Viele Schwellenländer haben den Sprung vom Schwellenland zum Industriestaat nicht geschafft. Damit es Kasachstan nicht genauso ergeht, empfiehlt Bodo Lochmann eigene Innovationen und weniger Staatsgläubigkeit.

Vor etwa zehn Jahren wurde der Begriff der BRIC-Staaten kreiert, der die aufstrebenden Schwellenländer Brasilien, Russland, Indien und China umfasst. Fast drei Milliarden Menschen leben in diesen Ländern. Sie weisen einen großen Nachholbedarf in vielen Bereichen des Verbrauchs, der Infrastrukturentwicklung, der Innovationen und Investitionen auf und haben zudem einen hohen Bevölkerungszuwachs (außer Russland).

Im letzten Jahrzehnt gingen gerade von diesen Ländern wesentliche Wachstumsimpulse für die gesamte Weltwirtschaft aus, wobei sich vor allem China hervortat. Das innere Resultat der teilweise stürmischen und nicht proportionalen Entwicklung war das deutliche Anheben des Wohlstandsniveaus zumindest für einen spürbaren Teil der Bevölkerung. Allerdings unter Inkaufnahme einer breiter werdenden Schere im Wohlstandsniveau. Auch eine Reihe nicht direkt wirtschaftlicher Aspekte wurde vernachlässigt.

Momentan zeigen die Hoffnungsträger der Weltwirtschaft zudem eine Reihe von Schwächen, die Zweifel am nachhaltigen Aufschwung ihrer Wirtschaften aufkommen lassen. Vor allem der bisherige Musterknabe China scheint etwas müde geworden zu sein. Seine Wachstumsraten haben sich deutlich verlangsamt, gleichwohl sie immer noch sehr hoch sind. Jedenfalls hat der geringere Zuwachs der chinesischen Produktion ein langsameres Wachstum der Importe nach sich gezogen, so dass auch die ausländischen Lieferfirmen weniger absetzen konnten, als gewohnt.

Das Zurückfahren des chinesischen Wachstums unter der neuen Regierung wird allgemein als vernünftig angesehen, da die bisherigen enormen Produktionszuwächse von komplexen ökologischen Problemen und sozialen Spannungen sowie außenwirtschaftlichen Konflikten begleitet wurden. Doch stellt sich über die kurzfristige Wirkung des gemäßigten Wachstums in China hinaus die Frage, wie nachhaltig die Wachstumsmodelle der Schwellenländer generell sind. Vor allem, wenn diese Länder stark rohstofforientiert sind und ihre Wirtschaften nicht breit aufgestellt bzw. diversifiziert haben. Zu dieser Kategorie gehört bekanntlich auch Kasachstan, so dass entsprechende Forschungen auch hierzulande von großem Interesse sind.

Die Erfahrung zeigt, dass es seit 1960 nur etwa einem Dutzend Länder gelungen ist, sich von einem Schwellenland zu einem Industrieland zu entwickeln. Griechenland, Südkorea und Taiwan gehören zum Beispiel dazu. Die meisten Schwellenländer sind jedoch irgendwo auf dem Weg zum Industriestaat hängengeblieben, sie haben den qualitativen Sprung in die obere Liga nicht geschafft. Argentinien oder Thailand sind Beispiele hierfür. Die Wirtschaften dieser Länder sind ebenfalls jahrelang mit Raten von zehn Prozent gewachsen, dann jedoch in der „Mittleren Einkommensfalle“ hängengeblieben.

Zu Beginn ihrer Entwicklung profitieren ärmere Länder noch von ihrem Überangebot an billigen Arbeitskräften und niedrigen Löhnen. Das lockt Investoren an, die Wirtschaft wächst schnell. Doch mit dem Produktionswachstum steigen auch die Löhne, das Angebot an billigen Arbeitskräften wird knapper. In China wird diese Entwicklung durch die Ein-Kind-Familie noch verschärft.

Wenn die Wachstumsressource billige Arbeitskraft erschöpft ist, müsste das Land intensiv in Bildung, bessere Produktionsverfahren, hochwertige Erzeugnisse und anspruchsvolles Marketing investieren, um weiter zu wachsen. Denn reich wird ein Land oder eine Region auf Dauer nicht, wenn es nur als verlängerte Werkbank ausländischer Auftraggeber fungiert, also keine eigenen Innovationspotentiale aufbaut.

Viele Staaten verpassen jedoch diesen Übergang oder stellen sich ihm nicht mit aller Konsequenz. Dabei ist unter „Konsequenz“ auch zu verstehen, dass sich der Staat nach Schaffung funktionsfähiger Innovationsgrundstrukturen aus dem direkten Management von Innovationsprojekten heraushält. Schließlich werden Unternehmen viel stärker von Konkurrenten als durch staatliche Sanktionen zu innovationsfördernden Schritten gezwungen. Je stärker sich der Staat in der Vergangenheit in die Wirtschaft eingebracht (oder auch eingemischt) hat, umso schwieriger ist die Umsetzung dieser Bedingung. Hier dürfte Kasachstan in der Zukunft ein besonderes Problem haben, ist die Staatsgläubigkeit hierzulande doch besonders ausgeprägt.

Bodo Lochmann

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