„Die herannahende Katastrophe, und wie man sie bekämpfen soll“, so nannte Lenin Anfang der 1920er Jahre eine seiner Arbeiten. Es ging um die heranziehende Hungerkatastrophe im jungen Sowjetrussland. Bekämpft wurde sie mit harten administrativen Maßnahmen, vor allem mit dem Beschlagnahmen von Lebensmitteln bei den Bauern, die dann selbst dem Hunger ausgesetzt waren. Trotz der rigorosen staatlichen Zwangsmaßnahmen ließ sich damals eine Hungerkatastrophe großen Ausmaßes nicht vermeiden.

Das Thema des Leninschen Aufsatzes kann ohne Einschränkungen auf die aktuelle Lage im kasachischen Bankensektor übertragen werden. Es entwickelt sich eine Kreditausfallkatastrophe bisher unbekannten Ausmaßes. Die Struktur des Kreditportfolios des hiesigen Bankensektors sieht folgendermaßen aus: 27,5 Prozent aller ausgegebenen Kredite sind Standardkredite, d. h. sie werden vertragsgemäß bedient, 42,5 Prozent sind faule Kredite, d. h. ihre Bedienung ist in unterschiedlichem Grade im Moment nicht gesichert, und es besteht die Gefahr ihres Verlusts, 30 Prozent sind verlorene Kredite, also Kredite, die schon eindeutig als Verlust zu verbuchen sind, weil die Kreditnehmer sie nicht bedienen können.
Diese Struktur ist als Katastrophe einzuschätzen, die wohl eine Reihe von Geschäftsbanken ihre Existenz kosten wird. Einfacher wird die Lage auch dann nicht, wenn man die de facto schon abgeschriebenen Kredite der beiden bekannten großen Problemfälle – BTA-Bank und Allianzbank – aus der Position der verlorenen Kredite herausrechnet. Dann beträgt der Anteil dieser Position nur noch neun Prozent. Das ist natürlich weniger als die genannten 30 Prozent, aber immer noch sehr viel.

Ein Großteil der hiesigen Banken spürt finanziellen Druck von zwei Seiten. Zum einen muss man in Zeiten, in denen die wirtschaftlichen Aktivitäten in vielen Bereichen stagnieren, große Mengen an Krediten ins Ausland zurückzahlen. Diese Kredite wurden dort in den Boomjahren der kasachischen Wirtschaft aufgenommen, obwohl eigentlich auch die finanzielle Basis des hiesigen Bankensektors infolge des Anstiegs der inneren Ersparnisse gewachsen war. Beflügelt wurde die teilweise sehr leichtsinnige Kreditvergabe des Bankensektors durch die sehr ehrgeizigen Wachstums-Ziele der Gesamtwirtschaft.

Wachstum schnell und überall, war die Devise, an der sich auch der Bankensektor orientiert hat. Zu schnelles Wachstum ist aber sehr oft ungesund: Bei einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 10 Prozent ist ein Wachstum der Kreditvergabesumme um 50 bis 60 Prozent mit Sicherheit nicht gesund. Warnende Stimmen gab es, sie wurden aber nicht gehört.

Der zweite Teil des Drucks auf die Banken geht von der Valutastruktur der ausgegebenen Kredite aus. Weit mehr als die Hälfte davon wurde in Fremdwährungen, vor allem in Dollar, aufgenommen. Das ist dem besseren Image des Dollar geschuldet, wobei viele Kreditnehmer die Möglichkeit der Abwertung der Tenge zum Dollar gar nicht in Betracht zogen oder vom Bankberater auf eine solche Möglichkeit nicht hingewiesen worden.

Fremdwährungskredite haben immer neben dem normalen Kreditausfallrisiko für den Kreditnehmer noch das Wechselkursrisiko. Dieses hat nach der Abwertung im Februar besonders spürbar zugeschlagen. Es muss infolge verbreiteten Unwissens betont werden, dass hieran keinesfalls die bösen Amerikaner schuld sind, sondern dies eine souveräne innere Entscheidung der Nationalbank Kasachstans war. Jedenfalls haben diejenigen, die ihre Kredite in Fremdwährung aufgenommen haben, nun mehr Tenge aufzubringen, was die Kreditausfallrate ansteigen lassen wird.

Wie die Bankengeschichte Kasachstans im Detail ausgehen wird, ist im Moment schwer zu bewerten. Insgesamt jedoch wird wohl ein Teil der Geschäftsbanken vom Markt verschwinden und die verbleibenden werden sich wieder an die üblichen Geschäftspraktiken halten müssen. Dazu gehört auch, sich nicht vom allgemeinen Wachstumstaumel anstecken zu lassen.

Bodo Lochmann

30/10/09

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