Ob man du oder Sie sagt, da wird man sich in Deutschland heutzutage nicht so ganz einig. Früher gab es noch handfeste Regeln. „Man sagt Sie!“ wurde uns in der Kindheit eingebläut.

Wir verstanden: Alles, was groß und fremd ist, wird gesiezt. Und jetzt, da wir selber groß sind, dürfen wir auch selbst entscheiden, wann wir das Sie beibehalten möchten und bei wem wir es wieder abschütteln möchten. Und das ist gar nicht so leicht. Es braucht immer einen, der den Anfang macht. „Wollen wir nicht du sagen?“, fragt dann einer meist verlegen. Und dann muss der andere einwilligen. Manchmal geht es schnell und unkompliziert vonstatten, manchmal wird es ein feierlicher Akt, wenn man miteinander Brüderschaft trinkt. Wie gut nur, dass es die Blutsbrüderschaft nicht mehr gibt! Aber meist tut es ein Handschlag, zu dem man seinen Vornamen nennt, als würde man sich ganz neu vorstellen. Und in gewisser Weise beginnt ja auch ein neuer Akt der Beziehung. Wer sich duzt, geht schneller mal ein Bier miteinander trinken und erzählt sich auch Intimitäten. Trotzdem gilt nach wie vor die Regel: Wer groß ist, wird gesiezt. Und weil das die Älteren und die Chefs sind, bleibt es bei ihnen meist beim Sie. Weil es nun aber auch die Globalisierung gibt und wir auch in anderen Ländern interkulturell kompetent auftreten wollen, weil wir den Zeitgeist nicht verpassen wollen und handfeste Regeln brauchen, schauen wir uns in anderen Ländern um. In Schweden und den Niederlanden wird längst alles rauf und runter geduzt, die Engländer kommen aus sprachlichem Mangel an Alternativen ohnehin nicht daran vorbei. Und jetzt wollen auch bei uns manche so locker sein wie die Schweden oder Niederländer und zeigen, dass es – eigentlich – keine Hierarchien gibt. Aber die Hierarchien gibt es trotzdem und die Duzerei muss auch zu einem Volk passen, und wir Deutsche sind nun mal etwas steif und konservativ. Denn nur fast sind wir an der Übertragung des Titels auf die Ehefrau – Frau Doktor – vorbei gekommen, doch zum Teil sitzt noch die Titelei ganz tief. Ein Geologiestudent hat es knallhart durchgehalten, zwei Wochen lang inmitten der Taiga, in Sumpf, Unterholz, Regen und Kälte, wenn man eigentlich andere Probleme hat und sich über kurze Wege etwas schnell zuruft, jede Mitteilung einzuleiten mit „Herr Professor Doktor Klüter“ – bis das alles ausgesprochen ist, kommt man nicht mehr zum eigentlichen Anliegen, und der Bär hat einen längst verspeist. Nun gut, wir haben es überlebt. Alles in allem – man sollte das sagen, was zu einem passt und was einem leichter über die Lippen kommt. Wenn man der Siez-Typ ist, sollte man besser siezen. Und wenn man gern duzt, spricht das auch nicht für weniger Respekt. Im Zweifelsfalle spricht sich „Sie Dummkopf!“ genauso schnell aus wie „Du Dummkopf!“

22/06/07

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