Erdbeben warnen vor sich selbst: Jürgen Przybylak, Elektroniker aus Castrop-Rauxel, hat ein kleines und preiswertes Erdbebenvorwarnsystem entwickelt, das die harmlose und für den Menschen nicht wahrnehmbare Primärwelle misst, die vor der zerstörerischen Kraft der Sekundärwelle auftritt. Bisher hatten die Menschen keine Sekunde Vorwarnzeit und waren mit der gesamten Naturgewalt eines Erdbebens konfrontiert. Hier schafft das neue Gerät, das Jürgen Przybylak in Kasachstan bereits im Generalkonsulat und im Goethe-Institut Almaty installiert hat, Abhilfe. Im Gespräch mit der DAZ stellt der Elektroniker sein preisgekröntes Erdbebenwarnsystem vor, gibt Tipps für das richtige Verhalten bei einem Erdbeben und berichtet über sichere Orte, an denen man ein Erdbeben überleben kann.

/Bild: Christine Karmann. ‚Jürgen Przybylak: Bei Erdbebenalarm im Goethe-Institut in Almaty sollte man die Orte aufsuchen, die durch einen bunten Regenschirm gekennzeichnet sind.’/

Herr Przybylak, was machen die meisten Menschen bei einem Erdbeben falsch?
Wenn die Erde anfängt zu vibrieren, halten viele erstmal überrascht ihren Computer fest und warten ab. Dieses Verhalten ist natürlich völlig falsch. Viele rufen per Handy auch erstmal alle ihre Bekannten an, um sie über das Erdbeben zu informieren und blockieren so die Leitungen. Sich nach der ersten Schrecksekunde gleich eine Zigarette anzuzünden, kann angesichts von geplatzten Gasleitungen fatal sein.

Wie sollte man stattdessen auf ein Erdbeben reagieren?
Man sollte sich vom Fenster fernhalten, denn Glas zersplittert bei einem Erdbeben als erstes. Ziegelwände fallen seitlich in sich zusammen. Man sollte nicht versuchen, das Haus zu verlassen es sei denn, man befindet sich im Erdgeschoss und in unmittelbarer Nähe eines freien Platzes. Am besten stellt man sich unter oder neben einen Stahlbetonpfeiler, die einen sicheren Standort bieten.

In der Wohnung ist neben einer stabilen Waschmaschine ein guter Platz um sich in Sicherheit zu bringen. Da man auch nachts von einem Erdbeben überrascht werden kann, sollte man neben dem Bett immer Schuhe und eine Wasserflasche deponieren. Die Schuhe wegen der Glassplitter und das Wasser um einige Zeit zu überleben. Die meisten Menschen sterben nicht direkt bei einem Erdbeben, sondern werden verschüttet und werden nicht rechtzeitig gefunden.

Warum hat man bei dem von Ihnen entwickelten Erdbebenwarnsytem die Chance, sich in einigen Sekunden in Sicherheit zu bringen?
Unser zusammen mit dem Geoforschungszentrum Potsdam entwickeltes Erdbebenvorwarn- und Sichheitssystem secty lifePatron misst die Primärwelle bei einem Erdbeben. Jedes Erdbeben kündigt sich durch eine Primärwelle an. Die Primärwelle ist ein vertikaler Schlag und ist für den Menschen nicht wahrnehmbar, wohl aber für Tiere. Die Primärwelle bringt keine Zerstörung, die Gebäude heben sich nur. Erst die auf die Primärwelle folgende, zeitversetzte Sekundärwelle bringt für Mensch und Umwelt die Zerstörung. Die Sekundärwelle ist eine horizontale Bewegung und bringt die Gebäude in Schwingungen. Die Primärwelle ist doppelt so schnell wie die Sekundärwelle und erreicht den Systemstandort immer zuerst. Erdbeben warnen so immer vor sich selbst. Der Abstand zwischen Primärwelle und Sekundärwelle ist abhängig von der Entfernung vom Epizentrum des Erdbebens und dem lokalen Ort, wo das System installiert ist.

Wie wird man von dem Gerät gewarnt?
Unser Erdbebenwarnsystem besteht aus empfindlichen elektronischen Sensoren, die Primärwellen erkennen und analysieren. Sobald der eingestellte Schwellwert überschritten wird, gibt das System Alarm, und über ein modernes Energiemanagement können verschiedene Schaltvorgänge ausgelöst werden. Sirenen können Alarm geben, Gasleitungen und Strom abgeschaltet werden.

Wo haben Sie ihr Erdbebenwarnsytem bereits installiert?
Die Entwicklung des Gerätes wurde wissenschaftlich begleitet und getestet. Im Jahre 2006 ist das Erdbebenwarnsystem mit dem W.I.N. Award als beste Produktinnovation ausgezeichnet worden. Zur Zeit haben wir das System in 16 Ländern weltweit installiert und können Referenzprojekte in Afghanistan, Chile, China, Deutschland, Griechenland, Indonesien, Iran, Indien, Kasachstan, Türkei, Pakistan, Peru, San Salvador, Taiwan und in den USA vorweisen.
In Zusammenarbeit mit der Deutschen Bundesregierung und Malteser International haben wir vier kostengünstige Erdbebenvorwarnsysteme als Dorfwarnung in der Region Kaschmir, Pakistan in Betrieb genommen. Mitte Februar 2009 ereignete sich ein schweres Erdbeben in der Region. Alle hier installierten Systeme haben vor dem eigentlichen Eintreffen der zerstörerischen Sekundärwelle einen Alarm ausgelöst.

Auch schon vorher, im praktischen Einsatz in der Deutschen Schule in San Salvador, hat das Erdbebensystem seine Funktionstauglichkeit unter Beweis gestellt und bei einem Erdbeben im April 2008 einen Erdbebenalarm ausgelöst. Diese positiven Ergebnisse haben zur Folge, dass das Auswärtige Amt uns nun weitere Aufträge zur Ausstattung von Botschaften, Konsulaten und anderen deutschen Einrichtungen erteilt.

Haben Sie auch Kunden in Deutschland?
Obwohl es auch in Deutschland in der Niederrheinischen Tiefebene und rund um die Schwäbische Alb erdbebengefährdete Gebiete gibt, wird die Gefahr im Allgemeinen unterschätzt. Zu unseren Kunden in Deutschland gehören u. a. amerikanische Unternehmen, die aus Kalifornien die Gefahr eines Erdbebens kennen.

Die Stadt Almaty liegt in einem besonders erdbebengefährdeten Gebiet, das letzte schwere Beben fand jedoch vor über 100 Jahren statt. Ist das ein gutes oder schlechtes Zeichen?
Das ist leider ein schlechtes Zeichen. Die Erdoberfläche besteht aus sogenannten Kontinentalplatten, entlang der Plattengrenzen gibt es Erdbeben. Wenn es regelmäßig kleinere Beben gibt, entspannen sich die Platten, aber wenn es in einem erdbebengefährdeten Gebiet lange keine Erdbeben mehr gegeben hat, besteht die Gefahr dass an den Plattengrenzen eine große Spannung entsteht, die sich dann erneut in einem schweren Erdbeben entlädt. Nicht umsonst bereiten wir uns gerade mit unserem Erdbebenwarnsystem auf den Markteintritt in Kasachstan vor.

Das Gespräch führte Christine Karmann.

01/01/10

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