Nach der karnevalistischen Völler– und Feierei beginnt die Fastenzeit. Die Leute verzichten auf alles Mögliche, was einem nicht guttut, an vorderster Front Alkohol, Süßes, Fleisch und Fett. Ich habe fleißig mitgefeiert, da will ich auch eifrig mitfasten.

Ich habe mir ein fuchsschlaues System ausgedacht, mit dem ich mich selbst überlisten will, weil ich unter mangelnder Selbstdisziplin leide. Ich nehme mir Dinge vor, die ich in einer Woche tun oder lassen möchte. Das steht alles auf so bunten Karten. Die stapel ich vor mir auf. Immer, wenn ich etwas geschafft habe, darf ich eine Karte weglegen. Je eher ich mit den Karten durch bin, desto eher habe ich „frei“. Wenn ich am Anfang der Woche bummele, muss ich alles am Wochenende erfüllen. Da ich als Leiterin des Instituts für Potenzialberatung weiß, dass man Ziele eher in kleinen Schritten umgesetzt kriegt, man nicht sofort sein ganzes Leben umkrempelt und das System zu den individuellen Eigenarten passen muss, mute ich mir nur ein paar Dinge zu. Gemäß meinem Kartensystem will ich dreimal die Woche nicht fernsehen, dreimal keinen Alkohol trinken und dreimal kein Fleisch essen. Wenn ich das alles an denselben Tagen mache, wäre schon ein Batzen weg. Dann möchte ich einmal im Monat Kultur genießen, Theater oder so was, einen Ausflug ins Grüne unternehmen, dreimal die Woche so etwas Ähnliches wie Sport machen (auf die Karte habe ich „Gymnastik“ geschrieben, um mich nicht zu erschrecken) und mich einmal pro Woche kreativ betätigen, Zeichnen oder Schreiben.

Mein Verzichts-Potpourri für das vergangene Wochenende sah wie folgt aus: kein Alkohol, etwas Gymnastik, nicht fernsehen, ein kleiner Ausflug, kein Fleisch. Mit Müsli und Früchten in den Tag starten, um dann nur eine leicht Gemüsesuppe zu essen. So weit der Plan. Beschwingt geschwind fuhr ich zum Markt, um besagtes Obst und Gemüse zu kaufen. Ich ließ mich inspirieren, der Wirsing lachte mich an. Wirsing! Wirsing? Wie kriegt man den Wirsing dazu, lecker zu schmecken? Richtig – Kohlrouladen. Oder Hackfleischeintopf. In jedem Fall aber Hackfleisch darin eingewickelt, dazwischen gemengt oder drumherum. Super, mir lief schon das Wasser im Munde zusammen, der Wirsing war schnell gekauft, jetzt nur noch zum Metzger. Dort starrte ich mit wachsendem Appetit auf das Tartar, das ich für Rindergehacktes hielt. Während der Metzger von dem richtigen Rindergehackten in meinen Beutel schaufelte, konnte ich mich nicht vom Tartar trennen und nahm auch davon etwas – für den kleinen Hunger zwischendurch. Mein Blick entglitt nach rechts und landete prompt auf der Fleischwurst. Och, so ein Stück davon für den Appetit am Morgen… Als ich stolz mit meiner satten Beute heimkam, fiel mir siedend heiß mein Verzichtsprogramm wieder ein. Na ja, egal, sagte ich mir. Die Sachen waren nun mal gekauft, da mussten sie auch gegessen werden. Zu solch einem deftigen Mahl passt am besten Bier. Da ein deftiger Fleischeintopf mit Bier bekanntermaßen nicht die Kreativität weckt, verbrachte ich den Abend vor dem Fernseher.

Mein System ist offenbar doch nicht so schlau und hat einen Haken. Ich vermute, es liegt daran, dass es kein Controlling und keine Sanktionen gibt. Da ich mich selbst nicht gern bestrafe und zugunsten des Spaß– und Genussfaktors lieber mal ein Äuglein zudrücke, hört die Fastenzeit bei mir auf, noch bevor sie angefangen hat. Beim nächsten Mal bin ich aber wieder dabei. Ganz bestimmt.

Julia Siebert

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