Unsere Autorin Saltanat Aschirowa ist nach Südkasachstan gereist und berichtet von der einzigartigen Architektur, die dort zu sehen ist. Das Mausoleum Khoja Ahmed Yassawi in Turkestan ist UNESCO-Weltkulturerbe und noch heute ein Pilgerort vieler Muslime aus Zentralasien.

Die Entscheidung in die südkasachische Stadt Turkestan zu fahren war schnell getroffen. Über zehn Jahre bin ich nicht dort gewesen, obwohl ich in dieser Gegend geboren wurde. Aber meine Freundin aus Berlin, derzeit für die DAZ in Almaty tätig, war neugierig und so entschlossen wir uns zu dieser Reise. Wie man so schön sagt: „Das Eisen schmieden, solange es heiß ist.“ Heiß war es auch draußen. Aber über 40 Grad Hitze sollten uns nicht aufhalten – wir haben unsere Rucksäcke gepackt und die Reise mit einer siebzehnstündigen Zugfahrt begonnen.

Der legendäre Taikasan soll von Timur selbst entworfen worden sein. | Bild: azretsultan.kz

Unterwegs habe ich ein gemischtes Gefühl, weil Turkestan nicht nur eine historische Stadt, sondern auch ein Pilgerort ist. Man sagt, diese Stadt sei das zweite Mekka und jeder Kasache müsse sie in seinem Leben besuchen. Aber unsere Motivation der Reise war touristisch. Turkestan liegt an der einstigen Seidenstraße in Südkasachstan und existiert schon seit über 1500 Jahren. Die Stadt hieß zunächst Schafgar und dann Yassy. Wegen der politischen Veränderungen im 15. Jahrhundert wurde sie Turkestan genannt. „Turkestan “ bedeutet das Land der turksprachigen Völker.

Im 12. Jahrhundert hatte hier der Ahnherr des Sufismus, ein Mystiker, Philosoph und asketischer Poet – Khoja Ahmed Yassawi – gelebt und gelehrt. Yassawi brachte den Nomaden den Islam. Er war imstande, den Hochislam mit der Steppenkultur in Einklang zu bringen und prägte einen alternativen Weg dieser Religion – den Sufismus. Dieser vertritt die Ansicht, Gott erkenne man nicht durch Wissen, sondern durch Gefühl. Yassawi propagierte den Humanismus und ließ Frauen, trotz Kritik durch den streng gläubigen Islam, ebenso wie Männer an den religiösen Ritualen teilnehmen. Khoja Ahmed Yassawi galt als „Heiliger des einfachen Volkes“ und wird bis dato hoch verehrt – laut Statistiken besuchen das Mausoleum noch heute täglich über 1000 Menschen.

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Im 14. Jahrhundert beherrschte der Eroberer Timur ganz Mittelasien und die halbe Welt. Er hatte zu Ehren Ahmed Yassawis ein Mausoleum bauen lassen, das die Besucher nach wie vor in Erstaunen versetzt. Aus 40 Kilometer Entfernung ist das steinerne Grabmal sichtbar, das innerhalb von sieben Jahren von den besten Baukünstlern jener Zeit gebaut worden war. Das dreißig Meter hohe Mausoleum hat zwei Stöcke und besteht aus über 30 Räumen.

Im Zentrum des Mausoleums steht der Taikasan. | Bild: azretsultan.kz

In dem Grabmal sind, neben Ahmed Yassawi, viele weitere Khane und Kämpfer begraben, denn vom 16. bis 18. Jahrhundert war Turkestan die Hauptstadt des kasachischen Khanats. Im Innern des Grabmals gibt es außerdem eine Bibliothek, eine Moschee, große und kleine Säle für die Sitzungen der Khane, eine Küche, einen Brunnen und originale Lampen aus dem Jahr 1397. Die Innenseite der großen Kuppel und einige Räume sind gleichmäßig mit Ornamenten verziert, die gut erhalten geblieben sind. Die mittelalterlichen Türen aus Walnussholz sind mit arabischen Schriftzügen versehen und wirken so, als wären sie erst gestern gebaut worden.

Im Zentrum der Haupthalle thront der „Taikasan“ – ein zwei Tonnen schweres, kunstvolles Becken, das Timur selbst im 14. Jahrhundert entworfen hat. Es wurde aus sieben Metallen gefertigt, hat einen Durchmesser von 2,40 Metern und fasst 3000 Liter. In die Außenseiten sind Suren aus dem Koran eingraviert.

Im Taikasan wurde Wasser für die Pilger bereitgehalten. Die Legende besagt, in diesem Becken habe das Wasser in zwanzig Minuten angefangen zu kochen und habe dann die Temperatur halten können. Als das große Becken aber 1936 in die „Ermitage“ nach Sankt Petersburg gebracht und unterwegs beschädigt worden ist, habe es seine Eigenschaften verloren. Erst 1989 wurde das Becken von Ösbekali Shanibekow, dem derzeitigen Kulturminister, wieder zurück nach Turkestan gebracht.

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Die hintere Seite des Mausoleums schmückt ein filigranes Mosaik. | Bild: azretsultan.kz

Die Außenseite des Mausoleums ist auch sehr sehenswert. Der Bau hat 1398 mit der hinteren Seite begonnen. Noch während der Bauarbeiten ist der Herrscher Timur unerwartet gestorben und der Bau wurde gestoppt. Deshalb blieb die Fassade ohne Verkleidung und selbst Teile des Baugerüsts sind heute noch zu sehen. Die zwei Kuppeln in Türkis wurden mit Ornamenten und Lobschriften auf Allah gestaltet. Die Suren aus dem Koran, die an den oberen Teilen der Wände angebracht wurden, erscheinen fein und auffällig zugleich. Die drei Außenwände des Mausoleums sind mit Majoliken, bunter Keramik, verkleidet, welche geometrische Formen und Schriftzüge abbilden. Der untere Teil ist mit einem filigranen Mosaik aus glasierten Kacheln geschmückt. Bis heute wurde das Rätsel um die Zusammensetzung der Farben dieser Kacheln noch nicht gelöst.

Es wirkt erstaunlich, dass im Mittelalter ein solches Bauwerk errichtet werden konnte, das mittlerweile bereits seit 700 Jahren steht. Auf einige Fragen, die sich uns an diesem Ort stellen, bekommen wir vielleicht nie eine Antwort.

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Auf dem weitläufigen Territorium des Mausoleums gibt es des Weiteren eine unterirdische Moschee, eine Mauer, eine Freitagsmoschee, ein Badehaus und weitere Gebäude, die ebenfalls aus dem Mittelalter stammen. Seit 2003 steht das Mausoleum Khoja Ahmed Yassawi im Schutz der UNESCO als Weltkulturerbe. Vor dem Mausoleum gibt es einen Garten mit schönen Blumen und Obstbäumen.

Trotz der hohen Temperaturen sind die Pflanzen saftig grün und die Temperaturen auf dem Gelände sind angenehm kühl. Das ist der Verdienst der Mitarbeiter des dort ansässigen historischen Kulturmuseums „Asiret-Sultan“, die sich um den Erhalt der historischen Stätte kümmern. Die Atmosphäre hier ist friedlich und ruhig – der Kopf ist frei von Gedanken und die Seele frei von Sorgen. Man möchte sich hier nicht beeilen, sondern das Leben genießen. Mit solch einem Gefühl verlassen wir dieses Mausoleum und reisen weiter nach Arystan Bab, einem weiteren Pilgerort in Südkasachstan, doch das ist eine andere Geschichte.

Ich bedanke mich bei den Mitarbeitern des Kulturmuseums „Asiret-Sultan“ für ihre Mithilfe.

Saltanat Aschirowa

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