Am 19. September wurde zum vierten Mal der kasachische Filmpreis verliehen. Die deutsche Regie-Studentin Anna Hoffmann gewann mit ihrem Film „Welche Richtung geht’s nach Hause?“ in der Kategorie Dokumentarfilm. Der Film thematisiert die Geschichte der eigenen Familie. Zu Beginn der neunziger Jahre wanderten sie wie viele andere Deutschstämmige nach Deutschland aus.

Was bedeutet es Ihnen, mit diesem Film und ihrem familiären Hintergrund den kasachischen Filmpreis gewonnen zu haben?

Das Wichtigste für mich war, dass das Publikum in Kasachstan den Film angenommen hat. Der eigentliche Preis für mich waren die Reaktionen der Menschen. Es kamen ganz viele Fragen, und ich habe gemerkt, wie aktuell dieses Thema noch immer für die Menschen ist. Mir war auch nicht bewusst, dass dieses Thema eigentlich in fast jeder Familie hier immer noch eine so große Rolle spielt. Fast jeder kennt jemanden, der nach Deutschland ausgewandert ist, und immer noch wollen junge Menschen um jeden Preis nach Europa. Dass die Realität für die Russlanddeutschen im Westen oft aber ganz anders aussieht, geht hier unter. Die Menschen waren dankbar, im Film auch mal diesen Aspekt zu sehen. Das hat sie bewegt. Es wurde an den richtigen Stellen gelacht und geweint – das war toll. Dann noch die offizielle Auszeichnung zu bekommen war natürlich wunderschön.

Warum haben Sie dieses Thema aufgegriffen?

Ich musste dieses Thema irgendwann bringen. Man kommt zu nichts, bevor man nicht die eigenen Themen aufgearbeitet hat. Das beobachte ich auch bei vielen befreundeten Künstlern. Es ist einfach wichtig, gewisse Dinge der eigenen Biografie zu betrachten. Erst dann ist man frei für neue Themen. Es gab keinen speziellen Grund, es war einfach an der Zeit.

Der Film war also die Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit?

Ja, absolut. Ich habe viele Jahre in Deutschland meinen Eltern zuhören müssen, wenn es um Kasachstan ging. Mein Vater hat mir ein ganz anderes Bild als meine Mutter vermittelt. Und wenn man auf Familienfesten war, erzählte jeder etwas anderes. Jeder vermittelt dir sein ganz persönliches Bild – auf Dauer ist das nicht gerade einfach. Deswegen beschloss ich, mir Kasachstan anzusehen. Meine Mutter und meine Tante haben sich geweigert mitzukommen. Für sie war das Thema abgeschlossen. Nach dem Film ist meine Mutter aber doch noch einmal nach Kasachstan gefahren.

Sie sind selbst als dokumentierte Person Teil des Films. Wie kam es zu dieser Entscheidung?

Es ging nicht anders. Wenn man einen solchen Film mit Familienangehörigen macht, dann ist man zu nah dran. Am Anfang haben wir das noch versucht zu trennen, aber im Verlauf der Dreharbeiten ging es einfach nicht mehr. Das passiert ganz automatisch. Es werden Fotos gezeigt, Sachen erzählt und erklärt, und dann ist man mittendrin. Vorher haben mich auch erfahrene Dokumentarfilmer gewarnt, dass dieses Projekt für mich kein einfaches werden könnte. Ich war also schon etwas vorbereitet. Es war eine sehr intensive Aufarbeitung. Meinem Onkel und Vater hat es gut getan, mir als jungem Menschen ihre Geschichte zu berichten. Es ging den beiden nach dem Film viel besser. In Deutschland nervt es die Kinder der Spätaussiedler eher, wenn die Älteren von früher erzählen.

Was hat sich bei Ihrem Vater und Onkel nach dem Film bewegt?

Sie sind nach der Reise ruhiger geworden. Auch weil sie gesehen haben, dass sie ganz andere Menschen geworden sind und eine Rückkehr unmöglich ist. Eine solche Erkenntnis ist viel wert. Mein Onkel hat den Film auch seinem Sohn gezeigt. Der fühlt sich als echter Deutscher. Sein Vater sieht das anders. Als der Sohn den Film gesehen hat, liefen Tränen, und er hat mehr verstanden, wer sein Vater ist, und wo er herkommt. Vorher war der Vater für den Sohn, überspitzt gesagt, der einfache Fließbandarbeiter, der immer von Kasachstan quatscht. Durch den Film hat sich dieses Bild geändert.

Im Film gibt es eine Szene, in der Sie an einer Hauswand lehnen und Ihnen eine Träne über die Wange läuft. Wie war die Begegnung mit dem Dorf Ihrer Kindheit?
Das war das Haus eines Physiklehrers, den ich noch aus meiner Kindheit kenne. Wir sind gefahren, da war er ein junger, kräftiger Mann. Wir sind gekommen, und ich traf einen alten Mann. Was die Zeit mit den Menschen und mit Orten macht, das ist manchmal sehr bedrückend. Wenn man merkt, wie vergänglich alles ist. Ich habe gemerkt, wie alt ich geworden bin und wie alt mein Vater geworden ist. In Deutschland habe ich auch immer erzählt, ich habe in Kasachstan in der Natur in einem großen Haus mit Tieren gelebt. Jetzt kommt man zurück und merkt, wie klein doch eigentlich alles ist.

Wo ist eigentlich Ihre Heimat?
Der Film konnte die Frage für mich nicht beantworten. Ich kann es jetzt immer noch nicht – vielleicht in zwanzig Jahren. Es gibt im Deutschen den Begriff „Wahlheimat“. Vielleicht ist Deutschland eine solche Heimat für mich. Obwohl – die Wahl hatte ich damals eigentlich nicht. Ich denke, meine Wurzeln sind irgendwo in beiden Ländern.

Wie sind die Erinnerungen an Ihre Kindheit?
Wir waren den ganzen Tag draußen, alle Dorfkinder waren zusammen, wir hatten viele Tiere, ich war oft mit meinem Vater angeln. Jetzt nehmen mein Freund und ich extra Urlaub, buchen ein Wochenende auf einem Bauernhof am Bodensee, nur damit ich meinem Sohn eine Kuh und ein Schwein zeigen kann. In Kasachstan hatten wir ein Haus, einen Garten und Tiere. Und was mache ich jetzt? Ich arbeite daraufhin, dass ich mir ein Haus, einen Garten und Tiere leisten kann (lacht).

Frau Hoffmann, weiterhin viel Erfolg mit ihrem Film. Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Friedemann Schreiter.

28/09/07

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