Ich heiße Nikolai Horch und komme aus Kasachstan, aus Saran bei Karaganda, 30 Kilometer entfernt von dem Zwangsarbeitslager Karlag. Hier gibt es ein Museum, das sich mit der Geschichte des Karlags beschäftigt. Aber am besten beginne ich mit der Geschichte meiner Familie.

Mein Urgroßvater Wilhelm Horch wurde 1908 in Grossliebental bei Odessa in der Ukraine in einer großen, aber armen Familie geboren. Später traf er seine Liebe Emma, deren Eltern während der Revolution erschossen wurden, da sie reiche Bürger waren. Ihr Sohn Wilhelm, mein Großvater, wurde 1934 geboren. Als 1941 der Deutsch-Sowjetische Krieg ausbrach, wurde auch dieses Gebiet von der Wehrmacht besetzt, und mein Urgroßvater musste in den Dienst der Polizei eintreten. Während des Krieges 1942 wurde dann sein zweiter Sohn Ernst geboren, bevor die Familie 1944 nach Warthegau ging.

Zum Ende des Krieges wurde dann auch meine Familie, wie alle Russlanddeutschen von der sowjetischen Regierung nach Russland deportiert. Mein Urgroßvater kam mit seiner Familie in die Autonome Sozialistische Sowjetrepublik der Komi in Nordwest-Russland. Meine Urgroßmutter Emma starb bereits zwei Jahre später an Hunger und der Kälte des Nordens. Mein Großvater Johann arbeitete als Holzsäger im Lager. Sein kleiner Bruder Ernst kam in ein Kinderheim. Mein Urgroßvater floh aus dem Norden, er wollte zu seinen Verwandten im Gebiet Akmolinsk. Dort lebten seine Schwestern Lydia und Emma. Er wurde jedoch im Gebiet Akmolinsk gestellt und verurteilt. So kam er nach Dolinka und verbrachte neun Jahre im Karlag.

1956 kam Großvater Wilhelm endlich zu seinem Vater und Großvater nach Saran, nahe Karaganda, wo er auch seine Arbeit und seine zukünftige Frau Anna Schäfer kennenlernte, die aus dem Kubangebiet hierher deportiert worden war. Später kam für kurze Zeit auch noch sein Bruder Ernst zur Familie dazu, doch er ging bald weiter nach Taschkent (Usbekistan).

Meine Großmutter Anna wurde aus dem Kubangebiet nach Nordkasachstan deportiert und arbeitete von 1941-51 in einer Kolchose in Litowotschnoje, wonach sie 1951-56 in die Sondersiedlung Kopejsk zu ihrem Vater kam. In den 70er Jahren zog die Schwester meines Urgroßvaters Emma mit ihrem Mann Karl und ihrer Familie nach Deutschland. Jedoch ging der Kontakt nach dem Tod von Urgroßvater Wilhelm 1985 leider verloren, und wir wissen nicht, wo ihre Nachkommen heute leben.
1958 wurde mein Vater Wassili und 1962 meine Tante Irina geboren. Doch bereits 1967 starb meine Oma Anna an Tuberkulose, 1984 ereilte mein Großvater Johann das gleiche Schicksal. Ein Jahr später kam ich zur Welt. Meine Großeltern habe ich somit nie kennengelernt.

Noch heute feiert meine Familie deutsche Feiertage, besonders das Weihnachtsfest. Meine Mutter ist Russin, so bin ich mittlerweile der einzige in unserer Familie, der Deutsch spricht. Meine Großeltern Anna und Johann sprachen zu Hause untereinander immer deutsch. Sie hatten jedoch Angst, die Sprache auch meinem Vater beizubringen, denn es war damals verboten. Das war eine schreckliche Zeit in unserer Geschichte. Ich habe Deutsch ab der ersten Klasse an in der Schule gelernt. Fast alle meine damaligen Mitschüler befinden sich heute in Deutschland. Als Deutschstämmiger war mir die deutsche Sprache immer wichtig, und so habe ich später In Saran Deutsch studiert. Meine Brüder sprechen leider kein Deutsch. Ich hoffe jedoch, dass meine Kinder auch einmal deutsch sprechen werden.

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