Überall auf der Welt wird im Moment fieberhaft nach Rezepten gesucht, wie man möglichst wenig tief in die Krise hineingerät beziehungsweise wie man schnell wieder herauskommt. Als Lehre aus der tiefen Rezession 1929 bis 1933, als die Regierungen durch ihr Verhalten – Kürzung der Staatsausgaben, der Gehälter und der Sozialleistungen – den Nachfragerückgang noch verstärkten, wird heute sehr viel staatliches Geld in die Hand genommen, um zumindest über die Ausdehnung der Nachfrage des Staates ein nicht allzu starkes Absacken der Gesamtnachfrage zuzulassen.

In den USA könnte sich diese Summe auf die astronomische Höhe von bis zu einer Billion Dollar aufschaukeln. Deutschland ist dabei sehr viel zurückhaltender – „nur“ 31 Milliarden Euro sollen nach dem jetzigen Stand der Dinge zusätzlich in die Wirtschaft gepumpt werden, um sie anzukurbeln. Kasachstan oder China geben in Relation zu ihrem Bruttoinlandsprodukt wesentlich mehr aus. Was der richtige Weg ist, weiß im Moment aber niemand zu sagen. Das Hauptproblem bei solchen Konjunkturprogrammen ist immer, dass man ganz einfach nicht wissen kann, in welchem konkreten Stadium des Konjunkturzyklus sich die Wirtschaft gerade befindet. Konjunkturprogramme – so die Erfahrung aus der Praxis der vergangenen Jahre – können ihre Wirkung nur entfalten, wenn sie rechtzeitig und zielgenau in Gang gesetzt werden. Die jetzigen Finanzhilfen kommen mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit eher zu spät, und ob sie das Zentrum des Geschehens treffen, ist keinesfalls sicher.

Außerdem gibt es Zweifel, ob und in welchem Umfange der Staat überhaupt in die natürlichen Schwankungen der Wirtschaftsleistung eingreifen sollte. Krisen gehören zur Marktwirtschaft nun mal dazu. Wer sie endgültig abschaffen will, muss vorher die Marktwirtschaft abschaffen. Dann aber wird man sich früher oder später auf das Entstehen ganz anderer, wesentlich tiefer greifender Krisen einstellen müssen. Das zumindest hat uns der real existierende Sozialismus nun wohl doch gelehrt. Auch sollte das Beispiel Japans zur Vorsicht raten. Dort hat man in den letzten 15 Jahren durch ein halbes Dutzend staatlicher Konjunkturprogramme versucht, die Wirtschaft aus dem Stadium der Stagnation und Deflation zu ziehen. Das erwartete Ergebnis ist allerdings nicht eingetreten, wohl aber hat sich die Staatsverschuldung auf enorme 180 Prozent des BIP erhöht. In den USA und den meisten westeuropäischen Staaten liegt diese Größe bei 50 bis 70 Prozent.

Keine Krise – weder im wirtschaftlichen, noch im privaten Bereich – ist schön. Gleichwohl hat jede von ihnen auch positive Aspekte. Wirtschaftskrisen bereinigen die Märkte und bringen sie – zumindest für eine bestimmte Zeit – wieder ins Gleichgewicht. Sie bewirken einen Zwang zur Umstrukturierung von Unternehmen und Produktionsstrukturen insgesamt und erhöhen durch die Auslese der besten Unternehmen die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft insgesamt. Unternehmen werden insbesondere in Krisenzeiten kreativer, sie suchen den Ausweg aus der wirtschaftlichen Misere durch neue Produkte und Technologien, das Innovationstempo erhöht sich also eher. Wenn der Staat durch zu starke Regulierung nun versucht, Krisen ganz zu verhindern, kann er sehr leicht die jeder Krise objektiv innewohnenden Entwicklungspotentiale abtöten. Schließlich kann nicht der Beamte im Ministerium X beurteilen, ob die Innovation Y notwendig oder nicht notwendig, ob sie gut oder schlecht ist. Das kann letztlich nur der Kunde als Verbraucher oder Nutzer. Selbst der im Moment vielgescholtene Bankensektor hat das Recht und die Pflicht, neue, innovative Produkte zu kreieren. Das Risiko des Misserfolgs derselben muss aber – im Gegensatz zur Praxis der letzten etwa zehn Jahre – bei den Erfindern dieser Produkte bleiben und nicht anonym über den ganzen Erdball verteilt werden können.

Für mich als Hochschullehrer ist die aktuelle Krise ein hochinteressantes Studienobjekt. Die bisherigen Krisen sind meist schon in den Lehrbüchern abgehandelt. Man kennt ihren Verlauf im Detail, weiß, was mehr oder weniger richtig und was falsch gemacht wurde, man kennt die Endresultate. Die aktuelle Krise kann man noch schön ausschlachten, man kann diskutieren, was gemacht werden könnte, der Ausgang vom zeitlichen Verlauf her ist völlig offen. Das schafft Raum für die Schärfung der eigenen Ansichten, des eigenen Wissens. Doch auch diese Krise wird in die Lehrbücher eingehen und für künftige Generationen von Studierenden etwas Abstraktes, Durchgekautes, sehr Entferntes sein. Die meist bitteren Lehren, die heute der Bankensektor, die Politik und ein Gutteil des Realsektors ziehen müssen, werden schrittweise vergessen werden und für künftige Generationen von Managern und Politikern alte Hüte sein. Jede Generation muss wohl ihre eigenen Erfahrungen im Umgang mit Krisen sammeln, Lehrbucherfahrungen helfen da nur bedingt weiter. Tendenziell ist der Fortschritt nicht aufzuhalten, er bricht sich auch mit Hilfe des Instruments Krise seine Bahn.

Insofern sehe ich die aktuellen Probleme als Analytiker eher gelassen. Problematischer für mich ist jedoch, dass andere Krisen jetzt aus dem Blickfeld zu geraten scheinen und dass für deren Bewältigung mit viel Mühe gerade mal ein Bruchteil der für die Bewältigung der aktuellen Krise verfügbaren Mittel bereitgestellt wird. Die Umweltkrise in Form der Klimaveränderung ist für die Existenz der Menschheit wahrlich bedrohlicher. Vielleicht schon ein Zehntel der gegen die Finanzkrise aktivierten Mittel würden reichen…

Bodo Lochmann

26/12/08

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