Der Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Hartmut Koschyk spricht im Interview unter anderem über Veränderungen in der Förderpolitik und kommentiert die Pläne über den Umzug des Deutschen Hauses nach Astana.

Wenn Sie auf Ihr erstes Jahr als Beauftragter der Bundesrepublik für Aussiedlerfragen und für nationale Minderheiten zurückblicken, was hat sich in der Politik zur Förderung der Kasachstandeutschen geändert, was ist gleich geblieben?

Selbstverständlich setze ich auf der einen Seite die erfolgreiche Arbeit meiner Amtsvorgänger in deren Geiste fort. Insbesondere sehe ich mich in der Kontinuität des ersten Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen, Dr. Horst Waffenschmidt. Zwar haben sich die Förderschwerpunkte seit seiner Zeit verändert und weiter entwickelt, die Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland gegenüber den deutschen Minderheiten in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion und deren besonderem Kriegsfolgenschicksal wird sich weder heute noch in der Zukunft ändern.

Auf der anderen Seite setze ich neben der Kontinuität in der Hilfenpolitik aber auch neue Akzente. Neben der Konsolidierung und Weiterentwicklung der Jugendarbeit liegt mein vorrangiges Interesse in der Verringerung des Verwaltungsaufwandes und damit der in diesem Bereich anfallenden Ausgaben. Dabei geht es mir nicht um die Erzielung von Einsparungen zur Reduzierung des Haushaltsansatzes, sondern ich möchte, dass so viel Geld wie möglich vor Ort bei den Kasachstandeutschen ankommt. Jeder Euro, den wir im Rahmen der Verwaltungsausgaben einsparen, kommt den Kasachstandeutschen unmittelbar durch zusätzliche Fördermaßnahmen zugute. Einsparungen dienen daher nicht zur Konsolidierung des deutschen Bundeshaushaltes, sondern werden für zusätzliche Projektmaßnahmen verwendet.

Aber auch bei unseren kasachischen Partnern können wir wichtige Akzentuierungen feststellen. Nach der erfolgreich durchgeführten 12. Deutsch-Kasachischen Regierungskommission für die ethnischen Deutschen der Republik Kasachstans im November 2014 bin ich mit meinem Parlamentskollegen, dem aus Kasachstan stammenden Heinrich Zertik, Anfang Februar dieses Jahres zu politischen Gesprächen nach Astana gereist. Immer wieder war bei den Gesprächen von kasachischer Seite von „unseren Deutschen“ die Rede, die nicht nur auf dem Gebiet von Sprache und Kultur, sondern auch auf den Feldern der Wirtschaft, Technologie und Bildung eine „entscheidende Brückenfunktion“ einnehmen sollten.

Was bedeutet eigentlich „Deutsche Minderheit“ für die Bundesrepublik Deutschland? Haben die Bürger der Bundesrepublik überhaupt eine Vorstellung davon, was der Begriff „Deutsche Minderheit“ bezeichnet?

Die deutschen Minderheiten in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion haben für die deutsche Bundesregierung einen besonderen Stellenwert. Dies zeigt sich auch in der Koalitionsvereinbarung zur jetzigen Legislaturperiode. Dort ist ausdrücklich festgehalten, dass die Bundesregierung zu den eingegangenen Vereinbarungen europäischer Minderheitenpolitik steht und sich weiterhin zur Förderung der deutschen Minderheiten in Mittelost– und Südosteuropa und den Nachfolgestaaten der Sowjetunion verpflichtet.

Dieses politische Ziel hat Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel in ihrer vertriebenen– und minderheitenpolitischen Grundsatzrede am 30. August 2014 bei den Feierlichkeiten zum Tag der Heimat in Berlin noch einmal bekräftigt:

„Eine entscheidende Rolle für die Bewahrung kultureller Traditionen haben natürlich diejenigen, die in ihrer Heimat in Ost– und Südosteuropa verblieben sind. Die Bindung an die deutsche Sprache und die dauerhafte Sicherung ihrer kulturellen Identität sind für die Angehörigen der deutschen Minderheiten von essenzieller Bedeutung. Ich möchte mich herzlich bei all denen bedanken, die aus Deutschland heraus helfend die Hand reichen, um dies zu ermöglichen. Auch die Bunderegierung wird ihre Hilfen fortsetzen. Sie wird weiterhin Maßnahmen zur Wahrung und Stärkung ihrer Identität und zur Verbesserung ihrer Lebensperspektiven fördern.”

Diese Verpflichtung zur Hilfe ist auch für mich Ausdruck einer besonderen moralischen Verantwortung gegenüber den deutschen Minderheiten in diesen Ländern. Es geht dabei auch um die Solidarität mit den deutschen Minderheiten, die wegen ihrer Volkszugehörigkeit während und nach Ende des 2. Weltkrieges für die Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschlands in der ehemaligen Sowjetunion besondere Lasten zu tragen hatten. Ausdruck dieser Pflicht ist auch die Tatsache, dass es uns gelungen ist, die für das Haushaltsjahr 2015 angedachte Kürzung der Mittel in diesem Bereich um 1 Mio. Euro rückgängig zu machen.

Ich bin sicher, dass sich die überwiegende Mehrheit der bundesdeutschen Bevölkerung dieser Verantwortung bewusst ist und den Hilfen für die deutschen Minderheiten positiv gegenübersteht.

Sind Sie nicht auch der Meinung, dass deutsche Minderheiten verschiedener Länder durch den Brückenbau zwischen den deutschen Gesellschaften der Länder und Deutschland ein Potenzial für Wirtschaftsentwicklungen bieten?

Die deutschen Minderheiten im Ausland können wegen ihres Verständnisses der Kultur des Landes, in dem sie leben, und in Kenntnis der wesentlichen Elemente deutscher Kultur, die sie über Jahrhunderte bewahrt haben, eine Mittlerrolle übernehmen.

Wer sonst als die rund 4 Millionen ethnischen Deutschen, beispielsweise aus den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion, insbesondere aus der Russischen Föderation und aus Kasachstan, von denen inzwischen über 2 Millionen in Deutschland leben, könnte kompetenter und überzeugender diese Verbindung zwischen unseren Kulturen bilden? Diese Mitbürger sind zum großen Teil in beiden Kulturen aufgewachsen und tragen sozusagen zwei Herzen in ihrer Brust. Gerade die in den letzten Jahren aufgebauten Partnerschaftsbeziehungen zwischen Organisationen der Deutschen in der Russischen Föderation und Kasachstan und der nach Deutschland ausgesiedelten Deutschen geben heute ein lebendiges Zeugnis dieser Brückenfunktion zwischen unseren Staaten ab.

Sie knüpfen die ersten Kontakte, zum Beispiel über Kulturprojekte auf örtlicher oder regionaler Ebene, und diesem Startschuss folgen weitere Verbindungen auf anderen gesellschaftlichen oder administrativen Ebenen bis hin zu wirtschaftlichen Beziehungen, die zusätzlich durch gezielte Aktivitäten von Unternehmerverbänden flankiert werden können. Solche Aktivitäten gibt es ja bereits in der Russischen Föderation und in Kasachstan. Die erforderliche politische Rückendeckung obliegt den jeweiligen bilateralen Regierungskommissionen.

Das große Potenzial der Angehörigen der deutschen Minderheiten für den Aufbau von Brücken zwischen den Gesellschaften der Herkunftsstaaten und Deutschland wird nach meiner Überzeugung allerdings bisher erst ansatzweise genutzt; ich denke, hier gibt es noch deutlich mehr Möglichkeiten.

Hierzu zählt zum Beispiel die Zusammenarbeit bei der Berufsausbildung, wozu im Kommuniqué der letzten Deutsch-Kasachischen Regierungskommission für die Angelegenheiten der ethnischen Deutschen in Kasachstan folgendes ausdrücklich formuliert wurde: „Beide Seiten unterstrichen die Notwendigkeit, die bis jetzt erfolgreiche Zusammenarbeit in den ethnokulturellen und sozialhumanitären Bereichen durch berufsbildende Maßnahmen zu ergänzen.“ Die Reise meines Parlamentskollegen Heinrich Zertik und mir Anfang Februar nach Kasachstan diente nicht zuletzt weiteren Beratungen auf diesem Gebiet mit unseren dortigen Partnern.

Inwieweit sehen Sie den Umzug des Deutschen Hauses als sinnvoll an? Wird dies Ihrer Meinung nach in den kommenden zwei Jahren passieren?

Wie von Herrn Botschafter Dr. Herz in der Ausgabe der Deutschen Allgemeinen Zeitung vom 16. Januar 2015 angeführt, gibt es gute Argumente für einen Umzug des Deutschen Hauses nach Astana.

Es gilt jedoch zu bedenken, ob das finanziell für die Selbstorganisation der Kasachstandeutschen zu stemmen ist und welches die Folgen für die über die letzten 20 Jahre gewachsenen Strukturen wären. Das würde die Förderung gefährden oder zumindest deutlich erschweren.

Das Bundesministerium des Innern prüft derzeit die Möglichkeit, das Deutsche Haus an die Selbstorganisation der Deutschen Kasachstans, namentlich den Deutschen Sozialfonds, kostenfrei zu übertragen. Hierzu erarbeitet die AgVDK derzeit ein mit der GIZ abzustimmendes Nutzungskonzept, aus dem ersichtlich ist, dass das Haus sich zumindest perspektivisch selbst tragen kann.

Über Zeitperspektiven eines möglichen Umzuges des Sitzes der Selbstverwaltung der deutschen Minderheit Kasachstans von Almaty nach Astana kann und will ich nicht spekulieren. Zunächst müssen die Argumente, die dafür und dagegen sprechen, sorgfältig abgewogen werden.

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