Deutsch als Unterrichts- und Studienfach steckt in Kasachstan offenbar in einer Krise, und die Fachlehrer wollen dabei nicht tatenlos zusehen. Das verdeutlicht schon das Motto, „Chance Deutsch“, unter dem der achte Deutschlehrertag in Almaty stand.

Ob die stark schwindenden Schüler- und Studentenzahlen jedoch wirklich auf die Struktur des Fachs zurückzuführen sind, und deswegen die auf der Tagung vorgestellten Konzepte des Bologna-Prozesses die richtigen Lösungen beinhalten, ist fraglich. Unterrichts- und Studienreformen sollten nämlich mit Bedacht und Weitblick durchgeführt werden, um wirklich die existierenden Problemkreise zu erfassen. Denn es gilt als Binsenweisheit, dass falsch gesetzte Ziele am Ende zu nichts führen. Mit Bologna hat das europäische Bildungssystem jedenfalls bei weitem nicht alle anstehenden Probleme gelöst. Obendrein war die Ausgangslage und Zielsetzung eine ganz andere, als heute in Kasachstan.

Vordringlich ging es in der italienischen Stadt, in der Bildungsminister aus 29 europäischen Staaten tagten, nämlich darum, das europäische Bildungssystem zu vereinheitlichen, um zukünftig die Anerkennung von Studienabschlüssen im gesamten europäischen Raum zu gewährleisten und gleichzeitig den Studentenaustausch unter den einzelnen EU-Ländern zu erleichtern.

Es ist zwar lobenswert, dass die Teilnehmer des Deutschlehrertags in Almaty sinkende Schüler- und Studentenzahlen nicht einfach so hinnehmen wollen, doch dass Bologna die richtigen Konzepte für die Probleme des kasachischen Deutschunterrichts beinhaltet, erscheint wenig realistisch. Die Ziele von Bologna sind hochtrabend und, wie sich im Nachhinein herausstellte, nicht für alle Studienrichtungen an den europäischen Universitäten umsetzbar. Einer dieser Bereiche betrifft gerade die Sprachausbildungen. Es ist nämlich ein erheblicher Unterschied, ein Sprachstudium für Muttersprachler oder dasselbe Fach für Studenten anzubieten, die diese Sprache erst erlernen müssen. Diese Diskrepanz ist eine Tatsache, die sich auch durch politische Ansagen nicht ungeschehen lassen wird. Ebenso illusionär ist die Hoffnung eines Nicht-EU-Landes, durch die Umsetzung von Bologna eine Anerkennung seiner Studienabschlüsse in Europa zu erreichen.

Keine Chance auf Anerkennung nichteuropäischer Universitätsabschlüsse

Wer nicht innerhalb der EU ist, steht auch außerhalb der europäischen Qualitätssicherungs- und Evaluierungsprogramme und hat somit keine Chance, dass seine staatlichen Diplome in EU-Ländern vorbehaltlos anerkannt werden. Deshalb sollte der kasachische „Patient Deutschausbildung“, ehe ihm Therapiemethoden aus Bologna verordnet werden, zuerst gründlich untersucht werden. Denn nur eine ordentliche Diagnose des Krankheitsbildes gewährleistet eine spätere Gesundung.

Blindlings übernommene Konzepte aus anderen Ländern müssen nämlich nicht zwangsläufig zu einer Lösung der Misere führen. Ist es also tatsächlich so, dass die schwindenden Deutschinteressenten auf das Fach selbst zurückzuführen sind, oder fehlt es Absolventen dieser Richtung schlicht an späteren Berufsaussichten? Ist es realistisch, Deutsch als erstes Fach zu propagieren, wenn die einzigen wirklichen Karrierechancen von Studienabsolventen offenbar einzig und allein in der kasachischen Privatwirtschaft liegen? Dort sind aber in erster Linie spezifische Fach- und Branchenkenntnisse und erst an zweiter Stelle Sprachkenntnisse gefragt. Hinzu kommt noch, dass Englisch als internationale Wirtschafts- und Verkehrssprache weit mehr wiegt als Deutsch und sich diese globale Gewichtung sicher nicht wegen einem Zuwachs an Deutschstudenten verändern wird. Wie weit kann also die Liebe zu einem Fach ohne Karriereaussichten gehen, und wer kann es den kasachischen Studenten verdenken, dass sie ihre Zeit lieber in Wirtschafts- und Technikstudien investieren, bei denen Sprachkenntnisse nur am Rande eine Rolle spielen?

Das ist in Europa nicht anders, obwohl die Verdienstmöglichkeiten für Deutschabsolventen dort weit besser sind als in Kasachstan. Trotzdem gilt auch in westlichen Industriestaaten: Wer Deutsch studiert, hat zumeist eine Anstellung an der Universität, an Schulen oder im sprach- und literaturwissenschaftlichen Bereich vor Augen. Wer ein anderes Berufsziel hegt, wird sich möglichst die Fachkenntnisse verschaffen, die für ihn später wichtig sind. Auch der Versuch, Fächer wie Deutsch zu öffnen und zu „General-Studies“ zu machen, wird daran wenig ändern. Im Gegenteil, Wissen aus verschiedensten Fächern in ein Studienfach zu integrieren, heißt vielmehr, ursprüngliche Lehrinhalte zu kürzen oder zu streichen. Das Ziel eines Deutschstudiums kann es nicht sein, Studenten zusätzlich mit Kenntnissen aus den Fächern Soziologie, Politik, Jura oder Medienwissenschaften zu belasten.

Zusätzliche Inhalte zulasten der Kernkompetenzen

Ein interdisziplinärer Zugang ist, wie sich immer mehr herausstellt, nicht die richtige Lösung, da zusätzliche Inhalte nur gestreift werden können und letztlich zulasten der Kernkompetenzen gehen. Dadurch wird sowohl die Sprachausbildung als auch die Literatur- und Sprachwissenschaft derart in Mitleidenschaft gezogen, dass das Bildungsniveau letztendlich schlechter als besser wird. Auf dem Arbeitsmarkt setzen sich die Abgänger von „General-Studies“ erfahrungsgemäß in den wenigsten Fällen außerhalb ihrer Hauptstudienrichtung durch, da sie gegen Absolventen der Fächer antreten müssen, deren Inhalte in ihrem Studium nur periphär behandelt wurden.

Zum Zuge kommen dann zumeist die Spezialisten, weil sich die Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt nach dem Prinzip der besten Qualifikation richtet. Bevor man also das Deutschstudium in Kasachstan verändert, sollte man sich vorab auf jeden Fall die Frage stellen, ob die fachliche Struktur oder aber fehlende  Karriere- und Verdienstmöglichkeiten höhere Studentenzahlen verhindern. „General-Studies“ würden es zwar vereinfachen, die Broschüren für Studienanfänger wohlklingender und viel interessanter zu gestalten. Wenn dann das darin Versprochene nicht gehalten werden kann, wäre ein solches Studium aber nichts anderes als eine Mogelpackung.

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Inhalte des Bologna-Prozesses

•    System leicht verständlicher und vergleichbarer Abschlüsse (kompatible Hochschulabschlüsse auf nationaler und europäischer Ebene)
•    zweistufiges System von Studienabschlüssen (Bachelor/Master-Studienstruktur)
•    flexible Lernangebote im Hochschulbereich, einschließlich Verfahren zur Anerkennung früher erworbener Kenntnisse
•    Leistungspunktesystem (nach dem ECTS-Modell)
•    Beseitigung von Mobilitätshemmnissen
•    europäische Zusammenarbeit im Bereich der Qualitätssicherung
•    europäische Dimension in der Hochschulausbildung
•    lebenslanges Lernen

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Kommentar von Christoph Salzl

17/11/06

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