Vor knapp vier Jahren wurde hierzulande mit einem doch erheblichen organisatorischen und propagandistischen Aufwand die „Strategie der industriell-innovativen Entwicklung der Republik Kasachstan bis zum Jahre 2015“ aus der Taufe gehoben und in Kraft gesetzt.

Ein meiner Meinung nach nach wie vor prinzipiell richtiges strategisches Dokument, das auf die Verringerung der einseitigen Produktions- und Exportstrukturen Kasachstans ausgerichtet ist. Gebraucht wird dafür das vielleicht nicht gleich verständliche Wort „Diversifizierung“, das die Schaffung konkurrenzfähiger Erzeugnisse in der verarbeitenden Wirtschaft, also ausserhalb des bisher absolut dominierenden Rohstoff- und Energiesektors, meint.

Nun ist man in Kasachstan in den letzten 5, 6 Jahren an vielen Fronten der Wirtschaft schnelle Erfolge gewöhnt, so beim Wachstum des BIP, beim Export, beim ausgeglichenen Staatshaushalt und in anderen Bereichen. Offensichtlich haben sich manche Verantwortliche an diesen schnellen, aber doch nur teilweise auf eigener Arbeit (ein Großteil der Ergebnisse ist durch die gestiegenen Energie- und Rohstoffpreise bedingt) beruhenden Erfolgen berauscht und erwarten nun ähnliche schnelle Resultate beim Umsetzen der genannten Innovationsstrategie. Ich schlußfolgere das aus einer Diskussion im Parlament, wo einige Abgeordnete vom Scheitern der Innovationsstrategie sprachen und andere Arbeitsrichtungen, sprich andere Programme, forderten. In solchen Bewertungen und Forderungen kommt zum einen eine gehörige Portion Selbstüberschätzung und eine eher noch größere Portion Nichtkenntnis der Spezifik von Innovationsprozessen zum Ausdruck. Man kann es auch etwas drastsich ausdrücken: Jetzt, wo wirklich eigene Leistung gefragt ist, die so aus dem Kaltstart ganz einfach nicht kommen kann, gehen bei manchem die Nerven durch und es wird neben Mängeln in der genannten Strategie auch ihr richtiger Kern in Frage gestellt. Hinzu kommt ein hierzulande weitverbreiteter Glaube, dass ein staatliches Programm auf Papier schon das erwünschte Ergebnis ist oder zumindest dieses automatisch herbeizaubert, wenn man nur genügend Geld bereitstellt.

Im Innovationsbereich steht Kasachstan aber nun mal nach wie vor am Anfang. Alles Verweisen auf die Leistungen und die Restpotenziale aus früheren Zeiten, auf den eigenen Sputnik oder andere Einzelbeispiele können nicht darüber hinwegtäuschen, dass nicht nur keine innovativen Erzeugnisse in einer nennenswerten Breite vorhanden sind, sondern dass im Moment auch die inhaltliche und die organisatorische Basis für deren Erstellung weitgehend fehlt bzw. gerade erst im Aufbau ist. Gerade aber im Bereich von Produktinnovationen dreht sich das weltweite Konkurrenzkarussel mit solch atemberaubendem Tempo, dass auch Grossunternehmen, die seit Jahrzehnten ein funktionierendes Innovationssystem haben, bei weitem nicht immer in der Lage sind, konkurrenzfähige Innovationen auf den Markt zu bringen. Volkswagen und Airbus können da als nur zwei von tausenden Beispielen genannt werden.

Die europäische Erfahrung ist, dass Unternehmen, die zielgerichtet am Aufbau eines spezifischen unternehmensinternen Innovationsmanagementsystems arbeiten, für deren volle Wirksamkeit sieben bis acht Jahre benötigen. Diese lange Dauer ist im Wesentlichen nicht durch Geldmangel bedingt, sondern durch den Umbau der Psychologie der Mitarbeiter und Leitungskräfte, durch die allerkonsequenteste Orientierung auf die Kunden, das Erlernen von Kreativitätstechniken u.a.m., also überwiegend durch Probleme im Bereich der weichen Erfolgsfaktoren. Wenn dann ein solches unternehemensinternes Innovationssystem funktionsfähig ist, dauert es je nach Branche weitere etwa fünf Jahre, bis wirklich neue und beim Kunden als solche auch identifizierten und akzeptierten Erzeugnisse auf dem Markt sein können. Parallel zum technisch-organisatorischen Innovationsprozess muss auch noch am Aufbau solcher Absatzkanäle gebastelt werden, die die neu geschaffenen Erzeugnisse unter den Bedingungen überfüllter Märkte und informations- und reklamegestresster Kunden zur richtigen Zeit mit dem richtigen Nutzensversprechen am richtigen Ort platzieren.
Lange Rede, kurzer Sinn: Es ist mit Sicherheit vier Jahre nach dem Unterzeichnen der Innovationsstrategie durch den Präsidenten noch viel zu früh, über den Erfolg oder Misserfolg dieses zentralen wirtschaftspolitischen Dokumentes zu urteilen. Erste brauchbare Bewertungen von Teilergebnissen kann man vielleicht in drei, vier Jahren vornehmen – wenn alles optimal läuft.

Eine andere Sache ist eine mögliche Kritik des Mechanismus und der Arbeitsweise einiger Elemente der bisher geschaffenen Innovationsinfrastruktur. Dort sind sicher jede Menge Verbesserungen notwendig. Die Diversifikation der Wirtschaft mit Hilfe innovativer Produkte als gewünschtes Endergebnis des bisherigen Papiertigers könnte ab 2015 zu besichtigen sein – vielleicht auch erst wesentlich später.

Bodo Lochmann

08/06/07

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