1918 erhielten die Wolgadeutschen ein eigenes Autonomiegebiet. Anlässlich dazu veranstalteten die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, die Deutsche Gesellschaft e.V. und das Nordost-Institut an der Universität Hamburg eine Fachtagung mit dem Titel: „100 Jahre Gründung der Wolgarepublik – Russlanddeutsche zwischen Autonomie und Nichtanerkennung“.

Vor 100 Jahren, am 19. Oktober 1918, war den deutschen Siedlern an der Wolga infolge der Russischen Revolution ein eigenes Autonomiegebiet zugestanden worden, aus welchem sechs Jahre später im Jahr 1924 die sogenannte Wolgarepublik hervorgehen sollte. Anlass für die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, die Deutsche Gesellschaft e.V. und das Nordost-Institut an der Universität Hamburg sich im Rahmen der wissenschaftlichen Fachtagung „100 Jahre Gründung der Wolgarepublik – Russlanddeutsche zwischen Autonomie und Nichtanerkennung“ näher mit dem Thema zu befassen.

Der frühere Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Hartmut Koschyk, verdeutlichte in seiner Begrüßung als stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft, mit welch großen Hoffnungen und Erwartungen seinerzeit für die Wolgadeutschen das Zugeständnis einer eigenen Autonomie innerhalb des russischen Staatsverbandes angesichts der Anfeindungen während des Ersten Weltkriegs verbunden gewesen sei. Sie hätten darin die Chance auf Wiedererlangung und Sicherung ihrer bürgerlichen Rechte gesehen. Jedoch seien diese Hoffnungen durch die Zunahme des stalinistischen Terrors bitter enttäuscht und nach Hitlers Überfall auf die Sowjetunion sei die Wolgarepublik schließlich zerschlagen worden.

„Mit der Deportation 1941 hat die bitterste Leidenszeit der Russlanddeutschen begonnen, die erst mit Glasnost und Perestroika unter Gorbatschow endete“, erklärte Koschyk.

Im Ergebnis sei eine Rehabilitierung der Wolgadeutschen und die Wiederherstellung autonomer Selbstverwaltung jedoch ausgeblieben, was erheblich zur Aussiedlung von rund 2,5 Mio. Russlanddeutschen in die Bundesrepublik Deutschland beigetragen habe. Aufgrund ihres schweren Kriegsfolgeschicksals mahnte Koschyk daher eine fortdauernde „besondere Obhutspflicht der Bundesrepublik“ gegenüber den Russlanddeutschen in Deutschland, aber auch den Deutschen in Russland an. Dies bekräftigte sein Nachfolger im Amt des Aussiedlerbeauftragten der Bundesregierung, Dr. Bernd Fabritius. Er hob in seinem Impulsvortrag hervor, welch „große symbolische Strahlkraft“ die Wolgarepublik bis heute für die Deutschen aus Russland besitze.

Auch wenn nach der Oktoberrevolution mehr „der Aspekt der ‚Kommune‘ auf sowjetischer Grundlage im Vordergrund stand und nicht etwa der einer echten Autonomie“, wirke noch immer „die großartige Idee der Selbstverwaltung und kollektiven Selbstbestimmung, die Pflege der eigenen Sprache, des hergebrachten Glaubens und der kulturellen Identität als Deutsche in fernen Landen“ nach. Die Erinnerung daran habe ihre Auflösung, die Deportation ihrer Bewohner nach Zentralasien und auch deren Übersiedlung in die Bundesrepublik überstanden, sodass sie bis heute lebendig geblieben sei.

Die Hessische Landesbeauftragte für Heimatvertriebene und Spätaussiedler, Margarete Ziegler-Raschdorf, nahm an der Fachtagung teil und zeigte sich beeindruckt von den interessanten Vorträgen und vier Podiumsdiskussionen: „Hierbei wurde auch deutlich, wie groß der auf diesem Gebiet bestehende Forschungsbedarf ist.“ Leider gebe es nur wenige Lehrstühle in Deutschland, die sich explizit mit der Geschichte und Kultur der Deutschen aus Russland befassen. Zwar forsche z. B. an der Universität Osnabrück Prof. Dr. Jannis Panagiotidis zu diesem Themenbereich, doch laufe dessen Berufung aus.

Gleiches gelte bedauerlicherweise für den Lehrbeauftragten für die einschlägigen Themenbereiche an der Universität Heidelberg und Mitwirkenden bei der Tagung, Dr. Viktor Krieger, einen ausgewiesenen Experten für die Geschichte und Kultur der Deutschen im Russischen Reich und der Sowjetunion. „Dies ist außerordentlich bedauerlich. Die Kultur und Geschichte der Deutschen aus Russland – auch ihre Migrationsgeschichte von der Auswanderung nach Russland im 18. Jahrhundert bis zu ihrer Rückkehr und Eingliederung in die Bundesrepublik in den letzten 30 Jahren – bieten der Forschung ein weites Feld. Ein Großteil der im 18. Jahrhundert nach Russland aufgebrochenen Auswanderer stammte aus Hessen“, so Ziegler-Raschdorf.

Büro der Hessischen Landesbeauftragten für Heimatvertriebene und Spätaussiedler

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