Wie man am besten Deutsch lernt: Ein Gespräch mit Karina Sergejtschik, der diesjährigen Gewinnerin der Republiksolympiade der deutschen Sprache

DAZ: Immer nach einer großen Olympiade gibt es diese Frage: Warst du sicher, hast du den Sieg erwartet oder hast du gezweifelt?

Karina Sergejtschik: Ich habe gewusst, dass es in Taldykorgan sehr viele Teilnehmer geben würde – unter ihnen viele gute Schülerinnen, mit denen ich sozusagen zu kämpfen hätte.

Ich habe auch gewusst, dass meine Kenntnisse nicht so schlecht sind. Ich war natürlich nicht sicher, ob ich den ersten oder zweiten Platz belegen werde. Aber ich habe mich eben durchgekämpft.

DAZ: Beschreibe bitte das Gefühl, als du erfuhrst, du seiest nunmehr die beste deutschsprechende Schülerin von ganz Kasachstan!

Sergejtschik: Wirklich sehr angenehm für mich, aber ich wusste, dass ich dafür ziemlich viel gelernt und etliche Sprachkurse besucht hatte. Das war dann so eine Art Belohnung.

DAZ: Wie bereitet sich eine Olympiadesiegerin auf den Wettstreit vor?

Sergejtschik: Mit einer intensiven Beschäftigung mit Übungsaufgaben und zusätzlichen Texten und Materialien. Drei bis viermal pro Woche saßen meine Lehrerin und ich im zusätzlichen Unterricht nach den obligatorischen sieben Wochenstunden zusammen.

DAZ: Was beinhaltet der zusätzliche Unterricht?

Sergejtschik: Wir lesen verschiedene Texte, fertigen schriftliche Arbeiten an und reden viel miteinander auf Deutsch.

DAZ: Du hast in deiner Schule ja auch die Gelegenheit, mit einem Muttersprachler zu kommunizieren. Nutzt du diese ebenso?

Sergejtschik: Ich mache das sehr gerne und möchte dieser Form der Sprachpraxis noch mehr Zeit widmen. Die zwei Stunden pro Woche mit unserem Lehrer Herrn Zühlke sind wenig, aber es ist eine Riesen-Chance für alle Sprachinteressierten.

DAZ: Was nimmst du aus den Begegnungen mit einem Muttersprachler – ist es dir eine Hilfe, ein schöner Beweis deiner Kenntnisse oder bekommst du auch Grenzen aufgezeigt?

Sergejtschik: Na, ja, unser Lehrer sagt, ich mache nicht so viele Fehler, sogar sehr wenig. Aber die Aussprache ist schon eine andere Frage. Ich meine, wir bleiben doch russische Menschen, die nie wie die Deutschen sprechen können. Aber eine echte Unterhaltung mit einem Deutschen ist eben stets ein großer Anreiz.

DAZ: Die Vorbereitung schließt doch bestimmt auch die Arbeit allein zu Hause ein?

Sergejtschik: Ich lese gern deutsche Krimis und wiederhole, festige die Grammatik. Das ist auch wichtig. Was die Umgangssprache angeht, gibt es in meiner Familie leider niemanden, der Deutsch mit mir sprechen könnte. So muss ich alles allein bewerkstelligen. Dann nehme ich mir ein Thema und erzähle es mir selbst, so laut vor mich hin. Das ist recht hilfreich.

DAZ: Jetzt stellen wir uns Karina vor, wie sie im Zimmer auf und ab geht oder beim Bügeln, Abwaschen, Staubwischen „Selbstgespräche“ führt. Oder nimmst du deine Texte auf Kassette auf?

Sergejtschik: Nein, ohne Rekorder, ich verrichte nützliche Dinge, Bettmachen beispielsweise oder Kochen, und dabei spreche ich meine Texte.

DAZ: Es gibt ja ein Gerücht, das mich am Anfang ebenso wie viele andere ungläubig machte: Karina lernt noch gar nicht so lange Deutsch. Mal ganz ehrlich, vor allen Menschen dieser Welt – wann hast du das erste mal ein Deutschbuch in die Hand genommen?

Sergejtschik: In der 10. Schule lerne ich seit Januar 2004 Deutsch. Das ist die ganze Wahrheit.

DAZ: Warst du denn blutige Anfängerin?

Sergejtschik: Als ich in die 10. gekommen bin, kannte ich nicht alle Zeitformen, zum Beispiel das Präteritum und die schwachen und starken Verben. Bis dahin hatte ich nur Englisch gelernt.

DAZ: Wie kam es jetzt, dass du in diese Schule gegangen bist, um Deutsch zu lernen?

Sergejtschik: Eine gute Frage – es gibt nur einen wirklichen Grund: Modern Talking. Als ich mich von dieser Gruppe hinreißen ließ, entschied ich mich, Deutsch zu lernen. Wenn es diese Gruppe nicht gäbe, würde ich weiter Englisch lernen.

DAZ: Moment mal, so weit bekannt ist, singt Modern Talking erstens auf Englisch und besteht doch zweitens schon gar nicht mehr…

Sergejtschik: Allen, die mich dasselbe fragten, antworte ich: die beiden Männer sind doch Deutsche und leben in Deutschland. Dass es die Gruppe nicht mehr gibt, bedauere ich schon sehr. Aber ich schätze sie nicht allein wegen der Musik, sondern als Menschen, an denen ich mir ein Beispiel nehmen möchte.

DAZ: Wir stellen uns wieder vor: Karinas Zimmer vollgehängt und zugeklebt mit Postern, Zeitungsausschnitten und Fan-Artikeln von „MT“…

Sergejtschik: Ja wirklich, alles über „MT“ interessiert mich, das ist schon nicht mehr zu ändern.

DAZ: Du kennst die Texte sicher auf Englisch auch ganz gut?

Sergejtschik: Ja, klar, aber Musik und Texte sind etwas anderes für mich. Die deutsche Sprache bringt mich Bohlen & Anders näher. Da entsteht so eine Verbindung zwischen uns.

DAZ: Kennst du andere Personen und Persönlichkeiten, die dich beeindrucken und ein Vorbild, eine Orientierung für dich sind?

Sergejtschik: Berühmte Schriftsteller oder Wissenschaftler. Sie werden besonders interessant für dich, sobald du etwas über sie und ihr Leben weißt. Nachdem wir im Unterricht verschiedene Informationen und Materialien sammelten, hatte ich die Idee, die Person Einsteins zu beleuchten.

DAZ: Wie war es zu Hause. Eines Tages erklärt Karina ihren Eltern: von heute an will und brauche ich alles auf Deutsch. Gab es eine Reaktion darauf?

Sergejtschik: Sie waren ganz überrascht, sie fragten natürlich nach dem Warum, und die Antwort fiel wie bekannt aus. Es war meine Entscheidung, deshalb konnte mich auch niemand vom Gegenteil überzeugen. Meine Eltern also auch nicht.

DAZ: In deiner Klasse gab es bestimmt auch Meinungen wie: Na, die will nur nach Deutschland fahren und dort bleiben vielleicht.

Sergejtschik: Nach dem Wechsel hörte ich solche Andeutungen öfter. Ja, studieren wäre möglich, aber mein Hauptmotiv war doch wirklich „MT“ !

DAZ: Als beste Deutschlernende in Kasachstan wirst du doch sicher einen Preis erhalten haben, oder?

Sergejtschik: Wir Siegerinnen haben jetzt die Möglichkeit eingeräumt bekommen, an jeder beliebigen Universität in Kasachstan kostenfrei zu studieren. Wir können auf Wunsch bereits nach der 10. Klasse an die Uni gehen und die Abschlussprüfung früher ablegen. Einige haben sich für diese Variante entschieden. Ich allerdings möchte noch weiter an der Schule bleiben.

DAZ: Du willst noch die 11. Klasse absolvieren und womöglich das beste Deutsche Sprachdiplom ablegen?

Sergejtschik: Ja, es ist wichtig für mich, dieses Diplom zu bekommen. Aber mir geht es auch um den Lehrstoff der 11. Klasse, der mir hilft, die Prüfung dann noch besser zu bestehen als jetzt schon. Deswegen brauche ich die 11. Klasse noch, denke ich.

DAZ: Gibt es ein Thema, ein kniffliges Problemchen in der deutschen Sprache, das dich seit deiner kurzen Zeit trotzdessen quält, nervt oder nicht schlafen lässt?

Sergejtschik: Bei der Grammatik glaube ich, nicht, nein. In der Umgangssprache klappt es auch gut, aber der Wortschatz-immer Probleme. Doch das ist wohl nicht nur bei mir so, sondern bei allen, die eine Fremdsprache erlernen. Obwohl wir schon viele Wörter kenne, ist es stets nicht genug. Wir können uns mit Muttersprachlern unterhalten, dennoch: je mehr Wissen, desto besser.

DAZ: Waren denn alle Olympiadeaufgaben leicht und lösbar für dich?

Sergejtschik: Na, die meisten waren nicht so schwierig. Bloß die Gliederung eines Textes, da habe ich gepatzt und die Kommission war nicht zufrieden. Insgesamt erreichte ich 97 von 100 Punkten. Damit bin ich selbst zufrieden gewesen.

DAZ: So viel zu tun für eine 16-Jährige. Hast du überhaupt Zeit für ein Hobby?

Sergejtschik: Ich bin eine leidenschaftliche Köchin, das macht mir ganz großen Spaß. Außerdem freue ich mich immer, wenn sich ein Gespräch mit interessanten Menschen ergibt. Bücher im ganzen sind eine nützliche Beschäftigung, auch deshalb, weil einige Olympiadefragen die Mathematik, die Physik oder das Allgemeinwissen betrafen. Vielfältige Information bedeutet vielseitige Entwicklung.

DAZ: Hast du schon einmal nach deutschem Rezept gekocht?

Sergejtschik: Ist schwierig, ich bereite verschiedene Speisen und Gerichte zu, dabei mische ich wohl die Nationalküchen, vielleicht ist ja auch was Deutsches darunter… kann sein.

DAZ: Stellst du dir deine Zukunft mit Sprache vor?

Sergejtschik: (seufzt lange) Meine Zukunft ist noch sehr unbestimmt. Aber ich möchte mich schon mit Sprachen beschäftigen, Englisch, Deutsch, noch andere Sprachen wie Französisch. Ich denke, dass ich heute nicht nur Sprachen kennen sollte, sondern auch noch andere Bereiche. Sprachkenntnisse allein reichen heutzutage nicht aus.

DAZ: Warst du schon in Deutschland?

Sergejtschik: Nein noch nicht. Aber ich habe eine Reise nach Deutschland gewonnen. Als erster Preis in einem Aufsatzwettbewerb. Das heißt, als ich diesen Aufsatz schrieb, lernte ich weniger als ein Jahr Deutsch.

Auf der Route liegen Berlin, Hannover, Frankfurt, Nürnberg, dort werden wir zwei Wochen in einer Familie leben.

DAZ: Vielen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch führte Hendrik Margull

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