Auszüge aus einem Interview mit Craig Murray, ehemaliger britischer Botschafter in Usbekistan. Murray wurde wegen seiner scharfen Kritik an Menschenrechtsverletzungen in Usbekistan wie auch an der britischen Regierung im Oktober letzten Jahres suspendiert

Der Vorwurf war keine politische Nebensache. Murray, Großbritaniens jüngster Botschafter, machte ihn dem britischen Geheimdienst M16. Dieser würde Informationen nutzen, die in Usbekistan unter Folter erpresst worden seien.

Murray, der während seiner kurzen Tätigkeit in Taschkent den direkten Kontakt zur usbekischen Bevölkerung suchte, entpuppte sich als äußerst unbequemer Botschafter: Usbekistans Machtclique um den Präsidenten Islam Karimow nannte er eine „Kleptokratie“, und die Politik seiner Regierung, die er geostrategisch begründete, kritisierte er ebenso heftig. Langfristig, so seine Prognose, würde in Usbekistan gerade das Gegenteil erreicht von dem, was die Karimow-freundlichen USA mit Großbritanien im Schulterschluß versuchten – einen Dammschutz gegen den fundamentalistischen Islam zu errichten. Die religiöse Gewalt, so Murray in einer Rede am 8. November letzten Jahres im Chatham-House, entstehe aus Armut und Verzweiflung und „der Abwesenheit jeglicher demokratischer Mittel, die Verzweiflung auszudrücken“.

Wir bringen Auszüge aus einem Gespräch, das der britische Journalist Laurence Walker am 24. Januar mit Murray führte.

Laurence Walker: In einem Ihrer ersten Interviews als Botschafter in Usbekistan sprachen Sie von den Schwierigkeiten, die mit Ihrer Arbeit dort verbunden sind. Was für Schwierigkeiten waren dies?

Craig Murray: Sie hängen vor allem damit zusammen, dass Usbekistan eine sehr abscheuliche, totalitäre Diktatur ist. Eine sehr effiziente totalitäre Diktatur. Alles wird über die zentrale Regierung entschieden. Wir haben einmal ein Kulturfestival geplant, mit Konzerten britischer Musik, die von lokalen Gruppen gespielt werden sollte. Ich habe mit dem Orchester zusammengearbeitet, um ihnen bei der Beschaffung von Beispielen westeuropäischer Musik zu helfen, weil das Repertoire des Orchesters extrem limitiert war. Sie hatten kaum Zugang zu Notenblättern. Und dabei mussten wir entdecken, dass alles, was das Orchester spielte, politisch im Einklang mit der usbekischen nationalen Ideologie zu stehen hatte. Das war faszinierend. In Usbekistan muss ein Tag in der Woche in allen Schulen und Universitäten der nationalen Erziehung gewidmet sein. Und nationale Erziehung beinhaltet drei Dinge: usbekische Folklore in Gesang und Tanz, eine sehr tendenziöse Version der usbekischen Geschichte und das Studium der Werke von Präsident Karimow, der wichtigste und raumeinnehmendste Punkt. Es ist wirklich ein sonderbarer Ort zu leben und zu arbeiten. Hinzu kommt, dass die Regierung permanent lügt. Offiziell gibt es ein Wirtschaftswachstum von achteinhalb Prozent dieses Jahr. In Wirklichkeit, das weiß jeder, der nur irgendetwas über Usbekistan weiß, gibt es seit den letzten sieben Jahren ein Negativwachstum. Was die Regierung nicht davon abhält, dich mit offziellen Statistiken zu beschmeißen.

Walker: Bei einem Interview mit einer russischen News-Agentur sagte Karimow: “Der externe Einfluss wird effektiv sein, wenn wir es ihm erlauben, effektiv zu sein” – wie kommentieren Sie das?

Murray: Ich denke, Karimows Politik ist essenziell paranoid. Er hat eine paranoide Weltsicht. Deren Resultate können Sie an der Schließung von Grenzen sehen, oder nehmen wir die Sprengungen von Brücken im Fergana-Tal, so dass Menschen nicht mehr über die Grenzen können. Dahinter steckt der Wunsch lückenloser Kontrolle über Medien und Informationen. Und jeder, der Karimow besucht – ich habe viele Besucher erlebt – bekommt das selbe Eröffnungsspiel präsentiert: dass Usbekistan eingekreist ist von Feinden, dass es blockiert ist vom Drogenhandel, der Mafia, den Russen, von Gangstern, von chinesischen Waren, die Influenza ins Land tragen. Ich kaufe ihm dieses „Wir-können-keine-westlich-geformte Demokratie-haben-in-Usbekistan“ nicht ab. Wer sagt, dass Demokratie westlich ist? Indien ist eine Demokratie.

Walker: Weiter hat Karimow in dem Interview gesagt, dass der „Demokratisierungsprozess eine Sache von Jahren ist … übermäßige Eile wäre schädlich.“

Murray: Das Argument, das Demokratie nicht möglich ist oder nicht heimisch ist in Usbekistan, können Sie dort nur von reichen Leuten hören – Leute, die von einem Mangel an Demokratie profitieren, etwa Karimow, der ein totalitärer Diktator ist, der Hunderte Millionen von Dollar gesammelt hat. Und seine Tochter möglicherweise noch viel mehr. Ich habe nie einen armen Mann sagen hören:“Wir können hier keine Demokratie haben.“

Walker: Der Hauptgrund, für den sie aus Ihrem Amt scheiden mussten, war Ihre offene Stellungnahme gegen die Foltersituation in Usbekistan. Es hat Berichte gegeben von Gefangenen, denen die Nägel herausgerissen oder die lebend in siedendes Wasser gestellt wurden. Handelt es sich dabei um Extreme oder um systematische Folter?

Murray: Vollkommen systematisch. Tausende werden jährlich gefoltert, ohne jeden Zweifel. Die Aufmerksamkeit wird immer auf Menschen fokussiert, die zu Tode gefoltert wurden – aber das passiert nur in einer Minderzahl der Fälle. Das letzte, was der Folterer will, ist eine tote Person. Zu Tode Gefolterte ziehen unangenehme Fragen nach sich. In aller Regel soll die Folter dazu führen, aus dem Opfer ein sogenanntes Geständnis zu holen.

In den usbekischen Gerichten beträgt die Verurteilungsrate sowohl in politischen als auch in Kriminalfällen über 99 Prozent. Über 99 Prozent derer, die vor Gericht kommen, werden schuldig gesprochen. Das ist keine Schätzung. Wir haben ein Gerichts-Monitoring erstellt, für das wir einige Jahre lang mit Gerichten im ganzen Land zusammengearbeitet haben. Ich kann eine genaue Zahl jetzt nicht nennen, aber ich vermute, dass in über 90 Prozent der Fälle – und ich würde sogar sagen in über 95 Prozent der Fälle –die angeklagte Person ein volles Geständnis unterzeichnet. Sie werden sich jetzt sicher fragen, warum? Der Grund ist, dass die Kriminaljustiz nach den Entscheidungen der Polizei funktioniert, die die Angeklagten foltert und ein Geständnis aus ihnen herauspresst. Und dasselbe gilt für politische und religiöse Dissidenten. Etwa ein Viertel der sogenannten Kriminalfälle in Usbekistan sind in Wirklichkeit religiös oder politisch motiviert.

Walker: Nach Ihrem kontroversen Vorwurf benutzt der britische Geheimdienst MI6 Informationen, die von gefolterten usbekischen Bürgern stammten. Was haben Sie für Beweise, um so einen Schluß zu ziehen?

Murray: Ich habe da nicht den geringsten Zweifel. In allen meinen Angelegenheiten mit der britischen Regierung – und ich wurde speziell in dieser Angelegenheit zu Treffen von Usbekistan abberufen – hat niemand aus der Regierung es dementiert. Eine Menge britischer Reporter hat das Auswärtige Amt angerufen und nachgefragt, und die Antwort war immer dieselbe. Dieses „Es würde unverantwortlich sein, nutzvolle Beweise zu ignorieren im Krieg gegen den Terror“. Nie wurde gesagt „Nein, wir erhalten keine Beweise durch Folter“.

Walker: Was sind seit der Entlassung Ihre Pläne für die Zukunft?

Murray: Ich beabsichtige gegen Jack Straw (britischer Außenminister) in seinem Wahlkreis Blackburn anzutreten. Einfach um ihn zu ärgern. Und um die Frage der Komplizenschaft mit Diktaturen zu klären, die Komlizenschaft mit Folter im Krieg gegen den Terror, denn Jack Straw selbst hat veranlasst, Informationen, die in Usbekistan auf Folter basieren, zu nutzen. Er hat das diskutiert mit dem Kopf von M16 und sie haben entschieden, dass sie es weiter benutzen. Dafür möchte ich ihn verantwortlich machen, um sicherzustrellen, dass die Wähler allgemein und die seines eigenen Wahlkreises das wissen.

Walker: Sie haben das Buch schon fast fertig mit Ihren Erfahrungen der letzten zwei Jahre, aber was möchten Sie gegenwärtig darüber hinaus noch tun?

Murray: Ich werde einige Vorlesungen halten, aber das Buch ist schon die Hauptsache. Außerdem wird es im Frühling eine Reihe von Fernsehdokumentationen geben, über das Folter-Thema.

Walker: Und möchten Sie über kurz oder lang zurückkehren nach Usbekistan?

Murray: Oh ja, ich liebe das Land. Ich liebe die Menschen dort, allgemein. Ich habe eine Menge gute Freunde dort. Ich beabsichtige, zurückzukommen, wenn wir die Diktatur losgeworden sind. Aber das wird ein wenig dauern. Ich kann keine Zeichen der Hoffnung sehen am Horizont. Die Menschen werden beständig ärmer. Es ist ziemlich schrecklich dort, diesen Winter abermals, mit monatelang nicht ausgezahlten Gehältern, keiner Heizung und kaltem Wetter. Es gibt keine Zeichen für ökonomische Reformen. Und eine Sache, die ich initiieren will, ist eine Kampagne gegen usbekische Baumwolle, denn die armen Leute profitieren in keiner Weise von ihr. Kinder ab sieben Jahre und aufwärts, die die Baumwolle sammeln müssen, leben in ziemlich schrecklichen Zuständen auf den Feldern. Die usbekische Baumwollproduktion beruht zu einem großen Teil auf Kindersklavenarbeit. Usbekische Baumwolle ist noch immer 100 Prozent staatlich produziert. Die Arbeiter auf staatlichen Firmen, die 60 Prozent der Bevölkerung ausmachen, bekommen zwei Dollar im Monat. Deshalb denke ich, dass eine Kampagne gegen usbekische Baumwolle eine gute Sache wäre.

(aus dem Englischen von Matthias Echterhagen)

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