Die Straßen getränkt in den Landesfarben, Paraden und feiernde Menschenmengen zum Nationalfeiertag – in Deutschland sucht man vergeblich danach. Auch die Reaktionen auf unseren Aufruf an die DAZ-Leser, ihre Gedanken zum 3. Oktober preiszugeben, waren eher verhalten. Stößt der Nationalfeiertag in Deutschland auf Desinteresse?

DAZ-Leser Thomas Faget widerspricht der Ansicht, es gäbe keine Feierkultur zum „Tag der Deutschen Einheit“. Diese sei jedoch eine „Kultur der leisen Töne“, und dies aus triftigem Grund: man begehe den Tag „nicht säbelrasselnd oder waffenstarrend, sondern in einem bescheidenen und dankbaren Rahmen, wie es uns aufgrund unserer Rolle im letzten Jahrhundert als Verursacher von zwei Weltkriegen auch ansteht.“ Gerade die Dankbarkeit gegenüber den Kriegsgegnern und Besatzungsmächten von einst stehe dabei im Vordergrund der Feierlichkeiten: Schließlich seien es erst die 2 + 4 Gespräche zwischen Bundesrepublik, DDR, Sowjetunion, USA, Großbritannien und Frankreich“ gewesen, „die uns zu einem gemeinsamen souveränen Staat machten.“

Patriotismus mit Nationalismus gleichgesetzt

Auch Micha Halfwassen lässt den Tag ruhig angehen: „Ich und meine Generation sind völlig ohne nationale Gefühle aufgewachsen, es war sogar verpönt. Wer stolz auf Deutschland war, wurde fast schon zum Nazi gestempelt.“ Diese Hysterie habe etwas abgenommen. Trotzdem sei der Grat zwischen Patriotismus und Nationalismus mit all seinen hässlichen Facetten sehr schmal. Silju Kunnakattu erinnert daran, dass auch heute deutsche Soldaten in Auslandseinsätzen kämpfen und zitiert einen Liedtext von den Söhnen Mannheims: „Junges Deutschland wächst du heran, zu ´nem wirklich friedlichen Land? Dann nimm deine Kinder an die Hand, und hol sie raus aus Afghanistan.“

Mit ironischer Distanz kommentiert Germanistik-Student Patrick Winter: „Der 3. Oktober ist wahrscheinlich der einzige Nationalfeiertag ohne echten Patriotismus.“ Anstatt wie in anderen Ländern Militärparaden abzuhalten und alles in Nationalfarben zu schmücken, ziehe sich der Deutsche verhalten in seinen Schrebergarten, auf seine Terrasse oder seinen Balkon zurück, schwelge vielleicht in Erinnerungen, wobei er von historischen Dokumentationen im Fernsehen unterstützt würde. „Heraus kommt ein Feiertag ohne Feier, ein Tag mit der Familie“, schreibt er. Auch für Facebook-Nutzer Marcel Van Deer Mjölkchoklad hat der Tag der Deutschen Einheit offenbar einen rein formalen Charakter. Zum 3. Oktober fällt ihm lediglich „das obligatorische Streichquartett, das bei offiziellen Feierlichkeiten immer die Nationalhymne spielt“ ein.

Christliche Feiertage wichtiger

Aus der Perspektive eines Angehörigen einer in Deutschland lebenden autochthonen Minderheit kommentiert Lucian Kaulfürst den deutschen Nationalfeiertag: „Ich kann nur für uns Sorben sprechen, und da muss ich einfach sagen, dass die Feiertage mit christlichem Hintergrund die wichtigsten sind. Ja, es stimmt: den 3. Oktober nimmt man so mit, als Geschenk.“ Aber eben nicht mehr.

Darin unterscheiden sich die Sorben, eine slawisch-sprashige Minderheit in der Lausitz, allerdings offenbar kaum von der Mehrheitsbevölkerung. So schreibt Micha Halfwassen: „Mit dem 3. Oktober verbinde ich nur einen freien Tag, an dem viele Geschäfte extra öffnen und mit Rabatten locken. Deutschland konsumiert.“ Nur im Hinterkopf schwirre dann noch die Erinnerung an den eigentlichen Anlass. „Patriotische Gefühle sind bei uns an diesem Tag nicht zu finden, höchstens im Fußball, wie bei der Euro in diesem Sommer“, schreibt er. Da packe der Deutsche denn auch kleine und große Fahnen aus, schmücke Garten, Haus und das Automobil. Aber danach würden Fähnchen, Schminke und Hüte in schwarz-rot-gold wieder in den Schrank gepackt.

Ein völliger Neuanfang

Als Vorbild für die Fanmeilen bei Fußballspielen der deutschen Nationalmannschaft könne die Ländermeile bei den Bürgerfesten gesehen werden, meint Thomas Faget: „Bereits von Anbeginn 1990 feiern wir – unserer föderalistischen Struktur gemäß – ein Bürgerfest abwechselnd jeweils in der Hauptstadt des Bundeslandes, das gerade den Bundesratsvorsitz innehat.“ Deutschland habe also sehr wohl eine Feierkultur: „Dieses Jahr wird es übrigens sehr voll in München am Tag der Deutschen Einheit: Bürgerfest und Oktoberfest – da schäumt die Feierkultur doch über“, meint er augenzwinkernd. Und erinnert dann noch an Michail Gorbatschow, den Mann, dem Deutschland in den Augen vieler die Einheit zu verdanken hat: „Die „Gorbi, Gorbi!“ – Rufe von 1989 sind nicht nur Kult! Sie kamen von Herzen und gehören zur deutschen Feierkultur dieser Zeit.“

Ändert sich der Blick auf den Nationalfeiertag bei Deutschen, die längere Zeit im Ausland leben? Diesen Eindruck bestätigt Stefan Woitsch, der bereits im sechsten Jahr in Kasachstan lebt und in Almaty an der Weltsprachenuni tätig ist: „Wenn man länger im Ausland ist, bekommt man einen anderen Blick auf die positiven Errungenschaften Deutschlands.“ Er feiere den Tag der Deutschen Einheit mit guten Gefühlen, erzählt Woitsch und erinnert sich an 1990: „Der 3. Oktober war damals für uns ein völliger Neuanfang.“

Von Christine Faget und Robert Kalimullin

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