Die USA können es sich nach Ansicht von Kolumnist Bodo Lochmann nicht länger leisten, über ihre Verhältnisse zu leben. Doch dem Wähler traut sich das niemand zu sagen.

Amerika, besser die USA, hatten die Wahl und sie haben gewählt. Unerwartet klar hat der Amtsinhaber gewonnen. Doch trotz zweier Kandidaten, die ziemlich unterschiedliche strategische Konzepte vorstellten und trotz der horrenden Summe von vier Milliarden Dollar, die dieser Wahlkampf gekostet hat, hat Amerika für die absehbare Zukunft keine wirkliche Wahl. Die Dramatik der Lage erlaubt es dem Sieger nicht, sich auf dem Wahlsieg auszuruhen. Die Wahlversprechen beider Kandidaten – vereinfacht als Obamas „Weiter so“ und Romneys „Steuersenkungen über alles“ – werden die Probleme der USA nicht lösen können. Die Wirklichkeit wird die Wahlversprechen schnell Makulatur werden lassen. Dass sie dies von Anfang an waren, dürften beide Kandidaten gewusst haben. Doch seit dem grandios fehlgeschlagenen Versuch von Jimmy Carter in den 1970er Jahren, mit Ehrlichkeit Wahlen zu gewinnen, hat kein auf den Präsidentensessel der USA zielender Wahlkämpfer im Wahlkampf die Wahrheit ausgesprochen oder aussprechen können. Schließlich hätte die wahrheitsnahe Aussage etwa so aussehen müssen: „Liebe Mitbürger, das Staatsbudget ist seit Jahren außer Kontrolle. Das Defizit für das letzte Haushaltsjahr ist doppelt so hoch, wie das gesamte Budget von 1980. Zwischen 1960 und 2010 ist die Bevölkerung unseres Landes um 60 Prozent gewachsen, das Budget aber um 3.600 Prozent. 1960 betrug unsere Staatsschuld 284 Milliarden Dollar, heute 16,4 Billionen Dollar. Wir müssen unser Leben radikal ändern, wir müssen von Konsum und Kredit auf Arbeiten, Kreativität und Anstrengungen umschalten. Unser Sozialstaat passt nicht mit der zum Staatsverständnis gewordenen Niedrigsteuerpolitik zusammen“.

Die harte Wahrheit ist, dass das bisherige Amerika nicht überlebensfähig ist, zumindest nicht, wenn es den Beinahmen „Weltmacht“ behalten will. Ein Militärapparat, der über die ganze Welt verteilt ist, langwierige und schlecht durchdachte Kriege, geringe Steuern, Aversion gegen alles, was Staat heißt, ein immer weniger finanzierbares Sozialsystem – all das sind Faktoren, die Kosten bewirken, denen jedoch nur unzureichende Einnahmen entgegenstehen. Die politische und wirtschaftliche Elite des Landes weiß natürlich um die vertrackte Lage der USA, vor allem der Staatsfinanzen. Doch den oft einfach gestrickten, nicht selten religiös oder ideologisch verbohrten Wählern hat sich bisher niemand getraut, die brutale Wahrheit zu sagen.

Dabei hat die Verschuldungsorgie des Staates in den USA noch gar keine so lange Tradition. Noch Ende der 1990er Jahre hatte der Demokrat Bill Clinton mit seinen Haushaltsüberschüssen praktisch gezeigt, dass man auch in den USA vernünftig mit staatlichem Geld umgehen kann. Unter seinem Nachfolger, dem Republikaner Bush senior, bekennender Anhänger einer Niedrigsteuerpolitik und maximaler Privatisierung, stieg die Verschuldung bereits um 5 Billionen Dollar, unter Obama dann um weitere 6,4 Billionen Dollar. Damit ist auf den ersten Blick Obama der größere Schuldenmacher. Doch auch seine ehrlichen Kritiker leugnen nicht, dass nur 1,5 Billionen Dollar Schuldenzuwachs Obamas Handeln in der Finanzkrise zuzuschreiben und der Rest als Langzeitfolgen der Politik seines Vorgängers angefallen sind.

Für die Wirtschaft insgesamt und die Finanzmärkte im Besonderen aber ist nur der Fakt der hohen Schulden wichtig, weniger die konkreten Verursacher. Nach der Wahl muss nun eigentlich schnell gehandelt werden. Zumindest in den letzten zwei Jahren haben sich Regierung und Opposition jedoch eher kompromisslos bekriegt, statt kompromissbereit gemeinsam zu handeln. Bleibt zu hoffen, dass sich das ideologisch bestimmte Ablehnen seitens der Republikaner von allem, was an Vorschlägen aus dem Obama-Lager kam, schnell überholt. Ansonsten droht die nach wie vor mit weitem Abstand größte Volkswirtschaft die Weltwirtschaft nicht nur weiter zu verunsichern, sondern wieder in reale Finanz- und Wirtschaftskrisen zu reiten. Das dürfte auch nicht im Sinne von amerikakritisch eingestellten Leuten sein.

Bodo Lochmann

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