Das Friedensstiftende Projekt der Robert-Bosch-Stiftung ermuntert junge Menschen aus dem Ferghanatal dazu, die Generationen ihrer Eltern und Großeltern als Zeitzeugen blutiger Konflikte in der Region zu befragen. Die Studentin Asel Schekerowa aus Dschalalabat interviewt ihre Oma, die ihr unter anderem von der Umsiedlung berichtet, welche die Errichtung des Toktogul-Stausees nach sich zog.

Sie sagt: „Meine besten Erinnerungen kommen von dort. Wir waren arm, aber glücklich“. Als Kind lebte Sairakan Jesenschanowa in einem kleinen kirgisischen Dorf namens Lenin, das es aber heute nicht mehr gibt. Heute befindet sich dort ein großer Stausee.

Sairakans früherer Lieblingsplatz liegt auch dort. Das war ein Aussichtpunkt über der Stadt und dem See. Es war ein kleiner Berg namens Tegerek. Man konnte sich ausmalen, dass es dort, auf dem Grund des Sees, eine ganz andere Welt gibt. Sairakan erzählte früher viel von ihrer Jugend, die sie in der geheimnisvollen Stadt Lenin verbracht hatte.

Sairakan Jesenschanowa wurde im Jahre 1949 geboren. Das war eine schwierige Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Es herrschte Hungersnot, und die Leute verdienten kaum ihr täglich Brot. Viele arbeiteten auf dem Feld. Neben der Arbeit hatte sie noch Zeit, sich weiterzubilden. Doch dafür musste sie fünf bis sechs Kilometer zurücklegen. „Wir satteln einen alten Esel, der mich in die Schule brachte.“

Sie erwähnt auch: „In unserem Dorf gab es eine Menge Sanddorn. Oft gingen wir Mädchen in den Wald und haben ihn gesammelt.“ Sie beschrieb die Luft als sauber und frisch und die Erde als fruchtbar. Kein Wunder, dass sogar der große Dichter Toktogul (zu Ehren des Dichters bekam die neue Stadt am Stausee seinen Namen), nach seinem Exil in Sibirien in seine Heimat Ketmen-Töbö zurückkehrte. Der Name Ketmen-Töbö kommt von „Ketmen“ – Hacke, und „Töbö“ – Buckel. Am Fuße dieses „Buckels“ war ein Wald und sandiger Grund, an dem sie als Mädchen ihre erste, wahre und letzte Liebe in ihrem Leben traf. Sie kannten sich von Kindheit an und waren Nachbarn.

Er hieß Ykyn Schekerow und arbeitete auf einer Baustelle. Später ging er zur Armee, wo er drei Jahre diente. Drei Jahre Armeedienst waren zu Sowjetzeiten normal. Er war zwölf Jahre älter als Sairakan, und als er wiederkam, war aus dem kleinen Nachbarsmädchen eine schöne Frau geworden: „Es ging alles sehr schnell. Ich war jung, erst 17 Jahre alt. Wir haben im Jahr 1966 geheiratet. Und dann gingen wir nach Frunse (Bischkek). Da musste er studieren. Ich selbst studierte dort nicht, weil ich nur acht Jahre zur Schule gegangen bin. Zu dieser Zeit lebten wir bei Verwandten und zogen dann von Wohnung zu Wohnung“. Dort hat das Paar 1969 eine Tochter und einen Sohn bekommen.

Später arbeitete Ykyn als Ingenieur für Landmaschineningeneur in Toktogul. Sie kehrten in ihre Heimat zurück. Aber in seinem Heimatdorf fanden sie nur Wasser, ausgebreitet wie ein Meer vom Komsomoldorf bis zum Karasudorf. Sie sagt: „Die Menschen, deren Häuser überflutet wurden, mussten ihre Stadt neu aufbauen“.

Heute ist die Stadt Toktogul das Ergebnis der Verlagerung des ehemaligen Dorfes Lenin. Toktogul liegt vier Stunden Autofahrt von Bischkek und fünf Stunden von Dschalalabat entfernt. Es ist eine Stadt, die in der Mitte Kirgisistans liegt und es gleichsam in Nord und Süd teilt.

In den Jahren 1964-1965, als man ein Wasserkraftwerk zu bauen begann, wollten die Bürger Lenins ihre Häuser nicht verlassen. Aber es kam die Zeit, als die Menschen erkannten, dass sie doch weg mussten. Da das Wasser des Flusses Naryn näher kam, drohte es, die Häuser zu überfluten. Die Bürger begannen nach geeigneten Plätzen zum Leben zu suchen. Sie verließen eilig ihre Häuser und nahmen nur die notwendigsten Dinge mit.

In den neuen Wohnorten, den jetzigen Dörfern Uch-Terek, Ak-Tektir, Kara-Kungei, Terek-Su, Torken, Komsomol und Jetigen entstand eine Überbevölkerung. Das Brautpaar lebte in einem Vorort vom Ketmen-Töbö. Ykyns Arbeitgeber stellte ihm ein kleines Haus nicht weit vom Zentrum Toktoguls zur Verfügung.

So ließ sich die Umsiedelung leichter verkraften. „ Natürlich war es schwer für uns, unsere Heimat zu verlassen. Aber die neuen Wohnungen waren auch moderner. Zum Beispiel hatten wir jetzt alle einen Elektrizitätsanschluss. Ganz Kirgisistan wurde fortan durch den Staudamm mit Strom versorgt“, so Sairakan.

Sie lebten hier ihr ganzes Leben und haben noch zwei Jungen und drei Mädchen bekommen. Sie sagt: „Die Zeit vergeht schnell, und bevor man es bemerkt, ist das Leben vorbei.“ Aber in letzter Zeit wirkt sie älter, obwohl sie nur 65 Jahre alt ist. Dies liegt am Verlust ihres geliebten Mannes.

„Es ist schwer für mich, über ihn zu sprechen und an ihn zu denken. Wir haben uns immer gegenseitig unterstützt. Nun sind meine Kinder und Enkel meine Unterstützung“, beendet Sairakan das Gespräch.

Asel Schekerowa

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