meiner Wohnung zu laut sei. Nein, die Musik sei nicht zu laut. Zimmerlautstärke. (Aha! Sag ich doch!) Ja, dann wisse ich auch nicht, ob ich etwas für sie tun könne, da ich nichts dafürkann, dass das Haus so hellhörig ist und ich gern grundsätzlich von meinem Recht Gebrauch machen wolle, in Zimmerlautstärke Musik zu hören. Ja, aber man müsse doch Rücksicht nehmen! So die Nachbarin: Paragraf sowieso, und Mietvertrag auch sowieso, und Anstand noch mehr sowieso, und so weiter und so fort. Ja, und die Schritte würde man auch hören, das sei aber o.k. (Ja, besten Dank, dass ich in meiner Wohnung gehen darf!). Der zweite Anschiss kam, als mein damaliger Mitbewohner tagsüber Musik hörte. Dingdong! Was wir denn beruflich machen würden, dass wir zu viel Zeit hätten, um zu laut Musik zu hören?! Damit war die Klappe erst mal zu.

Nach dem Einbruch in meine Wohnung gab es eine erste vorsichtige Annäherung, da ich dadurch quasi zur Heldin des Tages deklariert wurde. Fast alle erkundigten sich bei mir, wie das denn war, und baten mich als Expertin, nach dem Rechten zu sehen, wenn sie für ein paar Tage weg wären und alles Erforderliche zu regeln, wenn dort eingebrochen würde. So auch die lärmempfindlichen Nachbarn unter mir. Durch den Einbruch brachten sie ihre hysterische Neigung zur Geltung. Ein alter, im Hausflur deponierter Küchenstuhl bekam einen Riesenzettel verpasst: „Finger weg!“

Nun aber haben sie es sich komplett verscherzt. Ich hatte unlängst Besuch, wir unterhielten uns in der Küche. Dingdong! Es wäre bei uns zu laut. Die Musik? Nein, unser Gespräch. Da wäre ein Mann mit lauter Stimme bei mir, und sie müsse sich jetzt schon über eine Stunde anhören, was er da zu erzählen hätte. Und man müsse doch Rücksicht nehmen. Schließlich müsse sie um fünf Uhr aufstehen. Da fehlten mir die Worte. Später habe ich ihr noch einen Brief geschrieben.

Und da stehe ich nun und überlege: Was will mir die Lebensschule mit all dem sagen? Mich nicht vertreiben lassen? Schon geschafft! Ich fürchte, die Aufgabe besteht eher darin, freundlich zu bleiben und stets zu lächeln, wenn ich ihnen begegne? Ihnen zu verzeihen und zu vergeben. Unmöglich! Das schaffe ich nie!

Tja, wieder nix mit der Erleuchtung.

Julia Siebert

16/01/09

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