Sie sollte am 1. Neujahrstag 1966 zur Welt kommen und „Freundschaft“ heißen. An 25. Dezember sah es so aus, als ob noch unendlich viel Zeit da wäre. An der Jahreswende zweifelte ich, ehrlich gesagt, daran, daß die erste Nummer der neuen Tageszeitung für die sowjetdeutsche Bevölkerung Kasachstans rechtzeitig erscheinen würde. Doch einige Minuten nach 11 war sie zum Druck unterschrieben, und alle könnten noch rechtzeitig nach Hause, um dort auf das neue Jahr und natürlich auf neugeborene „Freundschaft“ anzustoßen. (Lew Gurwitsh, NL)

Wie eine Zeitung gemacht wird, das heiß nur der Fachmann. Daß aber sehr viel Arbeit darinsleckt, weiß ein jeder. Daß diese Arbeit doppelt so scnwer ist, wenn sie von Leuten angepackt wird, die einander erstens roch gar nicht kennen, die zweitens zum Teil entweder noch nie oder sehr lange her in einer Zeitung gearbeitet haben, und drittens erst vor wenigen Tagen in einer für sie neuen Stadt eingetroffen sind und noch im Hotel wohnen – das also läßt sich leicht vorstellen.

Und hier möcnte ich meinen eigenen Hut ziehen und auch allen anderen, denen die „Freundschaft“ am Herzen liegt, sagen: Hut ab vor den Genossen, die allen Schwierigkeiten zum Trotz nicht nur die erste Nummer zum angesetzten Termin herausgebracht haben, sondern jetzt auch Tag für Tag dem sowjetdeutschen Leser in Kasachstan eine Zeitung auftischen, die sich bereits sehen lassen kann.

Als die erste Nummer gemacht wurde, saßen sie noch alle in einem großen und einem kleinen Zimmer. Die anderen Räumlichkeiten der Redaktion wurden renoviert. In Zelinograd, wo die „Freundschaft“ vorläufig erscheint, weil in Alma-Ata für eine so große Redaktion noch kein Platz (im Sinne von guten Räumlichkeiten und von Wohnungen für die zahlreichen zugereisten Mitarbeiter) vorhanden ist, war es recht kalt, und die Zentralheizung wollte zunächst nicht so richtig funktionieren.

Dafür war die Stimmung heiß, denn hier hatten sich Enthusiasten zusammengefunden, die nicht nur aus ganz Kasachstan stammten. Dominik Hollmann und Ernst Kontschak, durchaus nicht die jüngsten mehr, bei den Sowjetdeutschen als Erzähler bekannt, die nicht einfach volkstümlich, sondern auch zutiefst volksverbunden sind, haben diese Verbundenheit hier erneut unter Beweis gestellt und jede Arbeit gemacht, die in solchen Fällen gemacht werden muß. Sie haben also selbst geschrieben und andere redigiert, selber übersetzt und an fremden Übersetzungen gefeilt, Korrekturfahnen gelesen usw. usf.

Besonders Genosse Hollmann, der zeitweilig die Kulturabteilung leitet, hatte es allen mit der ruhigen Selbstverständlichkeit und Selbstbeherrschung angetan, die seine Arbeit kennzeichnen. Ich hatte das Vergnügen, ihn im Namen des „Neuen Lebens“ zum ersten Preis unseres Literaturpreisausschreibens 1965 zu gratulieren, er sprach aber vor allem von den großen und kleinen Sorgen, die ihm die neue Zeitung macht, in der er gern solche jungen und begabten Schriftsteller wie Alexander Reimgen, der ja gar nicht weit weg lebt, als ständige Mitarbeiter sehen will.

Aus dem Nordkaukasus, u. zw. aus Grosny, ist der erfahrene Hochschullehrer Öhlscheidt nach Zelinograd gekommen, hier wirkt auch Reinhold Keil als Leiter der Übersetzerabteilung und Robert Pretzer, gleichfalls einer von der alten Garde, die keine Arbeit scheut, wenn es um große Dinge geht. An den Genossen Pretzer können sich wohl noch viele ältere Leute als stellvertretenden Chefredakteur der „Nachrichten“ (Engels) erinnern. Jetzt leitet er die Abteilung Propaganda und Parteileben. Heinrich Ediger hat die Briefabteilung übernommen (es sind schon recht viele Briefe eingelaufen) und sich zugleich als rühriger Organisator erwiesen, der nicht locker läßt, wenn es um Möbel, Wohnungen, Schreibutensilien und anderen Bedarf der Redaktion geht. Diesen Genossen stehen auch ganz junge Leute zur Seite wie Leo Weidmann, Woldemar Borger und Hugo Wormsbecher, die schon eine gewisse Zeit in anderen Zeitungen gearbeitet haben, also das Handwerk kennen.

Auch Rudolf Jaquemien ist aus seinem fernen Kaliningrad herbeigeeilt, hilft fleißig bei der literarischen Bearbeitung der Texte und hat ein Geburtstagsgedicht auf der ersten Seite der ersten Nummer veröffentlicht.

Unbedingt erwähnen muß man auch Karl Welz, der uns leider schon lange nicht mehr mit neuen Gedichten erfreut, dafür aber jetzt die Wirtschaftsabteilung leitet, zu der auch der unermüdliche Adam Wotschel als Sonderkorrespondent gehört. Auch solche Namen wie Alexander Korbmacher, Johann Schloß, Herbert Eck, Theodor Esau, Eugen Hildebrandt, Ida Bender, Jakob Friesen, Georg Haffner sind dem Leser bekannt, denn sie alle schrieben auch für das „Neue Leben“. Ich sage schrieben und setze voraus, daß sie auch weiterhin aktiv an der Wochenschrift mitarbeiten werden, denn der Chefredakteur der „Freundschaft“, Genosse Alexej Schmeljow, hat ausdrücklich zugesagt, daß sich das Redaktionskollektiv als kollektiver Korrespondent des „Neuen Lebens“ betrachten wird.

Dieses aufrechte Journalistenfähnlein wird also von Alexej Schmeljow geleitet. Ich fragte ihn bei Gelegenheit nach dem Ursprung seiner guten Deutschkenntnisse und nach den Beweggründen für seine Mitarbeit an der Zeitung und erfuhr, daß er väterlicherseits ein Sowjetdeutscher ist und die-Sprache von klein auf kennt. Er geht wie alle Genossen in dieser Redaktion ganz in seiner Arbeit auf und hat die Ziele der „Freundschaft“ ganz eindeutig in einem redaktionellen Artikel der ersten Nummer dargelegt, dem ich folgendes Zitat entnehme: „Es ist verständlich und auch höchst erfreulich, daß gerade in Kasachstan nunmehr eine große Tageszeitung in deutscher Sprache erscheint, denn dieses riesige Land mit seinen weiten Steppen, reichen Erzkammern, mächtigen Industriebetrieben, diese drittgrößte im Bunde und selbst multinationale Sowjetrepublik ist für Hunderttausende Sowjetdeutsche eine gute, eine wahre, eine fürsorgliche Heimat geworden. Unsere Zeitung wird das Leben der Kasachischen Republik, das Schaffen ihrer Bewohner umfassend schildern. Dabei wird sie in unseren Spalten – allein unser Titel verpflichtet uns schon dazu – die Freundschaff der Völker unserer Republik und der ganzen Sowjetunion, diese große Kraft beI unserem Vormarsch zum Kommunismus, deutlich zum Ausdruck bringen.“

Zum Schluß möchte ich ein wenig aus der Schule plaudern. Als die dritte Nummer schon fast ganz fertig schien, stellte sich heraus, daß der am Vortag geschriebene Leitartikel noch nicht gesetzt war. Als man ihn dann in größter Eile setzte, erwies sich, daß der ganze Artikel ohne „ß“ war, da die Schreibmaschine des Autors diesen Buchstaben nicht hat. Umsatz und Korrektur verschlangen noch zwei Stunden. Schon bei Morgengrauen krochen die Beteiligten sozusagen auf dem Zahnfleisch nach Hause. Das waren der Chefredakteur, der Diensthabende, die Setzer, Umbruchredakteure und Korrektoren.

Überhaupt war diese dritte Nummer eine schwere Geburt. Alles, was nicht durchdacht und nicht eingelaufen war, also alle Unzulänglichkeiten in der Organisation, machte sich unangenehm bemerkbar. Aber das war gut so, denn damit war ein Gipfel überwunden, konnte man die Engpässe beseitigen, die nötigen Umstellungen vornehmen und einen normalen Zeitungsbetrieb sichern.

Nun, ganz normal ist er wohl noch immer nicht, aber auf dem besten Wege dazu. Und die größte Hilfe können hierbei die Leser erweisen, indem sie ihrer neuen Zeitung möglichst viel interessante Korrespondenzen schicken.

Die „Freundschaft“ ist also da. Herausgeber dieser Tageszeitung in Großformat ist „Sozialistik Kasakstan“, das Organ des ZK der Kommunistischen Partei Kasachstans. Es steht außer Zweifel, daß die „Freundschaft“ wie alle anderen Presseorgane unserer Sowjetheimat ein treuer Helfer der Partei im Kampf um den Sieg des Kommunismus sein wird, ebenso wie außer Zweifel steht, daß die Leser dieser Zeitung, die Sowjetdeutschen in Kasachstan, zusammen mit allen anderen Nationalitäten dieser großen Republik alles tun werden, damit der kommunistische Aufbau dort erfolgreich vorangeht. (LG)

NEUES LEBEN: 19.01.1966.

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