Ochsenhausen ist ein kleiner, beschaulicher Ort in Baden-Württemberg; gut 8.000 Kilometer von Kasachstan entfernt. Dort ist die Welt noch in Ordnung. Auf der Weltkarte, ein paar Länder weiter nach rechts, sieht das schon anders aus. Und so macht sich ein bis zweimal im Jahr ein LKW, beladen mit allerlei Hilfsgütern wie Kleidung, Wäsche, Matratzen oder auch Weihnachtspäckchen auf den Weg von Ochsenhausen nach Pawlodar in Kasachstan.

/Bild: privat. ‚Die Freude bei den Kindern und ihren Eltern über die Weihnachtsgeschenke ist groß.’/

Seit einigen Jahren spielen sich bei uns zu Hause ein paar Wochen vor Weihnachten, die immer gleichen Szenen ab: Erst steht die Türklingel im Haus meiner Eltern tagelang nicht still, dann stapeln sich nach und nach in buntes Geschenkpapier eingewickelte Pakete in unserem Flur und schließlich werden stundenlang kleine Sterne aus Tonpapier ausgeschnitten, mit dem Schriftzug „С Рождеством Xристовым!“, also „Frohe Weihnachten!“ versehen und auf die Päckchen geklebt.

Irgendwann, meist wenn man sich an die ursprüngliche Breite des Flurs nur noch schemenhaft erinnern kann, werden dann alle Päckchen ins Auto gestapelt und ein paar Ortschaften weiter, nach Ochsenhausen, gebracht. Denn von dort geht er auf die Reise, der LKW, der Hilfsgüter wie Kleidung, Krankenhausbetten, Wäsche, Teppiche, Fahrräder, Rollstühle oder eben im Winter auch Weihnachtspäckchen nach Kasachstan fährt.

Die Idee, den Menschen in dieser Region zu helfen, kam bereits im Jahre 1990 auf: Damals gab es in Ochsenhausen den Betreuerkreis „Integrationshilfe für deutsche Aussiedler“, der das Ziel hatte, den Menschen die aus der UdSSR (hauptsächlich aus Kasachstan) kamen, eine neue Perspektive zu bieten. Eine neue Perspektive für ihr Leben in Kasachstan. Denn die meisten Menschen, die auf diese Weise nach Deutschland kamen, scheiterten nicht zuletzt an der Sprachbarriere und konnten sich in Deutschland nie richtig integrieren. Gleichzeitig wollten und konnten sie nicht in ihre alte Heimat zurück, da sie dort schlicht vor dem nichts gestanden hätten.

Sieben Jahre später, im August 1997, ging dann der erste Transport nach Makinsk, im Norden Kasachstans. Das erklärte Ziel des Hilfstransports war es, soziale Projekte sowie Einrichtungen, die die soziale Not von Kindern lindern sollten, zu fördern. Dazu zählten beispielsweise Kleiderkammern, Armenküchen, Kindertagesstätten oder auch Sozialstationen. Insgesamt wurden so in den vergangenen zehn Jahren mehrere hundert Tonnen an Hilfsgütern von Ochsenhausen nach Kasachstan geschickt.

Wenn sich der LKW schließlich, vollbeladen bis oben hin, auf die mehrwöchige Reise begibt, haben Hildegard Schäfer, die Koordinatorin dieser Hilfstransporte, und ihre ehrenamtlichen Helfer wieder einmal unzählige Stunden Arbeit hinter sich: Stunden, in denen sie Kleidung, Wäsche, Spielzeug und vieles mehr sortiert, ordentlich in Bananenkisten verpackt und jede dieser Schachteln mit exakten Inhaltsangaben versehen haben; ungefähr 1.000 Mal. So viele Kartons umfasst ein Transport.

In einer alten Scheune stapeln sich die Spenden bis unter die Decke

Die Sachen, die so mühsam sortiert, verpackt und gelistet werden, sind Spenden von Bürgern, meist aus der näheren Umgebung, sowie von Alten- und Pflegeheimen oder auch Krankenhäusern. Jedoch wird nicht jede der Sachspenden, die sich im ersten Stock einer großen, alten Scheune meterhoch bis unter die Decke stapeln, auch für den Transport fertiggemacht. Einige der Spenden, vor allem Bücher und Geschirr, werden auf dem Flohmarkt, der das ganze Jahr über zu besuchen ist, sowie auf einem größeren, immer am ersten Mai stattfindenden Trödelmarkt verkauft. Die Einnahmen aus diesen Verkäufen reichen meist aus, um die Kosten für den Transport zu decken.

Heute gehen die Transporte überwiegend nach Pawlodar. Überwacht und in die entlegenen Regionen verteilt werden sie von einer kleinen Gruppe ehrenamtlicher Helfer vor Ort. Kopf dieser Gruppe ist ein Mann, der in Deutschland studiert hat und danach mit seiner Familie wieder nach Kasachstan zurückgekehrt ist. Sie sind es auch, die die dringendsten Bedürfnisse der Menschen vor Ort kennen und diese an Hildegard Schäfer in Deutschland weiterleiten.

Leuchtende Kinderaugen zu Weihnachten

Ebenso weitergeleitet werden die zahlreichen Dankschreiben und Dankkarten der Kinder und Familien. Sie füllen bereits mehrere Ordner in den Regalen von Hildegard Schäfer. Darunter finden sich Briefe von Familien, die ihren Ausreiseantrag zurückgezogen haben, da ihnen die Hilfe genügt, die sie auf diese Weise aus Deutschland bekommen, oder auch von Familien, die sich im Namen ihrer Kinder bedanken für „die Weihnachtsgeschenke, die Ihr uns geschickt habt. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie viel Freude da war, wo wir die Geschenke bekommen haben.“

Die Weihnachtspäckchen-Aktion wurde vor vier Jahren ins Leben gerufen. Seitdem lassen die kleinen, in buntem Geschenkpapier schillernden Päckchen die Kinderaugen in den Waisenhäusern, Kinderheimen und Krankenhäusern zu Weihnachten leuchten. Gefüllt mit Sachen, die für die Kinder dort bitternötig sind wie beispielsweise Socken, Pullover und Zahnbürsten, aber auch immer mit ein paar das Leben auf andere Weise erleichternder Dinge, wie einem Puzzle oder einer Packung der beliebten deutschen Gummibärchen.
Es ist ein langer Weg, den die Päckchen von dem Flur im Haus meiner Eltern, über die alte Scheune in Ochsenhausen bis nach Pawlodar zurücklegen. Aber jeder einzelne Kilometer bringt sie näher an einen Ort, an dem sie so nötig gebraucht werden.

Von Anja Greiner

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