Mir, als ausländischem Gast der Stadt Almaty, war der Begriff „Sajran“ bislang nur in Zusammenhang mit dem gigantischen Gebäude des internationalen Busbahnhofes Sajran bekannt. Die Minibusse und Taxis nach Bischkek fahren von hier ab, außerdem kommt man von hier an die chinesische Grenze oder nach Nordkasachstan, selbst Busse nach Russland starten von hier, aber eine mehrtägige Busfahrt einmal quer durch Kasachstan stelle ich mir nicht sehr lustig vor.

Das gewaltige Gebäude des Busbahnhofs gehört zu den Paradebeispielen des sowjetischen Modernismus. Sajran wurde im Jahr 1983 im Rahmen des Generalplans zur Stadtentwicklung von 1978 als Entlastung zum Busbahnhof Sajachat am anderen Ende der Stadt gebaut. Sajachat wurde nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion abgerissen und existiert schon lange nicht mehr, während es erfreulicherweise Pläne zur Renovierung des riesigen, dreistöckigen Komplexes Sajran mit 12.000 Quadratmetern Fläche und einer Fassadenhöhe von 9 Metern gibt. Ich bin jedes Mal von der Wucht dieses Busbahnhofes beeindruckt, wenn ich von hier in einen Minibus in Richtung Kirgisistan besteige.

Wer allerdings, so wie ich, immer nur auf der hektischen Durchreise ist, ahnt kaum, dass der internationale Busbahnhof Sajran direkt am Ufer eines großen, künstlichen Staubeckens liegt. Der Sommer hat nun auch in Almaty mit Temperaturen von über 30 Grad richtig reingehauen und so habe ich auf der Suche nach ein bisschen Abkühlung einen kleinen Ausflug zum Sajran-See gemacht.

Der See, der südlich direkt bis an die Tole-Bi-Straße ragt, wird von dem Fluss „Große Almatinka“ gespeist. Ein Strom, der jedes Jahr Schmelzwasser aus dem Gebirge ins Tal bringt, weswegen der Sajran-See auch nur im Sommer existiert. Das Staubecken wurde im Jahr 1971 fertiggestellt und Wladimir Lenin gewidmet, der in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag gefeiert hätte. Bis zum Jahr 2007 gab es in der Mitte des Sees außerdem eine Fontäne, die mit einer Höhe von 50 Metern die Höchste auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion war. Wenn das Wasser nicht ausreicht, ist das Becken staubtrocken bis auf den Grund. Einige Jahre lang wurden hier in dem leeren Bassin sogar Offroad-Wettbewerbe für Geländewagen veranstaltet.

Aber in diesem Jahr ist das Staubecken des Sajran gut gefüllt. Ich habe mir den Abend für einen erfrischenden Spaziergang am Seeufer ausgesucht und hatte nicht erwartet, dass besonders viele Menschen hier anzutreffen wären. Aber da lag ich falsch. Der See ist am Ufer von feinen Sandstränden eingerahmt. Und es herrschte ein enormes Chaos dort, unzählige Menschen, Familien, Kinder suchten eine Abkühlung von der Hitze und planschten im Wasser. Weiter draußen auf dem See schipperten alte, rostige Tretboote umher. In mir machte sich fast so etwas wie Urlaubsstimmung breit. Schließlich ist dies ein echter Strand, mitten in der Großstadt.

Die Sonne ging langsam unter und ich kehrte in ein kleines Schaschlik-Restaurant am Ufer ein. Grelle Neon-Lichtschläuche strahlten bunt in die Dämmerung. Eine schmale Brücke führte auf ein Floß, das leicht im Wasser hin und her schaukelte, dort standen einfache Tische und Bänke, auf denen ich Platz nahm. Ich bestellte ein paar Schaschlikspieße und eine Flasche Bier. 200 Tenge musste ich extra bezahlen, für die Live-Musik, die es an diesem Abend in dem Lokal gab. Während ich in den grellroten Himmel schaute, fing ein alter, klappriger Mann an, russische Schlager in das knarzende Mikrofon zu schmettern.

Ich sah, wie die Sonne langsam hinter den alten, sowjetischen Wohnblocks jenseits des Sees verschwand und das Wasser in ein tiefes Rot tauchte. Die alten Tretboote schienen an diesem Abend besonders beliebt, mehr und mehr schipperten umher, je später es wurde. Die Luft kühlte kaum ab, auch als die Sonne schon lange untergegangen war. Die Kinder sprangen und schrien noch lange umher und ich genoss die warme Nacht. Es war ein richtig schöner, lauer Sommerabend am Ufer des Sajran-Sees, mitten in Almaty.

Philipp Dippl

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Philipp Dippl
Den Deutschen Philipp Dippl hat es durch die Liebe nach Almaty verschlagen. Vor kurzem hat er sein Studium der russischen Kultur in Bochum und Moskau abgeschlossen. In seiner wöchentlichen Kolumne erzählt der gebürtige Franke die kleinen Alltagsgeschichten der Apfelstadt.