Dirk Wiese, der unter anderem für die zwischengesellschaftlichen Beziehungen Deutschlands mit Zentralasien zuständig ist, begleitet die Region momentan vom Homeoffice aus. Im Interview mit der DAZ spricht der Regierungskoordinator über Kooperation in Zeiten von CoVid-19 und gibt einen Ausblick auf die deutsch-kasachische Zusammenarbeit nach der Pandemie.

Herr Wiese, in Ihren Zuständigkeitsbereich fallen zwölf Länder. Das bringt eine rege Reisetätigkeit mit sich, die aktuell wegen Grenzschließungen und des stillgelegten Luftverkehrs ruhen muss. Wie sehr beeinträchtigt das Ihre Arbeit als Regierungskoordinator und wie halten Sie den Betrieb trotzdem aufrecht?

Leider musste ich tatsächlich einige lange geplante Reisen wie auch Veranstaltungen mit ausländischen Gästen in Deutschland absagen oder verschieben. Um jede einzelne Reise und Veranstaltung ist es schade, denn dahinter stehen aufwändige Planungen und das Ziel, Beziehungen zu intensivieren und Projekte anzuschieben. Sobald das Reisen wieder möglich ist, werde ich nachholen, was sich nachholen lässt. Auf Dauer ist der Austausch von Angesicht zu Angesicht natürlich durch nichts zu ersetzen.

Bis dahin halte ich den Kontakt zu Gesprächspartnern im In- und Ausland über Telefon- oder Videokonferenzen. Außerdem gebe ich auf meinen Social-Media-Kanälen gerade jeden Tag einen Tipp zu Kultur, Natur oder Küche der zwölf Länder, für die ich als Koordinator zuständig bin. So können die Menschen in Deutschland in einer Zeit der Ausgangsbeschränkung von Wohnzimmer oder Küche aus zu virtuellen Reisen aufbrechen. Das macht die Situation für die eine oder den anderen hoffentlich etwas leichter erträglich, und zugleich bleibt die Region im Blick der deutschen Öffentlichkeit. Aus Kasachstan habe ich übrigens die Online-Musikvideos der „Q-Pop“-Band Ninety One empfohlen.

Für April beispielsweise war eine Reise nach Kirgisistan geplant, die Sie nun leider nicht antreten konnten. Was stand da auf der Agenda?

Mit Vertretern der kirgisischen Regierung, des Parlaments und der Zivilgesellschaft komme ich regelmäßig in Berlin zum Austausch zusammen – gern wollte ich diese Besuche in Deutschland nun mit einer Reise nach Bischkek erwidern. Zudem habe ich auf Bitten der Friedrich Ebert Stiftung die Schirmherrschaft über eine Konferenzreihe übernommen, die hochrangige politische Beraterinnen und Berater aus ganz Zentralasien regelmäßig zum Austausch zusammenbringen wird – und so die regionale Zusammenarbeit weiter voranbringt. Für Mitte April war in Bischkek die Auftaktveranstaltung geplant. Beides, die Konferenz und mein Besuch in Bischkek, soll nachgeholt werden. Ich suche schon heute nach Reisemöglichkeiten.

Kasachstan ist für Deutschland der wichtigste Partner in Zentralasien. Welche Kooperationsmöglichkeiten gibt es im Kampf gegen CoVid-19 zwischen beiden Ländern?

Auch beim Kampf gegen CoVid-19 bleibt die Kooperation zwischen Deutschland und Kasachstan richtig und wichtig. Kasachstans Präsident Kassym-Schomart Tokajew hat nach meiner Beobachtung schnell und entschlossen gehandelt, um die Pandemie und ihre Folgen so gut wie möglich zu beherrschen. In Berlin suchen wir gerade nach Möglichkeiten, wie wir Kasachstan beim Kampf gegen CoVid-19 am besten unterstützen können. Unter anderem wird gerade geprüft, inwieweit das Robert-Koch-Institut die kasachischen Gesundheitsbehörden durch Beratung und Austausch unterstützen kann.

Welche kurz- und langfristigen Auswirkungen sehen Sie für den Handel Deutschlands mit Kasachstan und für deutsche Investitionen im Land?

Für die deutsche Wirtschaft sagen uns die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute für 2020 eine deutliche Rezession infolge der Covid-19-Krise voraus. Auch Kasachstans Regierung rechnet mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung infolge des Covid-19-Shutdowns und eines sinkenden Rohölpreises. Dass das erst einmal Spuren auch im Handel zwischen Deutschland und Kasachstan und bei den deutschen Investitionen in Kasachstan hinterlassen wird, ist unvermeidlich.

Wie schnell die deutsche Wirtschaft sich erholen kann, hängt maßgeblich davon ab, wann die unumgänglichen Maßnahmen zum Schutz von Leben und Gesundheit in Deutschland wieder zurückgefahren werden können. Danach wird es Schritt für Schritt wieder aufwärts gehen. Für Deutschland prognostizieren die Wirtschaftsforschungsinstitute für 2021 dann wieder ein kräftiges Wachstum von 5,8 Prozent – dann wird sich hoffentlich auch der Handel mit Kasachstan wieder intensivieren und deutsche Unternehmen werden sich mit Investitionsentscheidungen im Ausland leichter tun.

Was kann Deutschland und was kann Kasachstan tun, um Handel und Investitionen nach der Pandemie schnellstmöglich wieder anzukurbeln?

Die wichtigste Voraussetzung für florierende Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und Kasachstan in der Zukunft ist, dass beide Länder heute ihre Unternehmen und Bürgerinnen und Bürger so gut wie möglich durch die Krise bringen. Die Bundesregierung hat entschlossen gehandelt und mehr als 120 Milliarden Euro für ein beispielloses Hilfspaket zur Verfügung gestellt. Darin enthalten sind beispielsweise auch Exportkreditgarantien des Bundes, die Exporteure und Banken gegen wirtschaftlich und politisch bedingte Forderungsausfälle auch in Zeiten der Covid-19-Krise absichern und so ihr wirtschaftliches Handeln stützen.

Auch Kasachstans Regierung hat unmittelbar reagiert, um die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie zu mildern. Nicht weniger wichtig ist mittelfristig aus meiner Sicht allerdings auch, dass Präsident Tokajew seinen Reformkurs fortführt, den Deutschland unterstützt. Präsident Tokajews Besuch in Berlin im Dezember 2019 war ein wichtiger Impuls für die weitere Intensivierung der deutsch-kasachischen Beziehungen – sobald die unmittelbaren Folgen der Covid-19-Krise gemeistert sind, wollen und werden wir damit fortfahren.

In einem früheren Interview mit der DAZ haben Sie die vielen Kooperationen zwischen deutschen und kasachischen Hochschulen erwähnt. Besonders der akademische Austausch leidet aber derzeit unter den physischen Beschränkungen. Welches Potential sehen Sie hier für die Zeit nach der Pandemie?

Die derzeitigen schmerzhaften Beschränkungen ändern meiner Einschätzung nach nichts daran, dass sich viele junge Kasachinnen und Kasachen für ein Studium in Deutschland interessieren. Etwa 1000 von ihnen sind derzeit an einer deutschen Hochschule eingeschrieben.

Deutsch ist nach Englisch die beliebteste westliche Fremdsprache in Kasachstan. All jene, die heute in Kasachstan Deutsch lernen, sind natürlich potentielle Interessierte an akademischem Austausch mit Deutschland. Mit der Präsenz des Deutschen Akademischen Austauschdiensts, dem Goethe-Institut und der Deutsch-Kasachischen Universität in Almaty verfügen wir von deutscher Seite über stabile Stützen des akademischen Austauschs zwischen unseren beiden Ländern. Sie werden auch dieser Pandemie trotzen.

An deutschen Schulen und Hochschulen haben die Beschränkungen der persönlichen Begegnung meiner Beobachtung nach übrigens zu einem Boom des digitalen Lehrens und Lernens geführt. Da wird gerade mit Hochdruck an technischen Anwendungen und Ideen getüftelt, die sonst vielleicht noch Jahre gebraucht hätten. Und auch in Kasachstan haben die Hochschulen und Universitäten meines Wissens ja schon seit Wochen auf Fernlehre umgestellt. Wenn sich in der Covid-19-Krise digitales Lernen jetzt in beiden Ländern schnell durchsetzt und für alle einfacher wird, entstehen ja vielleicht auch neue Chancen für den akademischen Austausch zwischen beiden Ländern im virtuellen Raum.

Wie sieht es im Bereich der zivilgesellschaftlichen Zusammenarbeit aus?

Gerade in diesem Bereich gibt es ja glücklicherweise eine besonders enge Verbindung zwischen unseren beiden Ländern: Die etwa 180.000 Kasachstandeutschen in Kasachstan und die etwa 800.000 von ihnen, die seit 1991 nach Deutschland ausgesiedelt sind. Auf diese menschliche Verbindung können wir dauerhaft vertrauen.

Die Kasachstandeutschen sind Mittler zwischen Kasachstan und Deutschland in allen Bereichen des Lebens. Bei meinem zweiten Besuch in Kasachstan Mitte Januar 2020 bin ich in Almaty auch wieder mit Vertretern deutscher Unternehmen zusammengetroffen. Nicht wenige von ihnen sind in Deutschland aufgewachsene Kasachstandeutsche, die nun die Geschäfte deutscher Firmen in Kasachstan führen. Sie sind mit beiden Ländern, Kulturen und Sprachen vertraut und bestens ausgebildet. Die Kasachstandeutschen sind ein Glücksfall für die Zivilgesellschaften unserer beiden Länder und unsere Zusammenarbeit.

Wasserknappheit, Umweltprobleme, Grenzkonflikte – Zentralasien hat neben Corona noch andere Probleme. Befürchten Sie, dass die Suche nach Lösungen hierfür wegen der Pandemie in den Hintergrund treten könnte?

Der weltweite Kampf gegen Covid-19 ist heute und vielleicht auch noch für einige Wochen die zentrale Herausforderung für praktisch alle Staaten dieser Erde, auch für die zentralasiatischen. Wasserknappheit, Umweltverschmutzung oder Grenzkonflikte aber sind für Zentralasien zentrale Herausforderungen seit Jahrzehnten. Sobald die Covid-19-Pandemie einigermaßen beherrscht ist, werden wir uns gemeinsam wieder verstärkt der Suche nach Lösungen für diese Probleme zuwenden.

Die genannten Themen werden auch in der neuen EU-Zentralasienstrategie aufgegriffen, die noch vor Corona verabschiedet wurde. Inwiefern ist die Strategie unter den neuen Gegebenheiten geeignet, um der Region nach dem Lockdown wieder auf die Beine zu helfen?

Die EU und ihre zentralasiatischen Partner stimmen sich schon heute eng im gemeinsamen Kampf gegen Covid-19 und die Folgen der Pandemie ab. Diesen Kampf gewinnt keiner allein. Der Präsident des Europäischen Rates Charles Michel hat darüber erst kürzlich mit den Präsidenten von Kasachstan und Kirgisistan telefoniert, und auch der EU-Sonderbeauftragte für Zentralasien Peter Burian koordiniert in diesen Tagen sehr aktiv.

Zwischen Kasachstan und der EU ist am 1. März 2020 das Erweiterte Partnerschafts- und Kooperationsabkommen in Kraft getreten – ein Meilenstein, von dem wir uns eine Intensivierung auch der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der EU und Kasachstan versprechen. Seine Wirkung entfalten kann dieses Abkommen natürlich erst nach der Rückkehr zu einer Normalität.

Gleiches gilt auch für die EU-Zentralasienstrategie. Aber die Instrumente – etwa die Förderung von unternehmerischer Initiative sowie von Forschung und Entwicklung – bleiben die geeigneten. Sie müssen nur erst zur Anwendung kommen können.

Im Januar hat das Auswärtige Amt die Initiative Green Central Asia gestartet. Können Sie kurz schildern, wie deren Umsetzung bislang vorangekommen ist und welche konkreten Maßnahmen die teilnehmenden Länder seitdem ergriffen haben?

Green Central Asia ist ja eine Initiative, die vor allem einen politischen Dialog über Klimawandel und damit verbundene Sicherheitsfragen zwischen den fünf zentralasiatischen Staaten und Afghanistan in Gang bringen soll und so zu intensivierter regionaler Kooperation führen soll. Nach der Auftaktveranstaltung am 28. Januar in Berlin ist der nächste Schritt nun, dass alle sieben Unterzeichnerstaaten sich auf das weitere gemeinsame Vorgehen einigen – in diesem Abstimmungsprozess befinden wir uns gerade. Allerdings ist für einen politischen Dialog natürlich entscheidend, dass Menschen sich auch tatsächlich von Angesicht zu Angesicht begegnen können und in der Kaffeepause miteinander ins Gespräch kommen. Ich freue mich schon sehr auf den Tag, an dem das wieder möglich sein wird.

Vielen Dank für das Gespräch.

Die Fragen stellte Christoph Strauch.

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