Wir leben in einer politisch korrekten Welt. Sprachlich. Wie wir handeln, ist eine ganz andere Geschichte. In der politisch korrekten Welt sagt man bestimmte Dinge nicht. Zum Beispiel Neger. Das ist gut und richtig so und mir persönlich ein wichtiges Anliegen. Wenn immer ich jemanden Neger sagen höre, zucke ich zusammen, blicke auf und suche den Übeltäter, um ihn zur Rede zu stellen. Was aber, wenn derjenige, der Neger sagt, eigentlich ein prima Mensch ist, offen, tolerant, großzügig und großherzig?

In letzter Zeit habe ich sehr oft sehr nette Menschen „Neger“ sagen hören. Alle aus der Generation unserer Eltern, die das Wort Neger damals in ihrer sprachlichen und gesellschaftspolitischen Sozialisation in keiner Weise als Schimpfwort erlebt haben und auch heute noch so sprechen, wie sie es damals gelernt haben. Die Mutter meiner Freundin hat es klipp und klar zum Ausdruck gebracht, als wir sie vorsichtig maßregeln wollten. „Wir haben immer schon Neger gesagt, und wir sind so, wir sind alt und wir wollen nicht immer alles umlernen, basta!“ Tjo, da hat sie irgendwie recht.

In anderen Lebensbereichen mache auch ich von meinem Recht Gebrauch, nicht allen Änderungen im Galopp zu folgen. Und nun kam noch ein Freund daher, der den Neger mit „schwarzer Neger“ toppt. Er, aber nur er, darf das, weil er der großzügigste, toleranteste und herzlichste Mensch ist, den ich kenne. In jedem Falle ist er weitaus weltoffener als ich, die ich mich strengst am politisch korrekten Vokabular festklammere. Wie könnte also ich die Toleranzpolizei spielen und ihn für Dinge maßregeln, die er sagt, die er aber nicht so meint oder lebt? Eben!

Mir kommen zunehmend Zweifel an der vermeintlichen politischen Korrektheit, wenn hinter sprachlichen Veränderungen Tatsachen bestehen bleiben. Wäre es da nicht besser, man würde die Missstände unverschleiert klipp und klar aussprechen? Katze aus dem Sack! Fast schon gerate ich in eine Sinnkrise meiner Tätigkeit, indem ich als Vielfaltsagentin mit rhetorischen Mitteln für die Integration kämpfe. Was kommt bislang dabei heraus? In vielen Fällen Integrationskonzepte, die als Papiertiger friedlich in Schubladen schlummern und keinem wehtun, geschweige denn die Integration voranbringen.

Integrationsbeauftragte, die beim Loseziehen um seltsame Posten verloren haben. Hübsche Werbebanner, die Offenheit suggerieren und die Fassaden der Ämter schmücken, aber drei Schritte hinter dem Eingang Diskriminierung walten lassen. Und wir als so genannte Experten füttern die Entscheidungsträger mit hübschen Formen und Floskeln der Toleranz, hinter denen sie ihre Vorurteile und Vorbehalte verstecken können. Na, ich weiß ja nicht. Da sowieso Taten immer wichtiger sind als Worte, ist mir ein Mensch, der schwarzer Neger sagt, aber allen seine Tür öffnet, der weitaus bessere Integrator, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so klingt. Es sei ihm gegönnt.

Julia Siebert

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