Freiwillig oder unfreiwillig übernachten manche Menschen auch diesen Winter unter freiem Himmel. Eine staatliche Einrichtung rettet ihre Leben.

Ein hoher Zaun. Die Eingangstür wird vom Wächter kontrolliert. Doch in die Staatliche Einrichtung „Zentrum für soziale Wiedereingliederung von Personen ohne festen Wohnsitz“ kann nach Angaben von Direktor Kajrat Schakupow jeder Interessierte geraten. Seit dem Jahre 2012 existiert eine Sozialstreife, die täglich die typischen Aufenthaltsorte obdachlosen Hauptstadtbewohner abfährt. Das sind der Hauptbahnhof, der Markt und Datschen.

„Falls der Dienst Menschen findet, die zum Vagabundentum neigen und die den Wunsch haben, Hilfe zu bekommen, liefert man sie zu uns. Wir erzählen ihnen, welche Art der Hilfe sie hier bekommen können: medizinische Kontrolle, Verpflegung, Übernachtung, saubere Kleidung. Die einzige Forderung ist die Befolgung der Aufenthaltsordnung. Wer mit der Ordnung nicht einverstanden ist und weiter in einer Datscha oder im Keller leben möchte, muss eine Abmeldung schreiben und kann weggehen. Alles ist ganz freiwillig“, erzählt Schakupow.

Dabei waren im vergangenen Jahr rund 13 Prozent „mit der Aufenthaltsordnung nicht einverstanden“. Diesen Anteil erklärt der Direktor so: „Es gibt Menschen, die nach ihrem psychologischen Typ solch eine Lebensweise selbst wählen. Im Winter kommen sie zu uns und im Mai gehen sie wieder los. Sie sagen: „Die Freiheit ist teurer“. Sie glauben, dass sie auf diese Weise von niemandem abhängig seien. Man geht einfach zu einer Abfalltonne, sucht dort etwas und ist damit zufrieden. Man hat nicht einmal ein Ekelgefühl. Ob das eine Krankheit oder Gewohnheit ist, ist schwierig zu verstehen. Ein normales Leben zu führen ist für solche Menschen zu kompliziert.“

Der Weg in die Obdachlosigkeit

Übernachtung und Verpflegung sind die wichtigsten Aufgaben des Zentrums. In der Theorie dient das Programm daneben auch der Bewältigung der Schwierigkeiten, die bei der sozialen Wiedereingliederung auftauchen. Das Minimum ist dabei die Wiederherstellung aller Dokumente. Im Idealfall kommen dazu Umschulung im Arbeitsvermittlungsbüro und Hilfe bei der Arbeitsuche. Doch die letztgenannte Dienstleistung benutzen die Schützlinge des Zentrums sehr selten. Angenommen wird sie hauptsächlich von denjenigen, die unerwartet aufgrund schwieriger Lebensumstände hierher gerieten. So jagte eine Schwester ihren Bruder nach der Hochzeit aus der Wohnung, weil er ihr Privatleben gestört habe. Jemand konnte seine Miete nicht mehr zahlen, ein anderer die Hypothek. Doch die Mehrheit gerät auf ganz ähnliche Weise in das Zentrum. Kairat Schakupow erzählt immer gleiche Geschichten aus Hauptstadt und Provinz: „Ein Mensch verlor zum Beispiel während der Krise im Jahre 2008 seine Arbeit. Er hatte Stress, deshalb begann er zunächst allmählich zu trinken, dann mehr und mehr. Seine Frau, vom endlosen Streit mit dem Mann müde, lässt ihn Papiere über den Vermögensbesitz unterschreiben. Nach einer Weile landet er auf der Straße. Es gibt auch viele Fälle, wo Verwandte absichtlich zu Trinkern gemacht werden, um dann die Wohnung zu bekommen. Die dritte Kategorie sind Alkoholiker, die im Winter draußen eingeschlafen sind. Im Ergebnis wurden Hände und Füße amputiert. Die Familie will diese „Last“ nicht zurücknehmen, sondern liefert ihn hierher.“

Hoffnung auf das Altersheim

Das Durchschnittsalter der „Kunden“, wie sie Schakupow nennt, beträgt rund 45 Jahre. Menschen unter 40 sind selten in dieser Einrichtung. Ihr Aufenthalt verläuft gewöhnlich im Rahmen folgenden Schemas: Rehabilitation, Adaptation, Arbeitsuche. Wer sucht, der findet, wie man so schön sagt. Öfter kommen ins Zentrum die Menschen, deren Alter auf die 60 zugeht. Interessanterweise gehören zu dieser Gruppe ehemalige Anhänger des Mottos „Die Freiheit ist teurer“. Sie hoffen auf einen Platz im Altersheim. „Auf der Straße gibt es eigene Gesetze: Mülltonnen und der Weg zu ihnen sind aufgeteilt. Wer die Regeln nicht befolgt, wird verprügelt. So wird ein Mensch zum Invaliden. Nach 60 Jahren ist der Weg an die Tonne verschlossen, das wissen sie, und deshalb kommen sie bewusst zu uns“, erläutert Kajrat Schakupow die Ursachen des Meinungsumschwungs bei denen, die die Freiheit einst so schätzten.

Im Laufe eines Jahres besuchen das Zentrum ungefähr 1.200 Menschen. Wie der Anteil der Personen ohne festen Wohnsitz in Astana, kann Kajrat Schakupow nicht konkret sagen, da es keine genaue Statistik gebe. Die Ursache dafür liegt in der Schwierigkeit zu definieren, wer eigentlich zu dieser Kategorie gehört. Auch Menschen, die beispielsweise ihre Wohnung vermieten und bei Verwandten wohnen?

Langfristig nimmt das Zentrum für Wiedereingliederung in Astana nur ehemalige Hauptstadtbewohner auf. Andere, die aus den Regionen in die große Stadt kommen, haben höchstens einen Monat das Recht, im Heim zu bleiben. Schakupow zufolge erhält man in dieser Zeit die Angaben zur Person des Obdachlosen. Dann schickt man ihn in die Region zurück, aus der er gekommen ist. Ob solch eine Methode im Kampf mit dem sozialen Problem in der ganzen Republik hilft, ist ziemlich zweifelhaft. Was man aber sicher sagen kann, ist, dass dieses Verfahren den Kampf mit der Kriminalität in der Hauptstadt fördert. Ein Mensch, der nichts außer Hunger und Alkoholdurst hat, ist ein potenzieller Verbrecher. Im Moment der Hilfslosigkeit, wenn Almosen schon nicht mehr retten, ist es für ihn nicht wichtig, wie er die Verpflegung erwirbt: Ob er einem Schüler das Taschengeld klaut oder einen Leidensgenossen wegen einer unglückseligen Wodka-Flasche tötet.

Von Xenia Sutula

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