Als Platzhalter für in Sozial- und Umweltbelangen unverantwortlich handelnde Firmen stand eine in Kasachstan tätige Tochter von Großkonzernen auf dem Weltwirtschaftsforum am Pranger. Die positive Seite der Medaille: Die Debatte um die soziale Verantwortung von Unternehmen und der „Global Compact“ der UN haben das marktwirtschaftliche Zentralasien erreicht.

Alljährlich pilgern Ende Januar Wirtschaftsführer, Politiker, Ökonomiegelehrte und schillernde Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in den legendären Schweizer Bergort Davos. Ihr Ziel: Die alljährliche Hauptversammlung des World Economic Forum (WEF). Das diesjährige WEF vom 25. bis 29. Januar eröffnete die deutsche Kanzlerin Angela Merkel. Erfolgreiche Firmenlenker erhielten Lorbeeren und diskutiert wurde über die Wachstumsmärkte in China und Indien. Seit Jahren werden im Schweizer Wintersportort aber nicht nur Lorbeeren verteilt. In Zeiten mächtiger multinationaler Konzerne, die mit Produktionsstätten rund um den Globus Preis- und Kursunterschiede zwischen Sozial- und Umweltstandards sowie unterschiedlichen Lohnniveaus in Volkswirtschaften und Regionen ausnutzen, hält auch der Geist der Globalisierungskritiker Einzug in Davos. Sie fordern, dass Firmen mitnichten nur kurzfristigen Gewinnzielen folgen dürften, sondern sie sollten auch so-ziale und gesellschaftliche Verantwortung übernehmen. Die alljährlichen ebenfalls in das Schweizer Bergidyll pilgernden Globalisierungsgegner führen den Managern vor Augen, dass auch ihre Unternehmen Teil der Gesellschaft sind. Seit sechs Jahren vergeben die Globalisierungskritiker von Pro Natura und der Erklärung von Bern (EvB) parallel zum WEF den Public-Eye-Award an unverantwortlich handelnde Firmen. Die Negativ-Prämierung soll daran erinnern, dass von Firmen mehr verlangt wird als Profitmaximierung. Für den Public-Eye-Award 2006 im Bereich Umwelt war auch die Karachaganak Petroleum Operating (KPO) aus dem kasachischen Aksai nominiert. Die KPO ist ein Tochterunternehmen von Chevron, ENI/Agip, British Gas und Lukoil. Die KPO beutet Öl- und Gasvorkommen in der westkasachischen Steppe aus. Dies ohne Rücksicht auf Umweltstandards, so dass die Menschen dort über Gesundheitsprobleme klagen und das Trinkwasser laut Laboranalysen kein Trinkwasser mehr ist. Lokale Behörden wollten der KPO kürzlich die Betriebslizenz verweigern.

Soziale Verantwortung von Unternehmen

Dank Negativschlagzeilen und öffentlicher Anprangerung von Fehlverhalten wie bei der KPO in Kasachstan oder ihrer Konzernmutter Chevron, die dieses Jahr schlussend-lich den Public-Eye-Award im Bereich Umwelt erhielt, hat der Gedanke, dass Firmen eine soziale Verantwortung gegenüber der Gesellschaft und wie Bürger Pflichten in der Gemeinschaft haben, Einzug in die Diskussionszirkel des WEF gefunden. Dies in Managermanier unter den englischsprachigen Bezeichnungen „corporate-social-responsibility“ und „corporate-citizenship“. „Das Wichtigste an corporate-social-responsibility ist, dass Firmen als sozial handelnd angesehen werden und nicht nur darüber reden”, so der Vorsitzende des internationalen Wirtschaftsprüfers KPMG, Michael Rake, auf dem WEF 2006. Damit es nicht nur bei Sonntagsreden bleibt, verhalf der amtierende UN-Generalsekretär Kofi Annan in Davos dem Gedanken der gesellschaftlich verantwortlichen Firma vor sieben Jahren zum internationalen Durchbruch. Er forderte international tätige Unternehmen auf, in den Bereichen Menschenrechte, Arbeitsnormen und Umweltschutz freiwillig aktiv zu werden und sich gemeinsam weltweit grundlegenden Werten zu verschreiben. Firmen sollen tatkräftige und verantwortungsbewusste Akteure der Globalisierung werden. Annan forderte 1999 in Davos einen Globalvertrag, den „Global Compact”, der Unternehmen zu Minimalstandards verpflichtet. Seit dem Jahr 2000 ist der Globalvertrag operativ ausgearbeitet. Firmen können ihm beitreten, um sich von der UN eingeforderten Standards in den Bereichen Menschenrechte, Umwelt, Arbeitnehmerfragen und Anti-Korruption zu verpflichten.

Unternehmerverbände, NGOs und lokale Netzwerke können dem „Global Compact” ebenso beitreten und ihn mitgestalten. Heute hat der „Global Compact“ über 2400 Unterzeichner. In Deutschland dürfen 61 Firmen damit werben, ihre Unterschrift unter den „Global Compact” gesetzt zu haben. Darunter Wirtschaftsgrößen von Allianz bis Volkswagen. In Russland gibt es immerhin 22 Unterzeichner, darunter beispielsweise das russische Bündnis der Industriellen und der Unternehmer (RSPP) oder Jukos. Kasachstan zählt vier Unterzeichner: Die Kazkommertsbank, die London Almaty Insurance, die Eurasian Industrial Association bzw. die Eurasia Bank sowie das United Nations Development Büro Almaty. Aus den anderen zentralasiatischen Staaten Kirgisien, Tadschikistan, Usbekistan, geschweige denn Turkmenistan oder gar Afghanistan hat bisher keine Firma oder Institution den „Global Compact” unterzeichnet – oder unterzeichnen dürfen.

Globalvertrag als Marketinginstrument

Globalisierungskritiker werfen dem „Global Compact“ der UN vor, er sei wenig praxisrelevant und würde nur eine freiwillige Einhaltung von Mindeststandards fordern. Ganz unberechtigt sind die Vorwürfe nicht, denn unter den Unterzeichnern finden sich auch Firmen, die nicht unbedingt durch soziale und gesellschaftliche Verantwortlichkeit glänzen. Beispielsweise der italienische ENI-Konzern, der an der kasachischen KPO beteiligt ist. Dennoch ist die Reaktion auf den „Global Compact“ im GUS-Raum ein gewisser Indikator für den Stand der marktwirtschaftlich-gesellschaftlichen Transformation und internationalen Öffnung. In Russland oder Kasachstan gibt es Firmen, die dem Globalvertrag beitreten. Man will sich als gesellschaftlich verantwortliches Unternehmen präsentieren, man kann damit Marketing als Firma mit internationaler Reputation betreiben und es gibt durchaus NGOs, die Manager und Bürger an die soziale und umweltpolitische Verantwortung von Firmen erinnern. Das alles scheint in Weißrussland oder im Rest Zentralasiens so noch nicht möglich, und daher hat der UN-Globalvertrag dort keine Unterzeichner.

Von Gunter Deuber

27/01/06

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