In einer Stadt ist alles geregelt. So ist es zumindest anzunehmen. Hier stehen Häuser an einer Straße, die gesäumt ist von Bäumen. Dort führt eine Mauer um einen Park. Es ist Sommer. Also blühen bunte Blumen am Straßenrand, die Vögel zwitschern in den Bäumen.

Der Gehweg, auf dem ich laufe, bringt meine scheinbare Ordnung aber durcheinander. Alle paar Meter muss ich mich im Gehen bücken, damit mir nicht sämtliche Äste ins Gesicht peitschen. Es ist schon dunkel draußen, und mein Begleiter und ich laufen nebeneinander. Im Gespräch fallen mir diese Peitschen noch deutlicher auf, da sie mich in meinen Gedanken unterbrechen. Für meinen Kopf macht es den Weg natürlich anstrengender.

Plötzlich bleibe ich kurz stehen und frage meinen Gesprächspartner, der hier aufgewachsen ist, was es mit den Bäumen auf sich hat. Warum ist der gesamte Gehweg voll damit? Warum wachsen sie so tief? In Deutschland gibt es das nicht. Da kann ich meines Weges gehen, ohne ständig Bäumen ausweichen zu müssen. Er schaut mich verdutzt an und scheint sich über meine Frage sehr zu wundern. „Ich weiß nicht, was du meinst.“ sagt er schließlich. In diesem Moment komme ich mir ein bisschen bescheuert vor. War meine Frage so blöd? Ich zweifle an meinem Verstand. Kann ich nicht einfach hinnehmen, dass es diese Bäume gibt? Und warum verwirrt mich deren Existenz dermaßen? Wahrscheinlich ist es der Umstand, dass irgendetwas es wagt, meinen Gedankengang durcheinanderzuwirbeln. Mein Weg wird umgeleitet durch diese Pflanzen. Ich muss ausweichen, obwohl ich doch die Macht über meinen Weg behalten will. Ein bisschen erinnert mich diese Umleitung an laute Sirenen eines Krankenwagens, die ein Gespräch aus dem Nichts und ohne Vorwarnung übertönen, ohne dass man etwas dagegen tun kann. Man kann sich in der interessantesten aller Diskussionen befinden, die Sirene lässt es sich nicht nehmen, sich in dieses Gespräch einzumischen, sodass du an einem ganz anderen Punkt neu ansetzen musst.

Interessant ist, dass ich mich von der Natur in der Stadt, auf dem Gehweg, derart gestört fühle. Ist es nicht schön, dass die Bäume eins mit der Betonwelt werden können? Nein, ich bin ein Mensch und auf Beton konditioniert. Zumindest wenn ich auf einem Gehweg zu einem bestimmten Ort gelangen möchte. Gedanken kommen und gehen. Die Äste bleiben wohl. Sie dekonstruieren meinen Weg, der mich ansonsten nicht dazu bringen würde, den Sinn eines Gesprächs zu hinterfragen oder immer mal wieder eine Zäsur in die Gedanken und das Gesagte zu bringen. Moment mal, ich höre zu (höre ich wirklich zu?), ich muss nur mal eben diesem Ast ausweichen. Und so bringt die Natur mir hier ein kritisches Hinterfragen von dem, was ich sonst doch als allzu natürlich oder selbstverständlich ansehe. Für meinen Begleiter hingegen sind diese Bäume schon immer so.

Jede Ordnung ist anders. Vielleicht sollte es in Deutschland auch mal solche Bäume geben. Schön sind sie ja. Und vor allem bringt Unordnung doch immer wieder was Neues. Wenn ich erst mal raus bin, muss ich schließlich einen neuen Weg finden, um wieder reinzukommen. Manchmal auch über Umwegen. Und dann ist plötzlich alles wieder anders.

Maria Manowski

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