Seit Alexander Winokurow aus Kasachstan im internationalen Radrennsport von sich reden macht, scheinen seine Landsleute daheim einen Narren am Drahtesel gefressen zu haben. Aber nicht nur Rennräder gehen in Almaty zur Zeit über den Ladentisch wie ein warmes Messer durch die Butter, sondern auch die Mountainbikes. Der Rubel rollte diesen Sommer in der Fahrradindustrie.

Eine Horde von Rennradfahrern mit neusten Rädern und Ausrüstung plagt sich durch Abgasschwaden an stehenden Autokolonnen vorbei, die steilen Straßen Almatys hinauf. Ein Bild, das keine andere Großstadt in den ehemaligen Sowjetrepubliken zu bieten hat.
Während man etwa in der russischen Metropole St. Petersburg nach einem Fahrradgeschäft sucht, wie nach einem Leck im Fahrradschlauch, finden sich diese in Almaty an so mancher Straßenecke. Das mag wohl daran liegen, dass in Russlands Metropole das Fahrradfahren noch vor wenigen Jahren verboten war, da galten die Zweiräder offiziell als Behinderung für die Autofahrer. Doch in Kasachstan setzt man eben auch auf höchster Ebene auf den Sport. Im Frühling dieses Jahres ließ der kasachische Minister für Information, Kultur und Sport, Jesetschan Kusubaew, verlauten, die Entwicklung des Sportes stelle einen der Hauptaspekte in der Enwicklung der Nation als Ganzes dar. Und bereits im Sommer setzte ein anderer Kasache noch einen drauf: Der Radprofi Alexander Winokurow gewann die Schlussetappe der „Tour de France“, fuhr als erster in Paris durchs Ziel und entfesselte in seiner Heimat das Fahrradfieber vollends. Umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass es auf kasachischen Straßen keine Radwege gibt, ein ökologisches Denken nicht existiert und das Auto nach wie vor Prestigeobjekt Nummer Eins ist. Zudem kostet hier der Liter Benzin weniger als 50 Cent und in den ersten fünf Monaten dieses Jahres wurden alleine in Almaty 1050 Verkehrsunfälle registriert, bei denen 72 Menschen starben.

Unerschrockene Almatyer Studenten

Das hält die Großstadtkasachstaner aber nicht davon ab, sich auf die Räder zu schwingen. Und überhaupt: „Radfahren ist überall gefährlich. Auch in Deutschland setzt sich einer gewissen Gefahr aus, wer mit dem Rad auf der Straße fährt“, meint Sergej, der Geschäftsführer der Sportgerätekette „Limpopo“ in Almaty. „Gut, vielleicht geht es hier auf den Straßen noch etwa schlimmer zu“, gesteht er schließlich ein. Allerdings hat das horrende Tempo, in dem die Autos in Kasachstan zunehmen und über die Straßen flitzen, auch etwas Gutes. Da nämlich der Bau eines U-Bahnnetzes in Almaty wegen erhöhter Erdbebengefahr bereits nach wenigen Monaten eingestellt werden musste und die Stadt nun Gefahr läuft, innerhalb kurzer Frist verkehrstechnisch zu kollabieren, suchen Herr und Frau Kasache neue Wege aus dem Verkehrschaos. Das bestätigt auch Sergej: „Es ist wirklich erstaunlich, wie explosionsartig die Verkaufszahlen in die Höhe schnellen. Wir haben diesen Sommer doppelt so viele Fahrräder verkauft wie im letzten. Vor allem Studenten nutzen das Fahrrad zunehmend.“ Vor dem Geschäft in der Leninstraße stehen im Fahrradständer zwei noch ungebrauchte Exemplare und glänzen den Passanten an. Das Markenangebot ist allerdings noch reichlich beschränkt. In Sergejs Laden gibt es ein deutsches und ein amerikanisches Modell zu kaufen. Mannigfaltiger präsentiert sich da die Preispalette. „Mit den Fahrrädern verhält es sich nicht anders als mit den Mercedes: Je mehr Komfort man will, desto teurer wird es. Bei uns kann man Fahrräder bis zu 1000 Dollar erwerben.“

Clubs und Schulen

Sein Rennrad hat Ilja Warisch bereits seit vier Jahren. Er sei natürlich auch schon vorher gefahren, jedoch auf einem schlechteren Rad, betont er. Das Nachwuchstalent hat die Schule abgeschlossen und wird nun in Almaty an einem Sportcollege spezifisch gefördert. „Seit ich ein kleiner Junge bin, sitze ich auf dem Fahrrad. Weil mir dieser Sport gefiel und ich mir oft Rennen im Fernsehen anschaute, kam irgendwann die Entscheidung, den Radrennsport professionell zu betreiben. Fast jeden Monat nehme ich an einem Rennen teil“, sagt Ilja. Aber das Fahrrad ist für ihn nicht nur ein Sportgerät, ob zum College oder zum Einkaufen, es bringt ihn auch sonst überall hin. Auf einige seiner unverkennbaren Narben angesprochen, meint er erstaunlich gelassen: „Gefährliche Situationen gibts immer wieder. Ich wurde erst einmal von einem Auto angefahren.“ Schuld war der Autofahrer, versteht sich. Er habe ihn beim Abbiegen einfach übersehen.

Aber nicht nur leistungssportorientierte Colleges, sondern auch naturverbundene Freizeitclubs kommen in Almaty mehr und mehr in Mode. Einer davon ist das „A 13 Expedition Team“. Mehrmals jährlich bietet der unkommerzielle Club Mountainbike-Touren für Hartgesottene an. Derweil kann sich der Gelegenheitsradler in Almaty ein Fahrrad mieten. 500 Tenge die Stunde und 2000 für einen Tag sind die gepfefferten Preise.

07/10/05

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