Ich habe zuletzt zwei neue Welten entdeckt: Serien und die Stadtbibliothek. Ich habe versucht, beides miteinander zu kombinieren. Das war keine gute Idee.

Ich bin in die Stadtbibliothek getapst, nur um mal zu gucken, wie es da zugeht, stellte mir eine Handvoll alte Leute vor, die an den verstaubten Regalen mit ollen Kamellen vorbeischlurfen und umständlich Ausleihkarten ausfüllen. Aber Nein und Wow! Mir eröffnete sich ein modernes Medienparadies, auf vier Etagen flitzen auf leisen Sohlen Menschen aller Alters-, Kultur- und Bildungsgruppen durch die Gänge, bewaffnen sich mit topaktuellen Büchern, CDs, DVDs und sogar Musiknoten, die sie dann als Komplettstapel unter einen Scanner legen, der wie von Geisterhand alle Medien innerhalb von 1 Sekunde auf einen Schlag auf dem kostenlosen Ausleihkonto verbucht. Nicht zu fassen!

Inzwischen wagte ich zu glauben, dass meine hochmoderne topaktuelle Stadtbibliothek auch die englische Serie vorhält, die mich ganz in ihren Bann gezogen hat: Downton Abbey. Aber ja, natürlich! sagt das System. Aber ja, natürlich bin ich nicht die einzige, die süchtig nach dieser Serie ist. Ich lande im Reservierungssystem auf Platz 48! muss aber in den sauren Apfel beißen, da die Serie auf dem freien Markt komplett ausverkauft ist. Da ich ein ungeduldiger Mensch bin und es gar nicht leiden kann, wenn ich mir den öffentlichen Raum und die Objekte meiner Begierde mit anderen Menschen teilen muss, suchte ich nach einer Ersatzdroge und fand: „Mad Men“. Ich war sofort angefixt, und da ich hier spät dran bin, fast alle anderen Menschen sind schon längst damit durch, jagte ich (während ich bei meiner Einstiegsdroge „Downton Abbey“ immer noch im Schneckentempo vorwärtskrebse) im Schweinsgalopp durch die ersten Staffeln. Um dann bei der letzten Staffel jäh ausgebremst zu werden. Schockschwerenot!

Dabei lockte mich ein Systemfehler auf die falsche Fährte. Ich könne mein vorgemerktes Medium abholen, behauptete es kühn, so dass ich im Rausch und Jagdfieber zur Bibliothek eilte, um mein Jagdgut einzukassieren. Doch ich griff ins Leere, kein Medium lag bereit. Ich geriet in Not und Panik. Ätsch! sagte das System vor Ort, nix abholen, du bist nämlich erst auf Wartelistenplatz 26! Zu Not und Panik gesellte sich erst Verzweiflung, dann Wut. Ich fühlte mich arglistig getäuscht, vollführte einen Zwergenaufstand und verlangte, man möge diesen „Fall aufklären“, ich müsse mich verlassen können dürfen … Heiliger Bimbam! Was tat ich da? Als ich wieder zu mir kam, wurde mir klar, dass ich kein Serienheld bin, der weltrettende staatstragende Verschwörungen aufdecken muss, sondern nur eine Frau in Köln, die nicht ihr Wochenende damit verbringen „darf“, 15! Folgen „ihrer“ Serie zu sehen, anstatt mit Freunden in der Sonne spazieren zu gehen.

Höchste Zeit, meine neuen Welten noch mal zu sortieren bzw. wieder auseinander zu dividieren: In der Stadtbibliothek leiht man sich keine Serien aus, nach denen man süchtig ist, sondern kauft sie in einem Laden, falls erhältlich. In der Stadtbibliothek hingegen leihe man sich Artikel aus, die einen weniger in Aufruhr versetzen. Um mich abzukühlen, leihe ich mir als nächstes einen Dokumentarfilm über Pinguine aus, danach sehen wir weiter.

Julia Siebert

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