Bereits in Baedeckers „Handbuch für Reisende. Russland“ in seiner 2. Auflage von 1888 finden Besucher von St. Petersburg neben Hinweisen zu Tramway- und Dampfbootlinien eine Empfehlung für die Buchhandlung „B. M. Wolff“, in der neben russischer auch deutsche und französische Literatur angeboten wurde. Seit 1931 gilt auch „Wolff’s Bücherei“ in Berlin-Friedenau als ein Geheimtipp unter Berliner Buchliebhabern. Was beide Buchhandlungen verbindet – eine Familiengeschichte.

/Bild: pixelio. ‚Polnische Werke, russische Literatur, technische Handbücher – der Verlagskatalog der Bücherei Wolff schien unendlich.’/

Mehr über die Geschichte der Familie Wolff sowie über die Entstehung beider namhafter Buchhandlungen in St. Petersburg und Berlin erfährt man aus der Jubiläumsschrift von 1981 des Hauses „Wolff’s Bücherei“ von der Urenkelin des Gründers, Katia Wagenbach-Wolff.

Boleslaw Maurycy/Mawriki Ossipowitsch-Moritz Ossipowitsch Wolff, der Begründer der Dynastie, wurde 1825 in Warschau geboren. Die Lehre bei Glücksberg, einer angesehenen Buchhandlung in seiner Heimatstadt, begann der Junge mit 13 Jahren; es folgten zwei Wanderjahre nach Deutschland und Frankreich – unter anderem bei Brockhaus in Leipzig und Bossange in Paris. Diese Stationen garantierten dem jungen Mann eine solide Ausbildung. Mit ausgezeichneten Kenntnissen der deutschen und französischen Sprache kehrte er zurück. In Krakau und Lemberg beginnt er in den Buchhandlungen von Glücksberg zu arbeiten. Im Auftrag des Inhabers reiste er dann mit einem „fahrenden Buchladen“ durch die russischen Westgebiete, zu den Jahrmärkten und auf die Landgüter des Adels, als es unter den Reichen jener Zeit Mode wurde, sich eine eigene Bibliothek anzuschaffen. Es ist heute schwer nachzuweisen, welche Bücher Wolff damals feilbot, anzunehmen ist, dass in jenen Kreisen das Interesse an deutscher und französischer Literatur, aber auch an polnischen Büchern groß war, die in Deutschland und Frankreich gedruckt und dann um die Jahrhundertmitte in die russisch besetzen polnischen Gebiete auf diese Weise eingeführt wurden.

Dostojewski als Stammgast

Vier Jahre bot Wolff in den russischen Westgebieten Bücher zum Verkauf, dann ließ er sich in St. Petersburg nieder, zuerst als Gehilfe der Buchhandlung Isaak am Newski Prospekt. Das eigene Interesse lag jedoch nicht nur im Vertrieb von guter Literatur; es folgten bald auf eigene Kosten herausgegebene Bücher in polnischer Sprache, vor allem belletristische Literatur der Mickiewicz-Epoche, insgesamt waren es 150 Titel. Mit dem erworbenen Gewinn konnte Wolff eine eigene Buchhandlung begründen, seine „librairie universelle“, die er 1853 am Newski Prospekt eröffnete.

Sie wurde bald bekannt durch das wohl geordnete Sortiment. Doch das allein machte die Anziehungskraft dieses Buchladens nicht aus; er wurde schnell zum Treffpunkt von Literaten seiner Zeit. Hier bildete sich jener berühmte und berüchtigte ‚Potschti Club’, zu deutsch ‚Fast ein (literarischer) Club’, dessen Stammgäste Gotscharow, Saltykow, Lesskow, Dostojewski, Maikow sowie Ostrowski und Turgenew (wenn sie nach St. Petersburg kamen) waren.

Mehr als nur Belletristik

Als nach der Niederschlagung des polnischen Aufstandes von 1863 die russische Zensur den Druck von polnischer Literatur ganz unmöglich machte, wandte sich Wolff mehr russischen Werken zu. Wolff hatte ein gutes Gespür für Marktlücken. Er erfasste genau die veränderte Situation nach den Reformen von 1861. Ein „Handbuch der Mechanik“ erschien in seiner Druckerei; es folgte pädagogische Literatur.

Der steigende Umsatz ermöglichte eine Ausdehnung des Unternehmens. 1876 begründete Wolff eine eigene Druckerei mit 14 durch Dampfkraft betriebenen Schnellpressen. Ein Jahr später erwarb er ein Grundstück auf Wassili-Ostrow für das Bücherlager und die Druckerei; eine neue Schriftgießerei kam hinzu. Im letzten Jahr seines Lebens konnte Wolff sein Unternehmen in eine Industrie- und Handelsgesellschaft umwandeln. Mitglieder der Zarenfamilie und die Erzieher der Zarensöhne wurden Kunden der Buchhandlung.

Der unumschränkte Herrscher der Literatur

Nun gehörten zum Unternehmen zwei Buchhandlungen am Newski Prospekt und zwei in Moskau; 700 Personen arbeiteten in den Buchhandlungen und in den technischen Betrieben. Der Verlagskatalog zählte 4.000 Titel. Wolff hatte sich der Devise verschrieben, „möglichst viele Bücher zu verbreiten, das ganze Land mit einer Riesenmenge Bücher einzudecken“. Er gab Kinder- und Jugendbücher-Reihen heraus, auch Lehrbücher, geisteswissenschaftliche Publikationen und die belletristische Reihe „Berühmte zeitgenössische Autoren“. Das vierbändige etymologische „Wörterbuch der russische Sprache“ von Dahl ist bis heute jedem bekannt, der sich mit der russischen Sprache befasst. Wolff begann die Veröffentlichung der 80.000 Wörter und Begriffe umfassenden Arbeit des oben genannten Sprachwissenschaftlers Ende der 60er Jahre; er plante zugleich die Herausgabe einer auf 20 Bände angelegten Geographie Russlands sowie die Veröffentlichung der historischen Arbeiten von Kostomarow und Darwin, Schlossers „Weltgeschichte“, Thiers „Geschichte der französischen Revolution“, Kuno Fischers „Geschichte der neuen Philosophie“ und die „Logik“ von Mill in einer Übersetzung von Peter Lawrow, nicht zu sprechen von den russischen Klassikern Puschkin, Gogol und vielen anderen.

Moritz Wolff starb am 19. Februar 1883; sein Grab befindet sich auf den Evangelischen Smolenski-Friedhof in St. Petersburg. Eine Büste und ein in Stein gehauenes aufgeschlagenes Buch erinnert an den Verleger und Aufklärer.

Ein neues Kapitel der Wolff‘schen Familiengeschichte

Das Wolff’sche Unternehmen wurde von seinem Sohn bis 1917 in der Traditionslinie des Vaters fortgeführt, dann verließ die Familie das Land. Der Enkel Andreas Wolff lernte in Wiesbaden und bei B. G. Teubner in Leipzig, schließlich arbeitete er von 1926 bis 1929 bei S. Fischer in Berlin. 1931 beginnt ein neuer Abschnitt in der Geschichte der Buchhändler-Familie mit der Eröffnung der „Wolff’schen Bücherei“ in Berlin-Friedenau.

Von Erika Voigt

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