Tom Assmann forscht am Institut für Logistik und Materialflusstechnik der OVGU Magdeburg zu den Themen Radlogistik, Lastenräder und Urbane Logistik. Dank einer Kooperation des Instituts mit der DKU soll bald das erste Lastenrad in Almaty rollen. In Magdeburg tut es das schon seit längerem – zum Teil sogar ganz ohne Fahrer. Ein Gespräch über autonomes Fahren und nachhaltige Mobilität.

Herr Assmann, wie kam die Idee zustande, ein Projekt zu einem autonomen Lastenrad zu starten?

Dr.-Ing. Tom Assmann

Das autonome Lastenfahrrad ist ein Forschungsprojekt, das uns an der Universität Magdeburg schon seit 3-4 Jahren begleitet. Das Ziel ist, Lastenräder und allgemein Fahrräder fit für die Digitalisierung zu machen, damit sie sich selbständig durch öffentliche Straßenräume und im Werksgelände bewegen. Im Bereich autonome Fahrzeuge passiert sehr viel. Wissenschaftliche Studien zeigen aber auch, dass durch die Einführung von autonomen Fahrzeugflotten mehr gefahren wird. Mehr Fahren heißt: mehr Stau und mehr Energieverbrauch. Deshalb denken wir, dass autonome Lastenräder eine spannende Alternative im Verbund mit dem öffentlichen Personennahverkehr sein können.

Was kann das Rad, und was ist das Besondere daran?

Unsere Idee ist das Bikesharing der nächsten Generation: Sie stehen irgendwo in einer Stadt und wollen zu einem anderen Punkt. Sie nehmen Ihr Smartphone, drücken auf einen Knopf. Das Fahrrad kommt zu ihnen gefahren, dann steigen sie auf. Sie treten selbst, haben aber eine Elektrounterstützung. Nach der Fahrt fährt das Fahrrad dann automatisch zu einer Warteposition oder zum nächsten Kunden. Wir können dadurch die Funktionen des Bikesharing erweitern. Wenn Sie zum Beispiel nach einer Zugfahrt noch zwei Kilometer wohin müssen, können Sie noch im Zug das Fahrrad bestellen und sicher sein, dass es da ist, wenn Sie ankommen.

Die Testphase läuft seit einigen Jahren. Bis 2022 soll die Zulassung erfolgen. Kann das autonome Lastenrad bereits Verkehrszeichen und -signale erkennen und Hindernissen ausweichen?

Bislang haben wir das autonome Fahrrad nur im abgeschlossenen Gelände im Hafen von Magdeburg getestet. Dort kann es sicher fahren und ausweichen. Wir sind aktuell dabei, die Tests im öffentlichen Straßenraum zu konzipieren und zu realisieren. Eine technische Herausforderung ist, dass wir andere Umweltwahrnehmungen berücksichtigen müssen als beim Auto. Wir mit unseren Fahrrädern bewegen uns in Areale hinein, wo es viele Fußgänger gibt, die sich in alle Richtungen bewegen. Für das Fahrrad ist es schwieriger, dort entlangzusteuern. Die größte Herausforderung ist aber die Zulassung für das autonome Fahrrad. Wir arbeiten aktuell an einer Sonderzulassung für bestimmte Abschnitte, wo das Rad getestet wird. Das ist für die zulassenden Behörden alles Neuland. Unser Ziel ist es, spätestens im Frühherbst die ersten Tests im öffentlichen Straßenverkehr durchführen zu können.

Wie laufen diese Tests im Straßenverkehr dann ab, und wovon ist diese Zulassung dann abhängig?

Die Zulassung selbst findet immer erst auf Testniveau und über Sonderzulassungen statt, weil das Straßenverkehrsrecht in Deutschland und Europa noch gar keine Zulassung von autonom fahrenden Fahrzeugen im Regelbetrieb ermöglicht. Und auf dieser Ebene muss alles abgesichert sein in der Interaktion mit anderen Verkehrsteilnehmenden. Es gibt auch ein Sicherheitskonzept mit dritten Personen, die das Fahrzeug kontinuierlich überwachen und im Notfall abschalten können. Auch bei den Tests auf Streckenabschnitten bei uns auf dem Campus und um den Campus herum wird immer Sicherheitspersonal mit anwesend sein.

Und wenn dann die Zulassung im Regelbetrieb irgendwann einmal erfolgt ist – gibt es dann auch eine dritte Person, die aus der Ferne die Kontrolle über das Fahrzeug hat und es stoppen kann?

Irgendwann in ferner Zukunft, wenn autonome Fahrzeuge im Regelbetrieb eingesetzt werden können, wird es Remote-Control-Möglichkeiten geben. Das heißt, dass dann diese Flotten über Arbeitsplätze laufen, wo ein Bediener zum Beispiel 10 oder 20 Fahrzeuge überwacht. Das sieht man jetzt schon bei den Starship-Lieferrobotern, bei denen es auch eine remote control gibt.

Sie fangen erstmal nur mit wenigen Fahrzeugen an. Aber können Sie sich vorstellen, dass es irgendwann einmal mehr werden? Und wie würde dann die Produktion funktionieren?
Wir zeigen auf Forschungsebene, dass es grundsätzlich möglich ist, autonome Lastenräder fahren zu lassen. Dabei werden wir mit bis zu fünf Fahrrädern operieren, die uns von einem Partner, PedalPower aus Berlin, zur Verfügung gestellt werden. Das langfristige Ziel ist, dass autonome Fahrräder in Mobilitäts- und Logistikanwendungen in vielen Städten zu finden sein werden. Dort verlassen wir aber den universitären Forschungsbereich und begeben uns in den wirtschaftlichen Bereich.

Auch Almaty soll demnächst Cargo-Bikes bekommen, die jedoch nicht autonom fahren. Wie ist die Kooperation mit der DKU in diesem Bereich entstanden, und wie kann man sich diese vorstellen?

Als Institut für Logistik und Materialflusstechnik sind wir seit Jahren Kooperationspartner der DKU im LogCentre-Projekt. Das LogCentre ist eine Institution in Almaty, die Studierende im Bereich Logistik qualifizieren und ihnen beibringen soll, wie sie das später in Unternehmen einsetzen. In dem konkreten Projekt hier gibt es eine Förderung durch den DAAD, die auch darauf abzielt, dass wir diesen Transfer von Wissen und Kompetenzen aus Deutschland an das LogCentre nach Almaty realisieren. Und eine der Kompetenzen, die wir an unserem Institut aufgebaut haben, ist die Planung von urbaner nachhaltiger Logistik sowie von Lastenfahrradsystemen und Radlogistik als Beitrag, um die Logistik in Städten den Anforderungen der Zukunft anzupassen. So kam die Anfrage aus dem LogCentre, ob wir mit diesem Knowhow auch in Almaty solche Prozesse unterstützen können.

Woher wird das CargoBike kommen, und wie viele Exemplare soll Almaty bekommen?

Das Lastenrad wird aus Plauen kommen. Wir haben uns erst einmal dafür entschieden, mit einem Rad zu arbeiten, um zu schauen: Wie gut funktioniert so ein Lastenfahrrad in Almaty? Was gibt es für Herausforderungen, an die sowohl unsere Partner an der DKU als auch wir noch nicht gedacht haben? Daneben ist es aber auch unsere Aufgabe, Wissen zu transferieren. So haben wir einen Leitfaden mit entwickelt, wie man Lastfahrradsysteme in Städten plant. Dieser wurde im Rahmen des Projekts auch ins Russische übersetzt.

Und der richtet sich an die Stadtverwaltungen und Stadtplaner?

Genau, zum einen. Aber zum anderen auch an Logistikakteure. Denn bei der Planung von solchen Systemen müssen Logistik und Stadt zusammenarbeiten. Wir haben auch schon zwei Workshops mit Partnern vor Ort durchgeführt. Und im September plane ich, selbst nach Almaty zu reisen, um mit den Partnern das weitere Vorgehen zu eruieren.

Ihre Partner hatten sicher schon Kontakt mit der Stadtverwaltung. Wie blickt man dort auf das Projekt?

Wir arbeiten sehr eng mit unseren Partnern vor Ort zusammen und haben darüber die nötigen Schnittstellen aufgebaut. Nach den bisherigen Rückmeldungen sind die öffentlichen Akteure sehr gespannt auf das Projekt. Gleichwohl gibt es eine gewisse Skepsis, dass hier plötzlich Fahrräder Dinge transportieren sollen. Diese Fahrräder sind ja in ihrer technischen Ausgestaltung ausgelegt auf den europäischen Markt. Und wenn es in einen Dauerbetrieb übergeht, müssen sie ohnehin noch dem kasachischen Markt angepasst werden. Das sind offene Baustellen, aber deshalb setzen wir ja als Forschungsprojekt bewusst einen ersten Piloten in Almaty ein, um herauszufinden, was wir noch verbessern müssen.

Worin unterscheidet sich das CargoBike, das nach Almaty kommt, von dem, das in Magdeburg seine Runden dreht – abgesehen davon, dass es nicht autonom fährt?

Die Lastenfahrräder, die heute für den Logistikweltmarkt produziert werden, kommen größtenteils aus Europa. Auch die meisten Umsätze werden hier gemacht. Deswegen sind die Richtlinien ausgelegt auf die europäischen Fahrzeugklassen, was insbesondere die Unterstützungsleistung der fahrenden Personen betrifft. Es gibt ja einen Elektromotor, der sie unterstützt. Und dieser Motor darf in Europa 250 Watt Dauerleistung haben. Für Kasachstan kann man prüfen, ob man hier mehr Leistung zur Verfügung stellen kann. Das ist kein technisches, sondern ein Regelungsproblem.

Was ist dann mit dem CargoBike im Rahmen der Testphasen geplant, nachdem es in Almaty eingetroffen ist?

Wir planen zum einen den Einsatz für die DKU selbst, dass es dort zwischen den beiden Häusern für Transporte genutzt werden kann. Zum anderen planen wir mehrere Veranstaltungen, wo Partner vor Ort selbst ein paar Runden mit dem Rad drehen können. Außerdem überlegen wir, es auch an bestimmte Personen oder Unternehmen für ein paar Tage kostenfrei zu verleihen. Das hat in Deutschland sehr stark zur Verbreitung der Räder beigetragen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Christoph Strauch.

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