Ein „kollegialer Rat“ klingt freundlich – kann aber unter Umständen höchste Missachtung ausdrücken. Kolumnistin Julia Siebert fragt sich, wie man auf solch einen „freundschaftlichen Hinweis“ reagieren soll.

Zuletzt habe ich einen kollegialen Rat und einen freundschaftlichen Hinweis erhalten. Was mir das wohl sagen will?

Ehrlich gesagt, habe ich es nicht so mit Codierungen, obschon ich sie zum Teil kenne und wahrscheinlich selber anwende. Ein „Hinweis“ ist oft eben nicht nur ein Hinweis, und hinter einem vorsichtigen Konjunktiv versteckt sich oft ein aggressiver Imperativ. Wenn im Arbeitszeugnis steht „hat sich stets bemüht“, heißt das: wusste nichts, konnte nichts. Und wenn man sich unter Anwälten „kollegiale Grüße“ schickt, drückt das ein hohes Maß an Missachtung aus.

Für so etwas bekommt man mit der Zeit ein Gespür. Freundschaftliche und gut gemeinte Ratschläge habe ich schon manche bekommen. Doch dies war mein erster kollegialer Rat. Irritierend finde ich den Nachdruck und Nachhall, der durch das „kollegiale“ Element vermittelt wird. Es gibt Ratschläge, die werden einem ohne Umschweife und Umstände aus der Hüfte oder dem Ärmel erteilt, jemand sagt einem was Schlaues: Du, sieh das doch mal so oder so. Oder mach das doch mal so oder anders. Und dann kann man sagen: Aha, ja, stimmt, ich schau mal oder denke darüber nach. Oder so ähnlich. Mit den kollegialen, freundschaftlichen und gut gemeinten Ratschlägen läuft das anders ab:

1. Akt, das Entrée: „Darf ich dir mal einen freundschaftlichen Rat geben?“ Dramaturgische Pause, fester Blick in die Augen. Das Gegenüber weiß: Oha, jetzt kommt etwas, das eine Mischung aus Kritik und Belehrung ist. Etwas, das einem jemand immer schon mal sagen wollte. Das sagt der Ratgeber nicht einfach nur so, sondern der Inhalt ist wohl durchdacht, hat Bedeutung und Gewicht, muss aufmerksam angehört und am liebsten befolgt werden. Im kollegialen Umfeld könnte es sich sogar um eine freundlich ausgedrückte Anordnung handeln. In jedem Fall wird man bei den Löffeln gepackt. Dann kommt der 2. Akt, der eigentliche Rat, der in meinem aktuellen Fallbeispiel sehr harmlos ausfällt und zu vage formuliert ist, um ihn zu befolgen. Wie passen der bedeutungsschwangere Ton und der harmlose Inhalt zusammen? Entweder war der Ton überzogen oder der Inhalt ist für den Ratgeber weitaus weniger harmlos als für mich. Nach dem Rat die Kunstpause. Der Rat soll wirken, im besten Fall ein- und nachwirken. Dann der 3. Akt – die Reaktion.

Und da hakt´s bei mir: Was ist eine angemessene Reaktion? Solch einen stimmgewichtigen Rat kann man nicht mit einem flüchtigen „Ja ja ..“ abtun. Solch einen Rat darf man auch nicht einfach abwehren: Danke, aber ich mach‘s trotzdem lieber so wie bisher. Mein Versuch, etwas Humor und Leichtigkeit in die Sache zu bringen, kam gar nicht gut an. Auch eine Erläuterung wurde harsch abgewehrt. Ich solle nicht den Eindruck haben, mich rechtfertigen zu müssen, dies sei ein kollegialer Rat (noch mal Betonung des kollegialen Elementes). Aha, merke auf: Ein kollegialer Rat duldet keine oder nur eine minimale Reaktion, so viel habe ich verstanden. Wendig, wie ich bin, versuchte ich es mit einem knappen aber wohlartikulierten „Danke für den Hinweis!“ – was akzeptiert wurde, uff! Kommunikationstechnisch habe ich dieses interessante Phänomen gemeistert; was den eigentlichen Rat betrifft, bleibe ich ratlos.

Julia Siebert

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