Die jährliche Botschaft des Präsidenten an sein Volk hat in diesem Jahr doch für einige Überraschung und auch eine Reihe Spekulationen gesorgt. Dabei ist weniger der Inhalt gemeint, sondern eher die äußeren Umstände.

Zuerst ist da der zeitige Termin. Üblich waren bisher immer Botschaften zu Anfang des Jahres. Problematisch war bei dieser Praxis jedoch die Tatsache, dass die im Februar oder manchmal sogar erst im März ausgesprochenen Aufgaben an die Regierung deutlich in das schon laufende Finanzjahr eingriffen und es doch erheblicher Mühe bedurfte, so spät noch Korrekturen in das schon laufende Haushaltsjahr einzubringen.

Das sollte diesmal etwas besser gelingen, obwohl auch Ende November der Staatshaushalt für das Folgejahr schon fertig ist. Der zweite Umstand ist, dass die Botschaft vor dem Präsidium der Regierungspartei gehalten wurde und nicht vor dem Parlament. Das kann natürlich Terminfragen geschuldet sein, ist jedoch insofern nicht richtig, da es sich ja bei den gestellten Aufgaben um Regierungspolitik und nicht nur um die Politik einer Partei, wenn auch der Regierungspartei handelt.

Der Inhalt der Botschaft wurde wortgewaltig mit „Neuer Wirtschaftspolitik“ beschrieben. Das erinnert stark an die „Neue ökonomische Politik“ Lenins in den 1920er Jahren. Damals wurde der Versuch gemacht, über die Einbeziehung der von den Bolschewiki eigentlich nicht geliebten Kleinunternehmer, dem durch die Bürgerkriege zerrütteten Sowjetland wirtschaftlich wieder auf die Beine zu helfen. Zwar geht es heute nicht um Vergleichbares, schließlich sind die juristischen Besitzstrukturen heute unvergleichlich besser diversifiziert als damals.

Der Kern der kürzlich hierzulande verkündeten „Neuen Wirtschaftspolitik“ ist eigentlich nichts anderes als der Versuch, in den nächsten Jahren mit staatlichen Mitteln stärker Einfluss auf die Konjunkturentwicklung Kasachstans zu nehmen. Der Anlass liegt auf der Hand: die Einnahmen aus den Rohstoffexporten schmelzen wie Butter in der Sommersonne. Dies liegt vor allem an dem länger anhaltenden drastischen Rückgang der Ölpreise und der ausgebliebenen Förderreduzierungen durch die OPEC. Nun sollen also zusätzlich milliardenschwere Investitionen, vor allem in die Infrastruktur Kasachstans, die wirtschaftlichen Aktivitäten und damit Beschäftigung, Wirtschaftswachstum und Einkommen einigermaßen stabil halten. Generell ist unter Wirtschaftswissenschaftlern die Kategorie Konjunkturpolitik umstritten.

Das erst einmal aus theoretischen Gründen, weil man ganz einfach nicht seriös vorhersagen kann, in welchem konkreten Stadium sich die Wirtschaftsentwicklung gerade befindet. Die meisten Prognosen in dieser Hinsicht haben deshalb auch danebengelegen, entsprechend die daraus abgeleiteten Handlungsempfehlungen für die Politik. In der Folge hat die konjunkturpolitische Praxis vieler Länder gezeigt, dass zu oft staatliche Mittel ohne den erwarteten Effekt ausgegeben wurden und im Ergebnis nur höhere Staatsschulden geblieben sind. Drastisches Beispiel ist Japan, wo die in den letzten 20 Jahren aufgelegten fünf oder sechs staatlichen Konjunkturprogramme nicht aus der Rezession und Deflation geholfen, wohl aber die Staatsschulden auf weit über 200% des BIP katapultiert haben.

Klar, Kasachstan ist nicht Japan. Dort war die Infrastruktur, in die die ja üblicherweise in der Regel das konjunkturbelebende Geld meist fließt, schon immer auf einem unvergleichlich höheren Niveau als hierzulande. In Kasachstan kann durch die dringend notwendige Verbesserung der technischen Infrastruktur durchaus ein realer wirtschaftlicher und nicht „nur“ ein sozialer Effekt (Erhalt von Beschäftigung, Verbesserung der Bedingungen an Schulen u.a. sozialen Einrichtungen) erreicht werden. Sicher ist das jedoch keinesfalls. Dennoch muss in die Infrastruktur investiert werden, egal ob das Ganze nun von tollen Bezeichnungen begleitet wird oder nicht. Die allerjüngsten Entwicklungen auf den Öl– und Devisenmärkten deuten übrigens darauf hin, dass die vom Präsidenten verkündeten Investitionssummen zu bescheiden sein könnten.

Bodo Lochmann

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