Annegret Westphal hat vier Jahre lang das Minderheitenprojekt des Bundesinnenministeriums (BMI) für Zentralasien betreut. Anfang Februar übergab sie ihre Aufgaben im Deutschen Haus in Almaty an Irina Hetsch. Auf ihrer neuen Position in Berlin bleibt Westphal dem Projekt weiterhin verbunden. Im Gespräch mit der DAZ zieht sie Bilanz und beschreibt die aktuelle Situation der deutschen Minderheit in Kasachstan.

/Bild: GTZ. ‚Annegret Westphal: Vier Jahre lang in intensivem Dialog mit der deutschen Minderheit in Zentralasien.’/

Frau Westphal, Sie haben seit Anfang 2005 das Minderheitenprogramm der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) in Zentralasien koordiniert. Wie fällt ihre Bilanz aus?

Die GTZ hat im Auftrag des Bundesinnenministeriums (BMI) die Herangehensweise an die Minderheitenförderung in den letzten vier Jahren grundsätzlich verändert. Wir haben neue Inhalte und Formen der Zusammenarbeit entwickelt. So konnten wir beispielsweise für junge Leute aus verschiedenen Regionen Kasachstans Stipendien für ein Studium an der Deutsch-Kasachischen Universität in Almaty vergeben. Die Spracharbeit haben wir an die aktuellen Erfordernisse angepasst und die Kinder- und Jugendspracharbeit ins Zentrum unserer Bemühungen gestellt, denn der Bedarf an Erwachsenenkursen ist stetig zurückgegangen. Ich habe mich vor allem darauf konzentriert, die Selbstorganisation in den einzelnen Projekten so zu fördern, dass diese von der Minderheit eigenständig realisiert werden können und zwar unter Federführung der Dachorganisation.

Was hat sich dadurch in den letzten vier Jahren tatsächlich verändert?

Noch im Jahr 2005 wurde ein Großteil der Minderheitenförderung von der GTZ direkt an die regionalen Wiedergeburten und ihre Projekte gegeben. Im letzten Jahr liefen schon 35 Prozent der Gelder über die Dachorganisation, die Assoziation der gesellschaftlichen Vereinigungen der Deutschen Kasachstans „Wiedergeburt“ – kurz „Wiedergeburt“. Durch die Übertragung der Verantwortung auf den Dachverband verbessert sich die Kommunikation in der deutschen Minderheit. Der Umgang mit den Finanzen und das Projektmanagement insgesamt werden durch die Selbstorganisation professionalisiert.

Auf welche Weise wird der Zusammenhalt der deutschen Minderheit gefördert?

Ein wichtiges Anliegen des ganzen BMI-Programmes ist der Erhalt der Begegnungsstätten. Die deutsche Minderheit hat in Kasachstan ein Netz von zehn Begegnungszentren mit 41 kleineren Filialen. Die Vielfalt der Aktivitäten dort reicht von Computerclubs, über Chöre und Tanzkurse bis hin zu Seniorenklubs. Dies alles trägt sehr zum außerordentlich guten Ansehen der deutschen Minderheit in Kasachstan bei. In den Begegnungsstätten findet außerdem die Spracharbeit statt.

Im Zusammenhang mit den regionalen „Wiedergeburten“ ist viel von Projekten und projektbezogener Finanzierung die Rede. Welche konkreten Projekte initiieren die regionalen „Wiedergeburten“?

Viele regionale „Wiedergeburten“ bewerben sich beispielsweise um die Durchführung von Jugendsprachlagern. Zudem gibt es durch die Versorgung der Trudarmisten (von Stalin zwangsrekrutierte Mitglieder der Arbeitsarmee) in vielen „Wiedergeburten“ Erfahrungen im sozialen Bereich. Die regionalen „Wiedergeburten“ betreiben Sozialstationen. Dort werden schon seit über zehn Jahren Kranke und Bedürftige betreut. In Karaganda ist es uns gelungen, über ein EU-Projekt (TACIS) an der Sozialstation Fortbildungskurse für Pflegepersonal zu erarbeiten und anzubieten. Wir haben ganz große Hoffnung, dass sich das ausweitet und dass auch die kasachische Seite interessiert ist, in die Finanzierung solcher Projekte mit einzusteigen. Schließlich übernehmen die Sozialstationen die Versorgung von Angehörigen aller Ethnien in Kasachstan. Weiterhin haben wir Projekte im Bereich Umwelterziehung und Ökotourismus eingeführt. In verschiedenen regionalen Gesellschaften werden Ökolager und Umweltseminare durchgeführt.

Was haben Sie in ihren vier Jahren in Kasachstan konkret erreicht, auf welchen Erfolg sind sie stolz?

Wir haben teilweise sehr gute Ergebnisse in den regionalen „Wiedergeburten“ erzielt. Dazu haben wir verstärkt mit Ausschreibungen gearbeitet, obwohl es da manchmal ein paar Widerstände gab, weil das natürlich aufwändiger für die Antragsteller ist. Letztendlich konnten wir so aber die Qualität der Projekte deutlich verbessern.

Woran machen Sie die Qualitätssteigerungen fest?


Die Ergebnisse, die wir in den Projekten erzielen, entsprechen modernen und internationalen Standards. Das kann man daran erkennen, dass die regionalen „Wiedergeburten“ auch internationale Projektausschreibungen gewinnen. Sie erschließen sich zunehmend Einnahmequellen außerhalb unseres BMI-Programmes wie das oben genannte TACIS-Projekt in Karaganda. Besonders stolz sind wir auf die „Wiedergeburt“ in Taldykorgan, die auch Projekte der Vereinten Nationen (UN) und vom Bundesumweltministerium akquiriert hat.

Also fällt ihre Bilanz rundherum positiv aus?!

Überwiegend schon, aber es gibt natürlich noch einige Baustellen: Zum Beispiel sind Konfliktmanagement und die Kommunikationsfähigkeit bei einzelnen Repräsentanten der deutschen Minderheit verbesserungswürdig. Es gibt innerhalb der Dachorganisation sehr unterschiedliche Ansichten. Offiziell hat man sich zwar auf gemeinsame Ziele geeinigt, aber gleichzeitig ist auch immer wieder eine innere Uneinigkeit zu beobachten. Das ist der Grund, warum sich manches nicht so reibungslos realisieren lässt.

Lange Zeit war die Rede davon, dass das Deutsche Haus in Almaty, das sich derzeit noch in Bundesbesitz befindet, in die Hände der deutschen Minderheit übergeben wird. Um dieses Vorhaben ist es still geworden…

Sie haben Recht, das Vorhaben ist ins Stocken geraten. Das Deutsche Haus ist zuletzt auf 3,5 Millionen Euro geschätzt worden. Bevor die Bundesregierung solche Werte transferiert, möchte sie natürlich eine ordnungsgemäße Verwendung zu Gunsten der Deutschen Minderheit sicherstellen. Es kann nicht sein, dass nur die bundesdeutsche Seite Mittel beispielsweise in eine Stiftung einbringt und die Deutschen in Kasachstan nichts.

Die regionalen „Wiedergeburten“ in Karaganda, Ust-Kamenogorsk und Taras haben die Zusammenarbeit mit dem Dachverband aufgekündigt. Damit wird jetzt etwa ein Viertel der deutschen Minderheit in Kasachstan nicht mehr durch den Dachverband repräsentiert. Was halten Sie davon?

Meiner Meinung nach ist eine republikweite Organisationsstruktur sehr wichtig für den Status der deutschen Minderheit in Kasachstan. Dadurch gibt es einen Ansprechpartner und Vorsitzenden der Dachorganisation. Das BMI finanziert deshalb auch keine einzelnen „Wiedergeburten“ in den Regionen, denn wir betrachten die Einheit der Organisation als sehr wichtig und wollen sie fördern.

Ist es aus Ihrer Sicht in absehbarer Zeit denkbar, dass eine regionale „Wiedergeburt“ oder der Dachverband der deutschen Minderheit finanziell auf eigenen Beinen steht?

Es ist ein Vorurteil, dass alles von Deutschland finanziert wird. Auch der kasachische Staat unterstützt die Minderheit. Beispielsweise erhalten viele regionale „Wiedergeburts“-Gesellschaften Finanzierungen für Kulturveranstaltungen, fast überall werden Räume in den Häusern der Freundschaft für die Minderheit bereitgestellt. Manche kasachischen Arbeitsämter zahlen Gehaltszuschüsse.

Die Eigenfinanzierung der deutschen Minderheit, besonders bei den steigenden Lebenshaltungskosten hier in Kasachstan, ist mittelfristig nicht realistisch. Da sind mehr Projekte gefragt, die auch Geld bringen. Letztendlich müssen Eigeninitiative und Engagement der Minderheit gefördert werden, indem ihr Verantwortung übertragen wird.

Das Interview führte Ulf Seegers.

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Minderheitenförderung in Zentralasien
Das Bundesministerium des Innern (BMI) fördert die Deutsche Minderheit in Zentralasien jährlich mit etwa drei Millionen Euro. Koordiniert wird die Mittelvergabe durch die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ). Vertreter der etwa 220.000 Deutschstämmigen in Kasachstan ist die „Assoziation der gesellschaftlichen Vereinigung der Deutschen Kasachstans „Wiedergeburt““. Dieser Dachverband wird von 33 regionalen Wiedergeburts-Verbänden getragen. Ziel des BMI-Programms ist es, die Selbstverwaltung der Minderheit zu stärken.

20/03/09

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