Für die DAZ berichtet der deutsche Ethnologe Philipp Jäger über eine Hochzeit in seiner Gastfamilie. Das traditionelle kasachische Hochzeitsritual besteht aus drei großen Festen. Beim „Kelin-Fest“, mit dem die Ankunft der Braut in der Familie des Bräutigams gefeiert wurde, und bei der eigentlichen Hochzeitsfeier, war Jäger bereits dabei. Jetzt hat er die Übergabe der Aussteuer miterlebt – ein Tribut an die Globalisierung.

/Foto: Philipp Jäger/

Es ist Sonntag, der Tag nach dem grandiosen Hochzeitsfest von Jergali und Dschasira. Dennoch ist die Hochzeit nicht vorbei. Gemäß der kasachischen Tradition steht noch die feierliche Übergabe der Aussteuer an, bei der die Verwandten der Braut im Haus des Bräutigams erwartet werden. Dieser Akt heißt im kasachischen „kyzgyn töcek orini ashu“, was übersetzt „das Öffnen des Brautschatzes“ bedeutet. Alle sind schon sehr nervös. Jergalis Mutter winkt ab, sie habe jetzt keine Zeit, die Fotos anzusehen, die ich von der Hochzeitszeremonie gemacht habe. Schließlich habe das „kuda kütu“, das Warten auf die Verwandten der Braut schon begonnen.

Sekt, Tee und DDR

Die Brüder Jergalis stellen Cognac, Wodka und Wein kühl. Heute wird der engere Kreis von Dschasiras Verwandten erwartet, zwanzig an der Zahl. Für sie wird zuhause ein Empfang vorbereitet, die letzte Kraftanstrengung der Familie, die den wichtigen Schlussakt der Hochzeit darstellt. Es darf an nichts fehlen, damit die Integration der neuen Verwandten reibungslos abläuft. Am späten Nachmittag treffen die Gäste ein. Ersapar, der jüngere Bruder Jergalis, bringt eine Flasche herbei und gießt noch auf dem Hof des großen Anwesens den Eltern Dschasiras Sekt ein. Nach dem Umtrunk begibt sich die Gesellschaft ins Nebenhaus, während im Wohnzimmer der obligatorische Tee vorbereitet wird. Wie ich es oft im Gespräch mit Männern über 35 antreffe, ist auch diesmal einer der Männer der heutigen Runde zu seiner Armeezeit in der DDR stationiert gewesen. Darüber beginnt eine interessante Unterhaltung. Während des anschließenden Festmahls – es gibt noch einmal beschparmak und Salate – geben vor allem die älteren Gäste ihr Können auf der Dombra zum Besten.

Als einziger Mann unter Frauen

Danach räumen die Männer das Haus für die Frauen, die jetzt beim wichtigsten Teil des heutigen Festes in Aktion treten, dem Öffnen des Brautschatzes. Dieser wurde von Dschasiras Familie zusammengetragen und wird nun an die Familie Jergalis überreicht. Jergalis Mutter nimmt die Sachen freudig in Empfang. Den Inhalt des Brautschatzes bestimmt die Tradition. Die weiter im Südwesten in der Gegend von Shimkent auch als kyzdyn zhasui bekannte Aussteuer wird üblicherweise bei Hochzeiten überreicht, nimmt allerdings in verschiedenen Regionen Kasachstans unterschiedliche Gestalt an.

Bei dem Ritual werde ich als einziger Mann geduldet. Ich helfe, die schweren Gegenstände der Aussteuer herbeizutragen. Es sind zunächst mit traditionellem, spitz gezacktem Muster bestickte Decken, tör köpe genannt, die nach dem Brauch aus der Gegend von Almaty neun an der Zahl sein sollen. Des Weiteren wird eine große Hochzeitskiste, sandyk, überreicht, in der sich allerhand Haushaltsgegenstände befinden. Sie ist mit einem Bild zweier Schwäne auf mehrfarbigen Hintergrund bemalt, allerdings ist die Kiste selbst nur aus Spannholz. Interessanterweise zeigt sich die Schwanensymbolik im Zusammenhang mit der Heirat auch bei den Russen und bei mehreren Völkergruppen Sibiriens. Der Inhalt der Kiste kommt – ein Tribut an die Globalisierung – aus aller Herren Länder: ein Bügeleisen aus Italien, Handtücher aus China und Besteck aus Deutschland.

Die Heirat ist eine Allianz zwischen Haushalten

Ansonsten werden noch ein großer Wohnzimmerteppich, ein Bügelbrett, mehrere Kissen, ein Mikrowellenherd und einige kleinere Gegenstände überreicht. Interessanterweise steht Dschasira nur im Kreis, während die Mutter und die Schwestern des Bräutigams die Sachen von den Verwandten der Braut in Empfang nehmen. So verdeutlicht sich, dass eine Heirat nach den in Kasachstan geltenden kulturellen Vorgaben nicht eine Verbindung zwischen Individuen darstellt, sondern eine Allianz zwischen Haushalten, die sich über den Gabentausch symbolisiert.

Ich helfe, die Sachen im Schlafzimmer zu deponieren. Dort hat auch schon Jergalis Mutter eine Decke auf dem Boden ausgebreitet und holt die sölgebai hervor. Dies ist eine zweigeteilte, schulranzengroße Tasche, in deren einen Flügel sich baursak, eine Art kasachisches Brot, und im anderen Fleisch befindet. Die Frauen setzen sich im Kreis auf die Decke und auf die Sofagarnitur. Zunächst spricht Jergalis Mutter, dann eine Vertreterin der Verwanden Dschasiras ein Gebet, dem die Anwesenden aufmerksam lauschen, die Hände mit den Handflächen nach oben haltend. Sind die letzten Worte ausgesprochen, teilt die Mutter das Fleisch auf und die Frauen greifen zu. Gegessen wird in Anbetracht des vorangegangenen umfangreichen Mals nur symbolisch.

Auch hier werden nach dem Essen, wie auf dem großen Hochzeitsfest toy bastar, die Gastgeschenke, verteilt. Diesmal sind es neben Kleidungsgegenständen auch Schmuck, wovon sich die geladenen Frauen ein ihnen dem Alter nach zustehendes Stück an sich nehmen. Nach dem Verteilen löst sich die Gruppe langsam auf. Dschasira bedankt sich herzlich, aber es ist ihr anzusehen, dass das Fest heftig an ihren Kräften gezehrt hat. Auf dem Hof verabschieden sich die beiden Parteien voneinander, wobei schon die nächsten Einladungen ausgesprochen werden. Als das Hoftor geschlossen wird, atmen Jergali und Dschasira sichtlich auf. Geschafft! Das lange Hochzeitsritual, das sich in mehreren Stadien über sechs Wochen hinzog, ist abgeschlossen.

Von Philipp Jäger

29/02/08

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