In Kasachstan erfreut sich der Islam einer zunehmenden Popularität. Für viele Menschen bedeutet er eine Rückkehr zu kasachischen Traditionen und zur eigenen Identität. Die kasachische Regierung setzt dabei auf multi-ethnische Religionsvielfalt und wehrt sich gegen fundamentalistische Extreme.

/Bild: Edda Schlager. ‚Wächter der Moschee Sultan-epe beim Studium des Koran: Die Popularität des Islam in Kasachstan nimmt zu.’/

Freitag Nachmittag in der Zentralen Moschee von Almaty, unweit vom Grünen Basar, mitten im Zentrum der 1,5-Millionen-Stadt: Während der Vorbeter per Mikrofon auf das Freitagsgebet einstimmt, strömen die Leute zu Hunderten in die Moschee. Der große Gebetssaal ist schon voll, die Männer lassen sich auch in schmalen Seitengängen und auf den Treppen nieder. Selbst der Hof der Moschee ist zu Beginn des Gebets mit bunten Gebetsteppichen und Schuhen bedeckt, zu spät Kommende finden kaum noch Platz. Hastig eilen ein paar junge Mädchen, mit hochhackigen Stiefeln und kurzem Rock, die Haare mit einem Tuch bedeckt, in den Gebetssaal der Frauen.

Es ist unverkennbar – der Islam ist in Kasachstan wieder angekommen. 18 Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Unabhängigkeit Kasachstans machen Muslime, ob aktiv oder nicht, mehr als zwei Drittel der 15 Millionen Einwohner Kasachstans aus – Kasachen, aber auch Usbeken, Uighuren, Aserbaidschaner, Kurden, Iraner, Türken.

Bildungsinvestionen aus Ägypten und den Emiraten

„Ja, Kasachstan ist ein muslimischer Staat, aber nicht islamisch”, betont Jerschat Ongarow, „Staat und Religion sind in unserem Land strikt voneinander getrennt.” Ongarov leitet die Bildungsabteilung der Geistlichen Verwaltung der Muslime Kasachstans (DUMK), unter deren Dach sich die Muslime des Landes organisiert haben. Gab es zu Beginn der Unabhängigkeit nur 68 Moscheen in Kasachstan, sind es derzeit über 2.200, die meisten wurden in den letzten Jahren gebaut. „Jeden Monat kommen durchschnittlich drei neue Moscheen hinzu”, so Ongarow, „wir haben ein Defizit an Imamen.”

Deshalb wurde im Jahr 2001 mit finanzieller Hilfe der ägyptischen Regierung die Universität für Islamische Kultur „Nur-Mubarak” gegründet. Die Universität war die erste in Kasachstan, an der Imame ausgebildet wurden. Zuvor war dies nur im arabischen Ausland möglich. Mittlerweile gibt es noch eine zweite Medresse, geleitet von der DUMK. „Trotzdem schaffen wir es nicht, den gesamten Bedarf an Imamen für Kasachstan zu decken”, so der Rektor der „Nur-Murbarak”-Universität, Mahmoud Hegazi.

Etwa 500 Studenten hat die Universität. Und sie versteht sich nicht nur als religiöse Ausbildungsstätte – möglich sind Bachelor- und Master-Abschlüsse für Arabistik, Englisch, vergleichende Islamwissenschaft oder Pädagogik. Das einzige geistliche Fach der Universität, Islamkunde, führt nicht zu einem staatlichen Abschluss. Der kasachische Bildungsminister hatte die Zertifizierung des Studiengangs mit Hinweis auf den säkularen kasachischen Staat abgelehnt.

Auch andere arabische Länder engagieren sich in Kasachstan. So wurden in Schimkent im stark muslimisch geprägten Süden Kasachstans mit Hilfe arabischer Stiftungen die Kasachisch-Arabische Universität und die Kasachisch-Kuwaitische Universität gegründet. Die größte Moschee des Landes in der Hauptstadt Astana war ein Geschenk des Emirs von Katar.

Dass der Islam in Kasachstan mit Hilfe ausländischer Muslime wiederbelebt wurde, die sofort nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion nach Zentralasien kamen, sieht Jerschat Ongarow von der DUMK nicht als Problem an. „Die Kasachen haben während der Sowjetzeit vergessen, was Islam bedeutet, auch wenn sie immer wussten, dass er zu ihrem Leben dazugehört.” Dass sie ihn nun mit Hilfe von Gelehrten aus Saudi-Arabien oder Ägypten wieder neu erlernten, findet er legitim.

Zulauf von religiösen Eiferern

Der rege Zulauf arabischer Missionare brachte jedoch auch fundamentalistische Gruppen nach Kasachstan. Zu Beginn der 90er Jahre war gar davon die Rede, auf dem Territorium Kasachstans, Kirgisistans, Usbekistans und Tadschikistans einen unabhängigen islamischen Staat zu gründen. Auch wenn diese Idee heute nicht mehr ernsthaft diskutiert wird, hat die Gefahr des religiösen Extremismus nach Einschätzung zahlreicher Experten in Kasachstan in den letzten Jahren stark zugenommen.

Das kasachische Zentrum für antiterroristische Programme in Almaty (ZAP) hat eine wachsende Anzahl von Fällen registriert, bei denen verfassungswidrige Aufrufe und Literatur verbreitet wurden. Allein im vergangenen Jahr wurden 167 Mitglieder der panislamischen Hizb ut-Tahrir al-Islami verhaftet und angeklagt. Auch Al-Qaida, die Islamische Bewegung Usbekistans oder die Islamische Partei Ost-Turkistan gelten in Kasachstan als terroristische Organisationen, denen die Tätigkeit in Kasachstan verboten ist und gegen die der Verfassungsschutz vorgeht.

Für die meisten Kasachen hat der Islam jedoch nichts mit Fundamentalismus zu tun. Nessip bezeichnet sich selbst als Muslimin, geht aber höchstens zu Kurban-Ait, dem Opferfest, in die Moschee. Sie ist Mitte 50 und wurde in der Sowjetunion sozialisiert, fühlte sich jahrelang als Atheistin. Doch als Verwandte und Freunde sich zunehmend mit dem Islam beschäftigten, war auch ihr Interesse geweckt:

„Der kasachische Islam ist pragmatisch”

“Ich versuchte, den Koran zu lesen, auf Russisch, habe ihn aber wieder beiseitegelegt. All diese Vorschriften sagen mir nichts”, meint Nessip. Sie arbeitet in einer Touristikfirma in Kasachstan, und auch ihre Kolleginnen sehen den Islam eher als traditionellen Teil ihrer Kultur. „Ich halte seit drei Jahren den Ramadan ein”, so Nessip, „aber das tue ich eher für mich, für mein geistiges und körperliches Wohlbefinden.”

„Der moderne kasachische Islam ist sehr pragmatisch”, meint Gulnar Nadirowa vom Lehrstuhl für Arabistik am Orient-Institut der kasachischen National-Universität Al-Farabi. „Für die Kasachen, ein Volk von Nomaden mit religiösen Wurzeln im Schamanismus und Tengrismus, war der Islam nie eine dogmatische Religion.” Eine stärkere Rolle als das Einhalten von Ritualen habe immer die Verbindung zu den Ahnen gespielt. Das gehöre zur Kultur der Kasachen und sei auch unter der Sowjetherrschaft nie verloren gegangen.

Staatliche Unterstützung für Kirchen und die jüdische Gemeinde

Warum gibt es dann aber dieses neue Bedürfnis nach religiöser Zugehörigkeit in der heutigen Zeit? „Für viele Kasachen bedeutete der Zusammenbruch der Sowjetunion den Verlust langjähriger sozialer Sicherheit. Das Vakuum, das durch den Wegfall ideologischer Organisationen wie des Komsomol entstand, wurde durch den Islam wiedergefüllt”, so Nadirowa. Auch jetzt befinde man sich immer noch in einer Übergangsphase, weshalb die Menschen nach irgendeiner Art von Sicherheit suchten. „Für viele Kasachen bietet das der Islam.”

In Kasachstan erleben – anders als in den anderen, sehr viel stärker muslimisch geprägten zentralasiatischen Republiken – alle Religionen wieder viel Zuspruch und werden staatlich unterstützt. Noch rund 20 Prozent der Bevölkerung Kasachstans sind Russen und so ist auch die russisch-orthodoxe Kirche wieder erstarkt, die jüdische Gemeinde erlebt ein neues Zusammengehörigkeitsgefühl, erst vor drei Jahren wurde in Astana die größte Synagoge Kasachstans errichtet. Sowohl russisch-orthodoxe als auch muslimische Feste sind staatliche Feiertage.

Eine von Russland emanzipierte Identität

Vor allem jungen Kasachen, die ihr Land nur als unabhängigen Staat kennen, scheint der Islam eine Hilfe bei der Suche nach einer eigenen, kasachischen, von Russland emanzipierten Identität zu sein. „Sie wollen Kasachen sein, Muslime und modern”, formuliert es Mahmoud Hegazi von der Universität „Nur-Mubarak”.

Für Ilmira und Nargisa, beide 17, war es vor einigen Jahren zunächst überraschend, als der Vater der einen und der Bruder der anderen begann, regelmäßig in die Moschee zu gehen. Heute jedoch gehört der Islam zu ihrem eigenen Leben fest dazu. Und sie zeigen es: Beide tragen einen Schleier, fünfmal am Tag das Gebet „Namaz” zu verrichten, ist ein festes Ritual.
Die Mädchen studieren Islamkunde an der Universität „Nur-Mubarak”. Nargisa will das Studium in Ägypten fortsetzen, Ilmira danach noch Jura studieren. „Das Studium jetzt mache ich für mich”, sagt Ilmira, „arbeiten möchte ich aber als Juristin – wenn es mein späterer Mann erlaubt.” Da sie nicht wisse, wie es ihr Ehemann – der ein guter Muslim sein soll – später halten wird, studiere sie quasi prophylaktisch. „Ich möchte mir alle Möglichkeiten offen halten.”

Von Edda Schlager

08/05/09

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