Almaty wird Weltstadt. Mit Hilfe einer russischen Bank versucht es die Stadt erneut und lädt nach vier Jahren Pause wieder Leningrad, das Enfant terrible der russischen Musikszene ein. Eine Stadt zeigt Humor?

/Bild: Berdi Hardi/

Trompete, Posaune, Tuba und Saxophon glänzen in der Abendsonne. In der Luft liegt Musik. Eine Mischung aus Latin, Polka, Punk und Ska, mit bodenständigen Texten, die nur so vor Slang und Fluchereien strotzen, dass jeder Spießbürger beim beiläufigen Hören vor Schmach rot anläuft, abgerundet wird. Das ist Leningrad. Eine Band, die aufgrund ihrer Direktheit polarisiert. Eine der wenigen Bands, die auch über die Grenzen Russlands hinaus bekannt ist und wohl auch die einzige „Underground“-Band, die sich im großen Strudel des seichten russischen Pops durchsetzen konnte.

„Farce: Drogen sind verboten, aber Wodka ist erlaubt“

Leningrads Markenzeichen: Revolte gegen die kontrollierte Monotonie des geschönten Geschmacks. Wenn das Leben eine Farce ist, warum dann die Dinge nicht beim Namen nennen – so ihr Motto. Leningrad ist nicht gerade zimperlich. Sie nennen viele Dinge beim Namen, die vielen Menschen unangenehm sind. Eben dadurch unterscheidet sich Leningrad von den ihnen im russischsprachigen Raum an Bekanntheitsgrad in nichts nachstehenden Popbarden und -sternchen.

Denn während die geschönten Stars des russischen Pendants zu  „Deutschland sucht den Superstar“ („Fabrika Svyosd“) mit schönen, aber auch fragwürdigen Texten alla „Meine Mulattin – Schokolade/ ich liebe dich wie Süßes“ („moja mulatka – shokoladka/ ja lublju tebja tak sladko“) die Ideale romantischer Liebe oder heilsversprechenden Reichtums besingen, kreisen die Themen Leningrads um Gewalt, Drogen und die herbe Realität des postsowjetischen Alltags.

Daher sind Texte, die das russische Mat (Unflat) auskosten wie eine reife Frucht, bei Leningrad keine Seltenheit. Doch gerade auch bezüglich des Fluchens legen Leningrad eine gesunde Portion Ironie an den Tag: „Die guten Onkels von der Polizei fluchen nie/ Und nehmen einen auch nie aus, genau wie die Abgeordneten/ Die Pensionisten bekommen pünktlich ihre Pensionen/ Und alleinstehenden Müttern hilft die Regierung/ Warum also sollten sie fluchen?“

„Ich bin ein wilder Mann: Eier, Tabak, Fahne, Stoppelbart“

Nicht nur auf den Texten gründet sich der zwiespältige Ruf, der Leningrad vorauseilt; bei öffentlichen Auftritten zeigen sie, dass sie das Spiel mit der Provokation beherrschen und lieben. Zu ihrem Repertoire gehörten bisher im Alkoholrausch verlorene Auszeichnungen, Schlägereien bei Konzerten und ein Nacktauftritt.

Diese alte, neue Mischung aus Derbheit, Lebenslust und Humor, der immer am Grat zwischen banaler Stumpfheit und ironischer Raffinesse dahinwandelt, hat ihnen beides eingebracht: zahlreiche Fans wie auch zahlreiche Feinde. Für den Moskauer Oberbürgermeister und Oligarchen Luschkow zum Beispiel hat es gereicht, um sie mit einem Auftrittsverbot aus der Haupstadt zu verbannen. Dieses Verbot hält sie natürlich nicht davon ab, trotzdem in Moskau aufzutreten, denn vielen ist eine schmutzige Welt mit Freiräumen und Wiedererkennungswert lieber als eine sauerstoffarme Welt, deren Fäden ein putintreuer Bürgermeister zieht.
Sergej Schnurow, Gründer und Sänger der Gruppe revanchiert sich auf seine Art und Weise, indem er bei einem Auftritt in Moskau „Euer Bürgermeister sagt, er will hier keine dreckigen Wörter hören. Wenn er den Stecker zieht, müsst Ihr weitersingen!“ ins Publikum schreit.
So skurril die Auseinandersetzung zwischem dem Bürgermeister und Lenigrad erscheint, Leningrad darf sich im Grunde genommen bei Herrn Luschkow bedanken: denn Provokation funktioniert nur dann, wenn sie Abnehmer findet. Schön, das Provokation noch immer möglich ist. Traurig, dass es noch immer so einfach ist.

Almaty ist anders

Vor diesem Hintergrund ist es Almaty umso höher anzurechnen, dass sie Leningrad nach dem missglückten Versuch im Jahre 2004, als die Band im Rahmen des Konzertes „Stop, den Drogen“ spielte, nochmals zu sich ins „Wohnzimmer“ ließen. Denn während damals die Vorbands die Jugendlichen dazu aufriefen, die Finger von Heroin, Gras und sämtlichen anderen Drogen zu lassen, trat im Anschluss Leningrad auf und strafte mit ihrem Liedtext: „Ich habe alles, was ich brauche und auch noch/ Taschen voller Marihuana“ (polniye karmany) alle guten Vorsätze der Vorsänger Lügen.

Denn die von ihnen ins Spiel gebrachte Dialektik von Ironie und Ernst, die sich jedem direktem Zugriff entzieht, muss man erst akzeptieren lernen, um dann auch mit ihr umgehen zu können.

Almaty hat gezeigt, dass es das kann. Zwar unter gutem Zureden einer russischen Bank, die, wie man es zu Beginn des Konzertes von Seiten des Managements vernehmen konnte, etwas anderes, sprich „Authentisches“ wollte, aber immerhin.

Schließlich hat Almaty damit geschafft, was Moskau unter Einfluss seines Oberbürgermeisters nicht gelang: es zeigt Größe. Größe gegenüber dem Anderen, dem was provoziert. Man kann dazu nur gratulieren und hoffen, dass es sich dabei um keinen Ausrutscher gehandelt hat.

Von Berdi Hardi

04/07/08

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